Abwasser als Ressource

Von Lars Krone
„Hauptsache weg“ war lange Zeit das Hauptmotiv bei der Abwasserentsorgung. Doch Experten fordern einen Paradigmenwechsel im Sinne einer nachhaltigeren Kreislaufwirtschaft: Abwasser muss zur Ressourcenquelle werden.
© Ivan Banduraac (Unsplash)

Pfui, bäh! Das Thema Abwasser ist, ähm, etwas anrüchig. Das erklärt vielleicht, warum es so lange gedauert hat, bis man dessen Wert als Ressource entdeckt hat. Oder um historisch korrekt zu sein: wiederentdeckt hat. Denn unter anderem schon die alten Römer, in Sachen Kanalisation ihrer Zeit ohnehin weit voraus, gewannen aus Exkrementen Dung und nutzen Harnstoffe für die Gerberei und Färberei. Danach versickerte das Thema Abwasser lange Zeit größtenteils sprichwörtlich im Boden. Erst mit der Industrialisierung und dem schnellen Wachstum der Städte im 18. und 19. Jahrhundert wurde es wieder wichtig, denn die stinkenden Rinnsale, die sich durch sie Straßen zogen, waren nicht nur unappetitlich, sondern ein Seuchenherd. In den folgenden Jahrzehnten bis heute wurden daraufhin endlose Rohrlabyrinthe unter den Städten der Welt verbuddelt. Allein im Kellergeschoss der Europäischen Union sollen sich 2,5 Millionen Kilometer Abwasserrohre entlangschlängeln, genug, um die Erde 62-mal zu umwickeln. Der Wert des Leitungssystems: rund 2,5 Billiarden Euro.

Aber Rohre sind nur ein Teil der Lösung, insbesondere dann, wenn sie in einem Fluss oder sonstwo in der Natur enden. In Südamerika beispielsweise werden derzeit nur knapp zehn Prozent der Abwässer in den größeren Städten in einer Kläranlage gereinigt. Für den Rest gilt das Motto: aus dem Auge, aus dem Sinn. So weit, so bäh. Um die Umwelt zu schonen, ist ein klassisches Klärwerk zur Reinigung der stinkenden Entsorgungsfracht am Ende des Rohrs unumgänglich. Allerdings bleiben die Überreste der Aufbereitung, der sogenannte Klärschlamm, oft ungenutzt. Er wird einfach verbrannt. Und mit ihm wertvolle Ressourcen: Rohstoffe und Energiegewinnungspotenziale.

Forscher auf der ganzen Welt arbeiten daran, diese Ressourcen zu heben. So auch das Fraunhofer-Institut. Dort haben Ingenieure und Wissenschaftler bereits verschiedene Technologien erprobt. Dazu gehört die elektrochemische Wasserbehandlung, mit der zum Beispiel Sulfate gewonnen werden, die als Düngemittel in der Landwirtschaft dienen können. Aber auch Metalle wie Aluminium, Eisen, Mangan oder Nickel können so herausgelöst und recycelt werden – angesichts stetig steigender Rohstoffpreise eine ebenso ökologische wie ökonomische Lösung.

"Abwasser als Ressource": Fraunhofer-Forschende haben in einer gleichnamigen Machbarkeitsstudie die Möglichkeiten erforscht.

Ein anderes Verfahren ist die Hochlastfaulung, die auf Kläranlagen implementiert wird. Diese setzt den anfallenden Schlamm nicht nur zu Biogas als regenerative Kohlenstoff- und Energiequelle um, sondern liefert zudem Schlammwasser und Gärreste als weitere nutzbare Stoffströme. Metalle, Dünger, Energie – Abwasser hat eine Menge zu bieten. Nicht zuletzt: Wasser. „Wiederverwertetes Wasser wird eine immer wichtigere Bewässerungsquelle“, sagt auch EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius aus Litauen.

  • Abwasser enthält organische Inhaltsstoffe und Nährstoffe, die genutzt oder zurüc ...
    Abwasser enthält organische Inhaltsstoffe und Nährstoffe, die genutzt oder zurückgewonnen werden können. © Marius Mohr (Fraunhofer IGB)
  • Die Hochlastfaulung bietet die Möglichkeit, die Inhaltsstoffe im Abwasser verfüg ...
    Die Hochlastfaulung bietet die Möglichkeit, die Inhaltsstoffe im Abwasser verfügbar zu machen.
    © Verbandsgemeindewerke Edenkoben
  • Aus Abwasser können Nährstoffe als Dünger zurückgewonnen werden und herkömmliche ...
    Aus Abwasser können Nährstoffe als Dünger zurückgewonnen werden und herkömmliche Düngemittel ersetzen.
    © Fraunhofer IGB
Früh trennen und aufbereiten

