Damit können Sie rechnen
Die Aufregung in der internationalen Physikergemeinde ist immer noch groß: Hat Googles Quantencomputer „Sycamore“ nun die sogenannte Quantenüberlegenheit erreicht, wie die Forscher aus Mountain View in ihrer wissenschaftlichen Veröffentlichung im Fachmagazin „Nature“ vom Oktober dieses Jahres schreiben – oder nur „ein bisschen“, wie Hauptkonkurrent IBM schnell in einem eigenen Papier vorrechnete?
Der Suchmaschinen-Riese gibt an, Sycamore brauche für die ihm gestellte Aufgabe – das sogenannte Random Circuit Sampling, bei dem es darum geht, den Quantencomputer Zahlenfolgen berechnen zu lassen und anschließend zu überprüfen, ob diese wirklich einer von der Quantenphysik vorgegebenen Verteilung folgen – genau drei Minuten und 20 Sekunden. Sein Widersacher, der auf normalen Bits und Bytes basierende Supercomputer „Summit“, würde für diese Berechnung 10.000 Jahre herumkalkulieren. Das Pikante: Summit, der seit 2018 schnellste Rechner der Welt, stammt von IBM.
Quanten- und Supercomputer teilen sich die Arbeit
IBM-Forschungschef Dario Gil wollte dieses Ergebnis nicht einfach so stehen lassen: Wenn man Zwischenergebnisse bei dieser Berechnung auf Festplatten und nicht im Arbeitsspeicher ablege, brauche Summit nicht 10.000 Jahre, sondern im schlechtesten Fall nur 2,5 Tage. Von einer echten Quantenüberlegenheit im Sinne der strengen Definition, dass ein herkömmlicher Superrechner bei einem bestimmten Problem überhaupt keine Chance mehr gegen einen Quantencomputer hätte, könne man daher nicht sprechen.
Gil stört sich aber bereits an den Begrifflichkeiten: Das Wort „Überlegenheit“ impliziere, dass Quantencomputer immer besser seien als Superrechner und diese komplett verdrängen werden. Eben das sei nicht so, sagt Gils deutscher Kollege Ingolf Wittmann, der das Thema Quantum Computing in Europa vorantreibt: „Vielmehr wird es künftig so sein, dass sich Quantencomputer und herkömmliche Supercomputer die Arbeit teilen werden.“
Qubits statt Bits
Die Quantencomputer werden nur dort zum Einsatz kommen, wo herkömmliche Supercomputer an Grenzen stoßen, erklärt der Experte. Zum Beispiel im Bereich der Chemie: „Das Koffein-Molekül ist nicht sonderlich kompliziert aufgebaut und hat 95 Elektronen. Wenn man allerdings seine exakte Bindungsenergie berechnen möchte, benötigt man mehr klassische Bits, als Atome im Weltall vorhanden sind.“ Ein Quantencomputer mit 160 Quantenbits – kurz Qubits – würde das nach Wittmanns Einschätzung aber schaffen. Der gewaltige Unterschied in der Rechenkraft liegt daran, dass Qubits vollkommen anders funktionieren als normale Bits. Können Letztere stets nur die beiden Werte „0“ oder „1“ annehmen, existiert für Qubits auch ein Zwischenzustand. Das Qubit kann dabei beide Werte auf einmal repräsentieren. Spannend wird es aber erst, wenn mehrere Qubits miteinander verbunden werden. Physiker sprechen hier von der sogenannten Verschränkung.
Leistung wächst exponentiell
Stecken in zwei solcherart verbundenen Qubits vier Zustände gleichzeitig, sind es bei drei Qubits schon acht Zustände, bei vier 16 Zustände und so weiter. Die Zahl der Zustände wächst exponentiell mit der Zahl der verschränkten Qubits. 20 Qubits entsprechen grob der Rechenkraft eines klassischen Notebooks, sagt Wittmann. Systeme mit 53 Qubits wie Sycamore, wie sie auch IBM anbietet, liegen in der High-Performance-Computing-(HPC-)Klasse, die Summit anführt. Auch die HPC-Rechner verbessern sich kontinuierlich, sagt Wittmann. Das Arbeitspferd Summit brauche aber bereits 520 Quadratmeter Stellfläche und hat eine Leistungsaufnahme von 13 Megawatt. Will man seine Rechenkraft verdoppeln, verdoppeln sich auch die benötigte Stellfläche und die Leistung. Bei einem Quantencomputer muss man für dieselbe Leistungssteigerung nur ein einziges Qubit hinzufügen. Das allerdings ist alles andere als leicht: Bei den Qubits, auf die IBM und Google setzen, handelt es sich um Atome, die mit aufwendigen Apparaturen bis kurz vor den absoluten Nullpunkt auf 15 Millikelvin (minus 273,135 Grad Celsius) gekühlt werden müssen.
