Abgefahrene 24/7-Helfer
Beim Stichwort autonomes Fahren kommen Pkw-Hersteller und -Nutzer gleichermaßen ins Fantasieren. Endlich die Zeit im Auto sinnvoll nutzen, mit Arbeiten, Lesen, Internetsurfen oder Schlafen, statt Kilometer für Kilometer auf Asphalt und Vorderleute zu starren. Das Problem: Wir sprechen hier von den Automatisierungsleveln 4 (Auto hat Kontrolle, Fahrer kann sich komplett anderen Aufgaben widmen) oder 5 (kein Lenkrad und keine Pedalerie mehr im Fahrzeug). Aktuell sind wir beim Übergang von Level 2 zu 3: Autos können in gewissen Situationen (z. B. mit dem Stauassistenten) selbstständig fahren, der Mensch am Steuer muss aber jederzeit eingriffsbereit sein. Technisch ist zwar schon mehr Automatisierung möglich, aber es gilt auch andere Fragen, wie beispielsweise die Haftung bei Unfällen, zu klären. Bis Kollege Computer vollends das Kommando im Auto übernimmt, wird es daher noch etwas dauern. Level 4 vielleicht ab dem Jahr 2025, so schätzen Experten, Level 5 nicht vor 2030. Anderswo wird die Technologie schneller die Masse erreichen können, glaubt zum Beispiel Tobias Wessels: „In Liefertrucks für die letzte Meile ergibt die Technologie aktuell mehr Sinn als in Passagierfahrzeugen“, sagt der CCO des US-Start-ups Udelv, das bis 2028 bis zu 35.000 Self-Driving-Lieferwagen auf den Markt bringen will. Warum sieht Wessels das so?
Lastenträger
Dieser Cobot eines französischen Start-ups ist eine intelligente, maschinelle Tragehilfe (bis zu 500 kg). Berührt eine Person seinen Touchscreen, folgt der EffiBOT dieser automatisch durch die Fabrik, wie hier im SEAT-Werk im spanischen Martorell. Dank seiner Sensoren, die permanent die Umgebung im 360-Grad-Winkel abscannen, benötigt er dabei keine weitere Unterstützung, selbst wenn andere Personen oder Objekte seinen Weg kreuzen.
Maschinen lassen sich nicht ablenken
Die Welt ist im Delivery-Modus. Im Corona-Lockdown waren gefühlt mehr Lieferhelden mit ihren Paketautos, Pizza-Flitzern oder Kurierfahrrädern auf den Straßen als Passanten. Noch sind all diese Fahrzeuge bemannt. Doch Personal, wenn man überhaupt noch zuverlässiges findet, kostet viel Geld, braucht Pausen und fällt gelegentlich sogar wegen Urlaub oder Krankheit aus.
„Kehr-o-Bot“
Ein bisschen sieht dieses Gerät eines finnischen Unternehmens aus wie ein überdimensionaler Saugroboter. Ist er ja auch irgendwie. Diese 3,50 Meter lange und 2,30 Meter breite XXL-Version fährt als elektrische Kehrmaschine nachts vollautomatisch durch Helsinkis Straßen. Maximal-Speed: 10 km/h. Neben mehreren Kameras, deren Aufnahmen mit KI-Bilderkennungsverfahren ausgewertet werden, kommt auch LIDAR (Light Detection and Ranging) zum Einsatz, um eine exakte Objekterkennung und fehlerfreie Kontaktvermeidung zu erreichen.
Autonome Servicemobile hingegen werden nicht müde oder krank, sie lassen sich nicht ablenken, sie erkennen dank ihrer Vernetzung Gefahrensituationen früher, sie sind einfach sicherer. „Autonome Servicefahrzeuge aller Art sind 24/7 und damit sehr effizient einsetzbar“, betont Klaus Graf, Mitglied der Geschäftsleitung bei der Schaeffler-Tochter Paravan, die mit der Drive-by-Wire-Technologie Space Drive eine redundante Elektronik-Schnittstelle zur Bedienung von Lenkung, Gas und Bremse liefert, einen wichtigen Basisbaustein zur Realisierung der autonomen Mobilitätswende.
