Besessen von Reduktion
Exakt um 22:24 Uhr setzen die Räder der „Spirit of St. Louis“ am Abend des 21. Mai 1927 auf dem Pariser Flugfeld Le Bourget auf. Hunderttausende Franzosen waren gekommen, um dem neuen Helden der Luftfahrtgeschichte zuzujubeln. Die Menge rennt die Zäune nieder, flutet die Landebahn, bald feiert die ganze Welt den Erfolg des Flugpioniers Charles Augustus Lindbergh, eines 25-jährigen Postfliegers und Flugakrobaten aus den Vereinigten Staaten.
Der amerikanische Präsident Calvin Coolidge schickt sogar extra ein Schlachtschiff über den Atlantik, um den umschwärmten Nationalhelden nach Hause zu holen, wo ihn die größte Konfettiparade erwartet, die New York je gesehen hat. „Lucky Lindy“, wie Lindbergh genannt wird, hat es geschafft! Solo nonstop über den großen Teich. Vom Big Apple bis in die Stadt der Liebe. Aber wie hatte er es geschafft? Was war sein Erfolgsrezept? Um es sofort auf den Punkt zu bringen: Es war der Verzicht auf jeden (aus seiner Sicht) überflüssigen Schnickschnack! Und wenn dazu selbst eine Frontscheibe gehört.
„Wenn man kein Risiko eingehen würde, würde man überhaupt nicht fliegen. Die Sicherheit liegt in der Beurteilung der Risiken, die man eingeht“
Charles A. Lindbergh (*1902 in Detroit; †1974 auf Hawaii)
Lindberghs Lektion war damals so lehrreich wie heute: Maximale Gewichtsreduktion um den Energieverbrauch zu minimieren. Außerdem schlug er zwei Fliegen mit einer Klappe: Anders als seine Konkurrenten (u.a. Flugzeugbauer Anthony Fokker), die mehr Geld in die Entwicklung stecken konnten, musste Lindbergh für seinen Solo-Flug auf die bereits vorhandenen technischen Mittel des Flugzeugbaus der 1920er-Jahre zurückgreifen. Und die waren überschaubar. Aber seine simpel strukturierte, einmotorige „Spirit of St. Louis" erfüllte genau Lindberghs Maxime: weniger ist mehr. Weniger Flugzeuggewicht für mehr Tankvolumen. Denn eins war ihm klar: Der Sprung über den Atlantik würde viel Treibstoff erfordern.
Wettbewerb weckt Lindberghs Ehrgeiz
Blicken wir zunächst ein paar Jahre zurück: Schon als kleiner Bub interessiert sich Charles Lindbergh für technische Zusammenhänge. Auch die Fliegerei hat es ihm angetan, auch wenn er selbst „nie nah genug an einer Maschine dran war, um sie zu berühren“, wie er sich später in seinem Buch „We“ erinnerte. Es sind die Anfangsjahre der Fliegerei, in denen sich quasi monatlich historische Luftfahrt-technische Pionierleistungen ereignen. Bereits kurz vor Lindberghs Geburt 1901 soll dem fränkischen Flugpionier Gustav Weißkopf der erste bemannte Motorflug der Menschheit gelungen sein. Noch vor den allseits bekannten Brüdern Wright, die ihren epochalen ersten motorisierten Flug 1903 starten – knapp zwei Jahre nach Lindberghs Ankunft. 1916 beginnt ein gewisser William Boeing mit der Produktion von Flugzeugen. Und schon 1919 überquert das britische Duo John Alcock und Arthur Whitten Brown erstmals den Atlantik zwischen Neufundland und Irland nonstop mit einem Flugzeug.
Im selben Jahr lobt ein Pariser Hotelier namens Raymond Orteig einen Preis von 25.000 Dollar aus für den ersten Nonstop-Flug zwischen New York und Paris. Lindbergh packt der Ehrgeiz. Er beginnt ein Maschinenbaustudium, das er aber nach knapp zwei Jahren zugunsten einer Piloten- und Mechaniker-Ausbildung abbricht. Er kauft sich eine Curtiss JN-4 Jenny und zieht als Kunstflieger durch die USA. Mittlerweile bei der Army schließt er 1924 seine Flugausbildung als Klassenbester ab und arbeitet im Anschluss als Postflieger.