Widerspruch lösen
Im Vergleich ist das aber fast schon die leichtere Aufgabe. Die andere, nämlich die Forderung, diese tiefkalten Atome gezielt manipulieren zu können und sie gleichzeitig vor Fremdeinflüssen zu schützen, erfordert noch mehr ingenieurtechnische Tricks. Bis zum echten universellen Quantencomputer mit rund einer Million Qubits, der sehr wahrscheinlich auch alle heute gängigen Verschlüsselungsverfahren knacken kann, werde es noch dauern. „Wir gehen von 20 bis 30 Jahren aus“, erläutert Wittmann.
Wer glaubt, die Quantentheorie verstanden zu haben, hat sie nicht verstanden
Nobelpreisträger Richard Feynman,
US-amerikanischer Physiker (1918–1988)
Trotzdem lohne es sich für Unternehmen, das Thema Quantencomputer schon heute zu verfolgen. Zum einen, weil die ersten kleineren Berechnungen, bei denen Quantencomputer einen echten Vorteil gegenüber herkömmlichen Rechnern erzielen, bereits in den kommenden drei Jahren zu erwarten sind. Zum anderen, „weil man wissen sollte, wie man den Quantencomputer anwendet, wenn er dann da ist“.
Anwendungsfall autonomes Fahren
Viele Unternehmen prüfen daher bereits, welche Probleme sinnvoll auf einem Quantencomputer gerechnet werden können. Darunter fallen neben Berechnungen von chemischen Verbindungen in Medizin und Industrie etwa Optimierungen oder Portfolio-Risikoanalysen – aber auch die Beschleunigung von Produktionsabläufen. Was nicht nur Kosten spart, sondern auch die Qualität der Produkte verbessert und damit den Kundennutzen erhöht. Ein ganz praktisches Beispiel: Die komplexen Berechnungen für das autonome Fahren werden nach Ansicht von Volkswagen nur mithilfe von Quantencomputern möglich sein.
Schaeffler verfolgt das Thema Quantencomputer ebenfalls mit großer Aufmerksamkeit. Zuletzt tauschten sich Schaeffler- und IBM-Experten dazu Ende Oktober aus. Viele der genannten Anwendungsbeispiele für den Megarechner sind für den Automobil- und Industriezulieferer höchst interessant. Daher lautet bei Schaeffler die Antwort auf die Frage, was man von Quantencomputern habe: eine ganze Menge. Zumindest Erwartungen.
Das kleine Quanten-Glossar
Qubit oder Quantenbit
Elementare Recheneinheit eines Quantencomputers. Es handelt sich etwa um ein Atom, Photon oder Neutron, das quantenmechanische Effekte nutzt, um genau zwei Zustände, etwa 0 und 1 darzustellen, ähnlich wie die Bits in einem herkömmlichen Computer.
Superposition
Qubits können sich in den beiden Zuständen 0 und 1 zugleich befinden – das nennt man Superposition. Erst wenn man sie misst, „entscheiden“ sie sich für einen Zustand. Quantenalgorithmen können diese Überlagerung verwenden, um Berechnungen extrem stark zu verkürzen.
Verschränkung
Einstein nannte diesen Quanteneffekt auch „spukhafte Fernwirkung“. Sind zwei Qubits in Superposition verschränkt, haben Veränderungen des einen Qubits sofortige Auswirkungen auf das andere – egal wie weit sie voneinander entfernt sind. Quantenalgorithmen nutzen das aus.
Quantenüberlegenheit
Mit dem Begriff ist der Zeitpunkt gemeint, ab dem ein Quantencomputer ein bestimmtes komplexes Problem um ein Vielfaches schneller lösen kann als ein herkömmlicher Supercomputer auf Basis von Siliziumchips.