U-Robot
Beim Projekt SeaClear, das aktuell im Hamburger Hafen getestet wird, geht es ums Beseitigen von Makroplastik am Meeresgrund. Ein „Team“ von unbemannten Unterwasserrobotern, einem Schiff und einer Drohne soll den Müll lokalisieren, als solchen klassifizieren und schließlich mithilfe kombinierter Saug- und Greifvorrichtungen einsammeln. Dieser Prozess soll, einmal angestoßen, vollkommen autonom erfolgen. Genug zu entsorgen gibt es leider. In den Ozeanen befinden sich schätzungsweise 26 bis 66 Millionen Tonnen Müll. Mehr als 80 Prozent davon auf dem Meeresboden.
Denn hoch entwickelte Systeme eines Robo-Autos reagieren schneller, als der Mensch es jemals könnte – in 0,1 statt 1,4 Sekunden, haben Berechnungen ergeben. Laut dem Beratungsunternehmen McKinsey gehen etwa 90 Prozent der Verkehrsunfälle auf Fehler des Fahrers zurück – sie könnten durch automatisierte Fahrzeuge reduziert werden.
Tankdrohne
Erstmals hat es die US Navy geschafft, einen Kampfjet in der Luft mit einer unbemannten Drohne zu betanken. Nur sechs Meter Schlauch trennten Drohne und Jet. Bei künftigen Missionen soll die MQ-25 Stingray von Boeing bis zu 8.525 Liter Treibstoff transportieren und in der Luft mehrere Jets betanken können. Die Drohne kann allerdings nicht nur zum Betanken genutzt werden, sondern auch für Aufklärungsflüge und Überwachungen.
Abgesperrte Terrains als ideale Übungsfelder
Weiterer Vorteil der autonom rollenden Boten: Im Gegensatz zu menschlichen Mitfahrern haben Pakete keine Bedenken, wenn kein Mensch am Steuer sitzt. Selbstfahrende Lieferwagen sind daher geeignete Probanden, um die Entwicklung im Bereich autonomes Fahren zu beschleunigen und neue Lösungswege gerade im wichtigen Umfeld der urbanen Mobilität zu finden. Als bestes Versuchsfeld gelten seit Jahren Fabriken: abgegrenzte Gebiete mit reduziertem Tempo, immer gleichen Strecken und so gut wie keinen anderen Verkehrsteilnehmern. Ein ideales Umfeld, um autonomes Fahren zu lernen. So wie es umherstromernde Transport-Karren, Gabelstapler und andere vollautomatisierte Roboter in der industriellen Fertigung schon seit Jahren tun: Führerlos, vollkommen autonom erkennen sie durch eine Sensorik mit 3D-Kameras, Lidar-, Ultraschall- und Lasersensoren sowie Radaraugen Hindernisse und querende Arbeiter. Klaus Graf: „Ich denke, dass auch in anderen vordefinierten Räumen autonome Fahrzeuge relativ schnell fester Bestandteil des Mobilitätsalltags werden können.“ Beispiele wären rollende Kiosk-Roboter etwa auf Campus-Arealen, rollende Apothekerschränke in verkehrsberuhigten Wohngebieten oder autonom agierende Straßenkehrmaschinen, die nachts Stadtquartiere feucht durchwischen. Auch abseits von Straßen zeichnen sich bereits Einsatzgebiete ab: In Form von selbsttauchenden Unterwasser-Reinigungsrobotern in Hafengebieten, Drohnen, die im Notfall Blutkonserven zwischen Krankenhäusern hin- und herfliegen, oder auch Fähren, die Passagiere führerlos von einem Ufer zum anderen shutteln – vieles ist möglich, einiges schon im Testeinsatz.
Smarte Lieferanten
Schlüsseltechnologie Space Drive
„All diese autonomen Fahrzeuge zu Wasser, in der Luft oder auf der Straße werden redundante Brake-by-Wire- und Steer-by-Wire-Systeme wie unser Space Drive benötigen. Deswegen sehen wir darin auch eine Schlüsseltechnologie für die Mobilität der Zukunft“, sagt Klaus Graf.
Straßenzugelassener Peoplemover
Die Hanseatische Fahrzeugmanufaktur schickt mit dem Busbee einen autonomen Elektrobus auf die Straßen, der aktuell auf einer Teststrecke in der norddeutschen Tiefebene fährt. Allerdings mit Fahrer. Gesteuert wird der Bus per Joystick mittels der Drive-by-Wire-Technologie von Schaeffler-Tochter Paravan. Busbee ist der einzige straßenzugelassene Peoplemover, das heißt, er kann bei manuellem Betrieb auch abseits der Teststrecken fahren.
