Aufbruch in eine neue Zeit
Rennfahrer Lucas di Grassi, der als Vorreiter auf dem Gebiet von Zukunftstechnologien gilt und für das Team Audi Sport ABT Schaeffler in der Elektrorennserie Formel E antritt, stellt klar: „Der Motorsport muss sich dem anpassen, was für die Industrie relevant ist, sonst werden die großen finanziellen Investitionen verschwinden.“ Timo Bernhard, im Hybrid-Porsche zusammen mit Schaeffler zweimal Sieger bei den 24 Stunden von Le Mans und zudem Langstrecken-Weltmeister, sieht den Motorsport in der Lage, auch perspektivisch die Rolle des Zukunftslabors zu besetzen: „Technische Innovationen benötigen ein Umfeld, in dem sie ausgetestet werden können, und der Motorsport liefert dazu die idealen Wettkampfbedingungen.“ Genau deshalb setzt Bernhard mit seinem KÜS Team75 Bernhard einen Porsche 911 GT3 R mit der Drive-by-Wire-Technologie Space Drive von Schaeffler Paravan ein. In dem Sportwagen wird dabei die mechanische Verbindung zwischen Lenkeinheit und -getriebe durch digitale Technik ersetzt (siehe Infokasten unten).
Nach E kommt H. Und was noch?
Seit jeher ist der Motorsport Keimzelle und Prüfstand für Innovationen. Verliert er diese Doppelrolle, verliert er an Relevanz für Autohersteller und Industrie. Was weitreichende Folgen haben kann, denn ohne Gelder aus der Industrie ist Motorsport auf höchstem Niveau kaum finanzierbar. Das weiß auch der internationale Automobilverband FIA und ebnet daher Zukunftstechnologien bereitwillig die Wege in den professionellen Rennsport. So nimmt die durch die Formel E durchgestartete Elektrifizierung des Motorsports immer mehr Fahrt auf. Selbst der Nachwuchs setzt im Kartsport schon auf Strom. In Deutschland schreibt der ADAC zusammen mit Opel einen Elektro-Rallye-Cup für junge Talente aus. Nach der Formel 1 wird ab 2022 auch die Rallye-WM mit Hybridantrieben teilelektrisiert – mit Know-how von Schaeffler (siehe Infokasten).
Die Leidenschaft für Rennsport und Adrenalin wird immer bleiben, auch wenn der Motorsport künftig ein viel breiteres Spektrum abdecken wird. Traditionelles Racing, Formel E, Roborace oder Drohnenrennen – all diese Arten des Rennsports werden ihre Fanbase haben und koexistieren
Lucas di Grassi
Zukünftig werden weitere Antriebskonzepte eine Rolle spielen. Die Macher der 24 Stunden von Le Mans wollen eine Klasse für wasserstoffangetriebene Fahrzeuge ins Rennen schicken. Das Interesse an der Technologie ist groß: Sieben Automobilhersteller und Zulieferer sind in die Entwicklung des Reglements involviert. „Im Laufe der Jahrzehnte hat der Motorsport als Labor die Entwicklung von Technologie und Sicherheit vorangetrieben“, sagt FIA-Präsident Jean Todt. „Davon haben wir alle profitiert. Die Einführung der Klasse für Wasserstoff ist der nächste wichtige Schritt auf dem Weg in eine sauberere und nachhaltige Zukunft“.
Aber nicht nur auf der Antriebsseite und in anderen klassischen Mobilitätsbereichen setzt der Motorsport neue Impulse. Auch andere global relevante Zukunftstrends kann er als Innovationsplattform besetzen. Das sogenannte Roboracing mit eigenständig fahrenden Rennwagen ist eine ideale Spielwiese für Entwicklungen in den Bereichen Digitalisierung und Automatisierung. Denkbar ist auch die Teilautomatisierung klassischer Rennserien. So könnten Rennautos zukünftig bei Safety-Car-Phasen oder bei Boxenstopps automatisiert gesteuert werden. Auch Reifenwechsel und Betankungen durch Roboter sind denkbar. Die Urbanisierung unseres Planeten und die damit einhergehende Entwicklung der Fahrzeugkategorie der Micromobile wird in der geplanten Rennserie für bis zu 100 km/h schnelle E-Scooter aufgegriffen. Wie beim Roboracing gehört auch hier Lucas di Grassi zu den treibenden Kräften. Für das Trendthema vertikale Mobilität – mit einem von Porsche Consulting prognostizierten Marktvolumen von 75 Milliarden Dollar im Jahr 2035 – steht ebenfalls ein Motorsport-Äquivalent in den Startlöchern: Drohnen-Rennen mit bemannten Multikoptern. Airspeeder heißen die Elektroflitzer der Lüfte. Airbus hat ebenfalls das Rennfieber gepackt. Der Flugzeugbauer engagiert sich im Air Race E, einem Kräftemessen für elektrisch angetriebene Propellermaschinen. Die dabei gesammelten Erfahrungen sollen helfen, Reichweiten, Automatisierung und Kosten von E-Flugzeugen zu optimieren, um diese interurbane Fortbewegung einer breiten Kundenschicht zugänglich zu machen.