Mithilfe von Spenden, einem Darlehen und all seinen Ersparnissen kratzt er soviel Geld zusammen, dass er den eher unbekannten Flugzeughersteller Ryan Aeronautical aus San Diego mit dem Bau einer einmotorigen Maschine beauftragen kann. Nur zwei Monate dauert es, die „Spirit of St. Louis“ zu entwickeln und zu bauen. Mit der Namensgebung bedankt sich Lindbergh bei seinen Geldgebern, die aus der Stadt am Mississippi stammen. Das Flugzeug besteht aus Stahlrohr und Holz und ist mit Stoff verkleidet. Zur technischen Ausstattung gehören zudem Lager der späteren Schaeffler-Marke FAG. An Bord gibt es nur einen Motor, Lindbergh ist der Meinung, dass das Risiko eines Motorenausfalls mit der Zahl der Motoren steigt.
Schaeffler-Lager für die Luftfahrtindustrie
Früher Lindbergh, heute Langstreckenjets: Mit seiner Sparte Aerospace ist Schaeffler ein seit Jahrzehnten innovativer Partner der Luft- und Raumfahrtindustrie. Auch in Zukunft wird das Unternehmen die Triebwerksentwicklung mit neuesten Fertigungstechnologien und -prozessen unterstützen. Ein Beweis für die starke Marktposition von Schaeffler ist die seit 40 Jahren bestehende Zusammenarbeit mit Rolls-Royce, einem der international führenden Triebwerkshersteller. Jüngst vereinbarten die beiden Partner weitere zwölf Jahre eng zu kooperieren, beginnend 2024. Eine solch lange Bindung ist nicht nur in der Luftfahrtindustrie ungewöhnlich. Der Schwerpunkt der Zusammenarbeit liegt auf Wälzlagersystemen für Flugzeugtriebwerke in den Wachstumsbereichen Business-Jets und Großraumflugzeuge. Außerdem vereinbarten die beiden Partner die Lieferung von wiederaufbereiteten Lagern. Der verlängerte Lebenszyklus der Produkte spart CO2-Emissionen und Ressourcen ein.
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Verzicht auf Funkgerät und Sextant
Am 20. Mai 1927 um 7:52 Uhr startet Lindbergh seinen Rekordversuch. Aber nicht ohne vorher „Großreinezumachen“, sprich ohne gnadenlos auszusortieren. Lindbergh sei besessen gewesen von Gewichtsreduzierung, legt Autor Dan Hampton, ein pensionierter Luftwaffenpilot, später in seinem Bericht „Der Flug: Charles Lindberghs waghalsige und unsterbliche Transatlantiküberquerung von 1927“ dar. Um die maximale Menge an Treibstoff zu tanken, vergrößert er nicht nur die Flügel, sondern verzichtet selbst auf vermeintliche Leichtgewichte und mögliche Lebensretter wie Fallschirm, Tankanzeige, Funkgerät und Sextant zur Navigation. Stattdessen fliegt er nur mit Armbanduhr, Landkarten und einem Kompass. Und trotzdem erreicht er Irland nur wenige Meilen abseits des geplanten Kurses.
Auch eine Frontscheibe hat die „Spirit of St. Louis“ nicht. Wozu auch: Ein zusätzlich ins Cockpit eingebauter Tank versperrt ihm ohnehin die Sicht. Nur dank eines von ihm entwickelten kleinen Periskops kann er nach vorne sehen. Statt in einem dicken, gefederten Pilotensitz hockt er beim Überflug fast 34 Stunden in einem leichten Weidenkorb. Selbst die Wechselklamotten für die mögliche Siegesfeier lässt er zu Hause. Und gegen den Durst soll eine einzige Flasche Wasser helfen. Die paar Sandwiches, die er mitnimmt, vergisst er zu essen, so angespannt ist er während seines waghalsigen Abenteuers. Denn das ist nicht ohne Komplikationen.