Weil Abwasser so ergiebig ist, stellt Kai Udert, Professor am Institut für Umweltingenieurwesen an der ETH Zürich, die Frage, warum Abwasser selbst in führenden Industrienationen einer der letzten linearen Abfallströme sei. „Alles, ob schmutzig oder sauber, landet im selben Topf und wird entsorgt – das ist ineffizient und schafft etliche Probleme, die man seit Jahren zu beheben sucht“, bemängelt er. Er und seine Fachbereichskolleginnen und -kollegen plädieren in einem Beitrag auf der ETH-Website für einen Paradigmenwechsel in der Abwasserwirtschaft. Sie propagieren zum einen die Stofftrennung an der Quelle. Diese erleichtert die Aufbereitung und auch Rückgewinnung enthaltener Wertstoffe, außerdem wird so der Frischwasserverbrauch reduziert.

„Dass wir Kot, Urin und leicht verschmutztes Grauwasser aus Bad und Küche mit Trinkwasser verdünnen, um sie durch die Kanalisation zu transportieren, ist eigentlich absurd.“

Kai Udert, Professor am Institut für Umweltingenieurwesen an der ETH Zürich

Zum anderen sollen kleine, hocheffiziente, dezentrale Kläranlagen die Abwässer flexibler und so nah wie möglich an der Quelle reinigen, um lange Transportwege zu sparen. Außerdem weist Professor Kai Udert darauf hin, dass solche dezentralen Klein-Klärwerke auch eine Lösung sein könnten, um die Abwässer der 2,3 Milliarden Menschen zu reinigen und zu nutzen, die bislang an keinerlei Kanalisation angeschlossen sind. Solche Kleinanlagen ließen sich laut ETH mit einem Biogasrektor kombinieren. Dort könnte in einem Gummiballon Methangas aus einem anaeroben Gärprozess des Fäkalschlamms gewonnen und beispielsweise zum Kochen genutzt werden.

Hier laufen Klospülungen bald mit Spülwasser

Beispiele für eine Stofftrennung an der Quelle findet man in dem Hamburger Außenbezirk „Jenfelder Au“. Dort trennt Versorger „Hamburg Wasser“ bereits Grau- vom Schwarzwasser, das über spezielle Unterdrucktoiletten zu einer Biogasanlage im Quartier befördert wird. Das Grauwasser wird gesondert in einem zweistufigen Prozess aufbereitet. Zunächst wird das Abwasser biologisch behandelt. In einem sogenannten Festbettbioreaktor bildet sich Schlamm, in dem Mikroorganismen Schmutzstoffe entfernten. Anschließend gelangt das Wasser in eine Spezialfilteranlage mit Ultrafiltrationsmembran, in der die noch verbliebenen Mikroschadstoffe entfernt werden. Übrig bleibt Wasser, das zwar nicht trinkbar ist, aber das alle Anforderungen an Brauchwasser erfüllt und bedenkenlos genutzt werden könnte, um beispielsweise den Spülkasten einer Toilette zu befüllen oder um eine Grünfläche zu wässern.

Noch ganz dicht?

Für eine Umstrukturierung des bestehenden Wassersystems spricht auch ein weiterer Punkt: Viele Rohre sind nicht ganz dicht. So versickert europaweit jeder vierte Liter Trinkwasser im Erdreich. In manchen Regionen Italiens, einem in den letzten Jahren besonders dürregeplagten Land, sind es bis zu 80 Prozent. Die Weltbank beziffert den dadurch entstehenden wirtschaftlichen Schaden auf 14 Milliarden Dollar weltweit. Zwar geht das Wasser nicht verloren, über das Grundwasser gelangt es irgendwann wieder in den Kreislauf, aber aktuell fehlt es: zum Beispiel auf Feldern. Ein noch größeres Problem verursachen Leckagen in Abwasserleitungen, durch die Metalle, Medikamentenrückstände und andere, zum Teil giftige Stoffe, die eigentlich recycelt werden sollten, ins Erdreich gelangen und damit irgendwann auch ins Grundwasser. In den USA sind es 860 Milliarden Liter pro Jahr. Genug, um jedem Amerikaner jede Woche ein Bad einzulassen. Wobei sich natürlich niemand freiwillig in die Brühe reinlegen würde …

Wie groß der Handlungsbedarf ist, zeigt auch der Blick nach Spanien: 23 Milliarden Euro will das wie Italien dürrebedrohte Land in den kommenden Jahren investieren, um marode Bestandsinfrastruktur zu reparieren und neue Anlagen und Systeme zu implementieren, zum Beispiel eine Großaufbereitungsanlage für Brauchwasser. Auch dieses Beispiel zeigt, welch wachsende Bedeutung Wasser als Ressourcenquelle hat.