Wie die Entwicklung weiter beschleunigt werden kann, weiß Graf: „Die Fahrzeugsteuerung und das Zusammenspiel der Systeme müssen weitergedacht werden.“ Eine schnelle und sichere Datenkommunikation via 5G-Datennetz spielt dabei eine entscheidende Rolle. Denn ein Drive-by-Wire-System führt letztlich nur Steuerbefehle aus. Und je mehr Daten für die Erstellung solcher Befehle zugrunde gelegt werden können, desto sicherer wird das autonome Fahren.
In einem vordefinierten Raum werden sich autonome Servicefahrzeuge relativ schnell durchsetzen
Klaus Graf,
Mitglied der Geschäftsleitung bei Schaeffler Paravan
Die Fahrzeuge müssen kommunizieren lernen und Informationen aufsaugen. Im Dialog mit anderen Fahrzeugen (Car2Car-Kommunikation), mit nicht motorisierten Verkehrsteilnehmern, mit der Verkehrsinfrastruktur oder mit anderen Informationsquellen wie Verkehrsfunk und Wettervorhersagen (Car2x-Kommunikation). Und warum soll eine Schule den nahenden Verkehr nicht warnen, dass gleich Pause ist und ein erhöhtes Risiko besteht, dass möglicherweise Kinder auf die Straße laufen könnten? Das vernetzte Fahrzeug schaut also sprichwörtlich um die Ecke und sogar durch Wände. Es erkennt Gefahrenquellen frühzeitig und wird selbst zum Frühwarnsystem für den nachkommenden Verkehr. Gute Voraussetzungen also, um nicht nur seine Waren in einem Selbstfahrer in sicheren Händen zu wissen, sondern in naher Zukunft auch sich selbst – entspannt zurückgelehnt und die Fahrzeit sinnvoll nutzend.
Der Weg in eine autonome Mobilität
Schaeffler präsentiert mit Space Drive 3 Add-ON die nächste Generation des Steer-by-Wire-Systems, der mehrfach redundanten Schlüsseltechnologie für autonomes Fahren. Für Schaeffler bedeutet dieser Schritt den Einstieg in die Kleinserienfertigung.
Das auf dem Standard für Steuergerätesoftware im Auto (AUTOSAR) basierte System in Generation 3 erlaubt eine direkte Anbindung an die Fahrzeugelektronik sowie Kommunikations- und Netzwerkarchitekturen, was die Integration in bereits existierende Fahrerassistenzsysteme ermöglicht. „Space Drive 3 ist ein großer Meilenstein für uns“, sagt Viktor Molnar, Leiter des Unternehmensbereichs Fahrwerksysteme bei Schaeffler.
„Wir können unseren Kunden damit ein serientaugliches Steer-by-Wire-System bei maximaler Skalierbarkeit und Flexibilität liefern. Außerdem können jegliche Lenkparameter aufgezeichnet werden. Damit wird in automatisiert fahrenden Fahrzeugen eine Rückkommunikation an das Advanced Driver Assistance System (ADAS) möglich“, so Molnar.
Mit dem Rolling Chassis demonstriert Schaeffler auf der IAA darüber hinaus, wie innovative Antriebs- und Fahrwerkstechniken künftig aussehen können – als flexible, skalierbare Plattformen für neue, fahrerlose Mobilitätslösungen für den Personen- oder Gütertransport oder für Sonderanwendungen wie etwa Reinigungsmaschinen.
Die modulare Plattform zeigt die große Bandbreite an Technologien von Schaeffler und bietet eine flexible Architektur: Bezüglich Lenkung und Antrieb sind je nach Kundenanforderungen verschiedenste Varianten umsetzbar – vom einfachen Antrieb über eine E-Achse und eine zentrale Lenkung bis zum Einsatz von vier Schaeffler Corner Modules. Die Corner Modules, die jeweils einen Radeinschlag von bis zu 90 Grad ermöglichen, wurden weiter in Richtung Serienreife und Skalierbarkeit entwickelt. Sie umfassen den Radnabenmotor, die Radaufhängung inklusive Luftfederung, die es ermöglicht, das Fahrzeug für den Einstieg abzusenken, den Aktor für die elektromechanische Lenkung und eine Bremse.