Laut Hamptons Aufzeichnungen fliegt Lindbergh teilweise nur wenige Meter über den Wellen des Atlantiks, um heftigen Schneestürmen auszuweichen. Seine Vergaser-Heizung, die verhindern soll, dass der Motor bei nasskalten Bedingungen vereist, ist fest verdrahtet in der „On“-Position. Nach 17 Stunden schläft er sogar ein und wird erst wieder geweckt, als die Gischt durchs Seitenfenster spritzt. Eigentlich nicht zu glauben, dass er einschlafen konnte, zeichnet sich seine „Spirit of St. Louis“ doch durch eine gewisse Hibbeligkeit aus, da sie durch notwendige Modifikationen am Heck schwer zu kontrollieren ist.
Technische Daten „Spirit of St. Louis“
Länge: 8,56 Meter
Spannweite: 14,03 Meter
Höhe: 3,04 Meter
Flügelfläche: 29,64 m²
Leermasse: 974 kg
Startmasse: 2330 kg
Höchstgeschwindigkeit: 220 km/h
Motor: Triebwerk 9-Zylinder-Sternmotor Wright J-5C Whirlwind, 223 PS (166 kW)
Zu schaffen macht Lindbergh aber noch mehr: Halluzinationen. Nach 22 Stunden Nonstop-Flug erscheinen ihm „Gespenster im Kopf“. Lindbergh sieht erst wieder Land, als er buchstäblich Land sieht: die Südwestküste Irlands. Über Südengland und die Normandie geht es nach Paris, wo er vollgepumpt mit Euphorie noch eine Ehrenrunde um den gut beleuchteten Eiffelturm dreht. Angeblich soll sich Lindbergh sogar überlegt haben, nach Rom weiter zu fliegen, weil noch genügend Treibstoff im Tank war. Aber davon sieht er zum Glück ab. Wer weiß, ob sie ihn in Italien überhaupt so begeistert empfangen hätten wie in Paris.
Was Sie noch über Lindbergh wissen sollten
Charles A. Lindbergh war zeitlebens eine schillernde Persönlichkeit mit allerlei Facetten – ein streitbarer Pionier mit Popstar-Appeal.
- 1930 starb Lindberghs Schwägerin an einer Herzerkrankung. Der wunderte sich, dass es nicht möglich war, seine Verwandte durch ein künstliches Herz zu retten. Er wandte sich an den Medizin-Nobelpreisträger Alexis Carrel, einen experimentellen Chirurg am Rockefeller Institute for Medical Research. Gemeinsam forschten sie vier Jahre lang an einem Gerät, mit dem es möglich war, eine Niere, eine Schilddrüse, einen Eierstock oder ein Herz wochenlang im Labor am Leben zu halten. Später wurde Lindberghs Pumpe von anderen Wissenschaftlern weiterentwickelt, was letztlich zur Entwicklung der ersten Herz-Lungen-Maschine führte.
- Lindbergh schrieb mehrere Bücher über seinen Flug, darunter das 1953 veröffentlichte „The Spirit of St. Louis“. Für dieses Werk erhielt er 1954 den Pulitzer-Preis.
- Als Sprecher des America First Committee (AFC) – einer Bewegung, die den Eintritt der USA in den 2. Weltkrieg verhindern wollte – hielt Lindbergh 1941 eine vielbeachtete Rede, nach der er als Antisemit beschimpft wurde. Lindbergh-Biograf Rudolf Schröck belegte später im Buch „Das Doppelleben des Charles A. Lindbergh“, dass der „Engel der Lüfte“ weder Nazi-Sympathisant noch Judenhasser gewesen sei. Lindbergh flog nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor sogar 50 lebensgefährliche Bombereinsätze. Schröck: „Handelt so ein Faschisten-Freund?“
- Aus der Ehe mit Anne Spencer Morrow gingen sechs Kinder hervor. Am 1. März 1932 wurde ihr Sohn Charles III entführt und später umgebracht. Für die Tat wurde der deutsche Emigrant Bruno Richard Hauptmann verurteilt und 1936 hingerichtet. Bis heute gibt es Zweifel an seiner Schuld. Die Tötung des Lindbergh-Babys trotz Lösegeldzahlung inspirierte Agatha Christie zu ihrem 1934 erschienenen Roman „Mord im Orient-Express“.
- Charles Lindbergh starb 1974 vereinsamt auf Maui/Hawaii.