Auch beim Leichtbau ist der Motorsport traditionell Vorreiter für die Serie, zunächst mit Aluminium, später mit Kohlefaserkunststoffen. Der neueste Trend im Rennwagenbau, der zukünftig auch Serienautos nicht nur leichter, sondern auch nachhaltiger machen soll: Biofaser-Werkstoffe. Bei innovativen Produktionsverfahren will der Motorsport ebenfalls beschleunigend wirken, allen voran im 3D-Druck. Auch diese Technologie soll durch den Einsatz im Motorsport weiter Richtung Serie getrimmt werden.
Vielfalt sticht
„Der Motorsport hat so viele Disziplinen mit unterschiedlichen Herausforderungen, die man wunderbar dazu nutzen kann, um Technologien zu optimieren“, bilanziert Bernhard. Dass konservative Motorsportfans beklagen, dass das fahrerische Können im technischen Wettrüsten zunehmend an Bedeutung verliert, kann der PS-Profi nur bedingt nachvollziehen. Er findet, das Kräftemessen der Technologien gehöre im modernen Motorsport dazu und sei nicht minder reizvoll. Gleichwohl betont der Profi, dass der Motorsport bei Weitem nicht nur als Technologieschmiede eine Daseinsberechtigung hat: „Sondern auch, weil Menschen weltweit und durch alle gesellschaftlichen Schichten und Altersgruppen hindurch Motorsport als ihren Sport, ihr Hobby und ihre Leidenschaft ausgewählt haben. Das ist aus meiner Sicht ein ganz entscheidender Faktor, der dem Motorsport nach wie vor eine große gesellschaftliche Relevanz zuschreibt.“ Ob sich Motorsportler in 30 oder mehr Jahren mit Rennwagen beharken, die auf Magnetfeldern gleiten, oder in Pod-Racern wie in den Star-Wars-Filmen, will Bernhard nicht vorhersagen: „Das kann man gar nicht, dafür entwickelt sich die Technik viel zu schnell weiter“. Nicht zuletzt dank des Motorsports ...
Schaeffler: Mit Motorsport in die Zukunft
Kennzeichen E
Schaeffler nutzt seit vielen Jahren die Möglichkeiten des Motorsports, um innovative Technologien zu erproben. Bestes Beispiel: die Formel E. „Das in der Formel E gewonnene Know-how fließt von der Rennstrecke direkt in die Serienentwicklung ein, so etwa in die Bereiche E-Achse, Hybridgetriebe oder E-Motoren für elektrische Antriebe“, erklärt Dr. Jochen Schröder, Leiter des Unternehmensbereichs E-Mobilität bei Schaeffler. Aber es geht nicht allein um Systemverständnis, Materialerprobung oder Effizienzsteigerung – Schaeffler geht es auch darum, das Thema Elektromobilität in der öffentlichen Wahrnehmung mit Emotionen positiv zu behaften.
Das Beste aus zwei Welten
2022 schlägt Schaeffler ein neues, zukunftsgerichtetes Motorsport-Kapitel auf: Die Konzerntochter Compact Dynamics setzte sich gegen ein hochkarätiges Bewerberfeld durch und wird exklusiver Lieferant für das Hybridsystem der FIA-Rallye-Weltmeisterschaft (WRC). Das hochperformante Hybridsystem in P3-Topologie (E-Motor hinter dem Getriebe) vereint Motorgenerator, Steuereinheit und zugelieferte Batterie auf engstem Bauraum – und das bei höchster Leistungsdichte. Erste Fahrzeugtests sind für 2021 vorgesehen.
Wegbereiter des autonomen Fahrens
Digital statt mechanisch: Drive-by-Wire-Systeme wie Space Drive von Schaeffler Paravan sind eine Schlüsseltechnologie für das autonome Fahren. Um die schon heute sehr ausgereifte Innovation (mehr als eine Milliarde ausfallfrei absolvierte Kilometer im Straßenverkehr) weiter zu optimieren, wird Space Drive als elektronisches Lenksystem auch im Motorsport eingesetzt, zum Beispiel im Porsche 911 GT3 R vom KÜS Team75 Bernhard und in einem Rallye-Fiesta des ehemaligen Rallye-WM-Piloten und langjährigen Schaeffler-Markenbotschafters Armin Schwarz. Das Ziel hier wie dort: die ungefilterte 1:1-Sensibilität einer mechanischen Lösung mit den digitalen Möglichkeiten von Space Drive zu kombinieren. So sollen Fahrer beispielsweise ein individuelles „Steering-Mapping“ wählen können, das sich während des Rennens automatisch einer sich verändernden Fahrzeug-Balance anpasst und so den Reifenverschleiß deutlich vermindert. Auch im vollautonomen Rennsport kommt Space Drive zum Zug. So ist geplant, dass Schaeffler Paravan alle Teams der Indy Autonomous Challenge ausrüstet. Bei dem mit 1,5 Millionen US-Dollar dotierten Event, für den Studierende von insgesamt 37 Hochschulen und Universitäten gemeldet sind, sollen am 23. Oktober 2021 selbstständig fahrende Roboracer ein 20-Runden-Rennen bestreiten. Austragungsort: der legendäre Indianapolis Speedway.