„Der Schlüssel zur Nachhaltigkeit liegt auf der Schiene“
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September 2022

„Der Schlüssel zur Nachhaltigkeit liegt auf der Schiene“

Von Volker Paulun
Die Bahn gehört zu den effizientesten Verkehrsmitteln, schöpft aber ihr Potenzial oft nicht genügend aus. Ein Interview über Herausforderungen und Lösungen mit Dr. Michael Holzapfel, Leiter des Geschäftsbereichs Rail bei Schaeffler.

Sie sind im übertragenen Sinne der Lokführer von Schaeffler. Hatten Sie schon als Kind – wie so viele andere – den Berufswunsch Lokomotivführer?
Auch wenn es Sie überrascht, die Antwort ist nein. Lokführer war mir zu speziell, denn wie auch heute hat mich schon immer das System Bahn als Ganzes interessiert. Das Zusammenspiel aus Gleisen, Weichen, Signalen, Zügen, Bahnhöfen und den Menschen und Gütern, die mit den Zügen transportiert werden. Analog zu unseren vielfältigen Systemen und Komponenten im Bereich Schiene sehe ich mich daher auch nicht als Lokführer von Schaeffler, sondern eher als Fahrdienstleiter.

Schaeffler spricht dem Bahnsektor eine Schlüsselrolle für die Mobilität der Zukunft zu, insbesondere wenn es um das Erreichen der globalen Klimaziele geht. Dafür müssen aber gerade in Europa auch mehr Passagiere und Güter auf die Schiene gebracht werden. Wie viel Zuwachs verträgt das aktuelle europäische System? Und in welchen Bereichen muss nachgebessert werden?
Das Schienennetz ist in sogenannte Streckenblöcke aufgeteilt, diese definieren die Abstände der Züge untereinander. Aktuell sind diese sehr luftig gestaltet. Das liegt auch an den in die Jahre gekommenen Signalanlagen, die teilweise noch aus Kaisers Zeiten kommen. Die Anlagen sind zwar noch sicher, aber eben nicht effizient. Die Umstellung auf ein europaweites, digitalisiertes und auch mehr fahrzeuggebundenes Signalsystem ermöglicht eine dynamische Aufteilung der Streckenblöcke. Mit diesem abgekürzt ETCS genannten System könnten beispielsweise Güter­züge die in Europa möglichen 740 Meter Gesamtlänge viel öfter ausschöpfen. Aktuell ist gerade einmal jeder zehnte Zug so lang. Der durchschnittliche Güterzug in Europa hat 25 bis 30 Wagons statt der 35 möglichen. Allein hier liegt also locker ein Steigerungspoten­zial von über 20 Prozent. Und natürlich lässt sich mit ETCS auch der Personenverkehr und der Mischverkehr von Personen- und Güterzügen effizienter organisieren.

„Der Schlüssel zur Nachhaltigkeit liegt auf der Schiene“
Dr. Michael Holzapfel, Leiter des Geschäftsbereichs Rail bei Schaeffler
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„Sowohl im Güter- als auch im Personenverkehr müssen die Züge, die da sind, auch eingesetzt werden. Das ist ein ganz wichtiges Thema."

Wo sehen Sie weiteres Potenzial?
Sowohl im Güter- als auch im Personenverkehr müssen die Züge, die da sind, auch eingesetzt werden. Das ist ein ganz wichtiges Thema. Technische Ausfälle müssen auf ein Minimum reduziert werden. Gleiches gilt für Wartungen. Bei beiden Themen setzen wir schwerpunktmäßig auch bei Schaeffler an: mit innovativen Wartungskonzepten, Systemen zur Zustandsüberwachung und für mehr Zuverlässigkeit.

Wenn Güterzüge länger werden, müssen dann mehr Loks davorgespannt werden?
740 Meter sind noch nicht wirklich lang. In den USA sind Transkontinentalzüge bis zu sieben Kilometer lang. Ein 740-Meter-Zug mit normaler Ladung kann locker von einer Lok gezogen werden und schleppt dabei so viel wie 52 Lkw. Das macht das ganze System Bahn auch so effizient und letztlich auch faszinierend.

„Der Schlüssel zur Nachhaltigkeit liegt auf der Schiene“
Weniger Ausfälle, modernere Signalanlagen, autonome Züge – es gibt viele Ansätze, bestehende Gleisnetze besser auszulasten© Getty

In Flächenländern wie China, Australien oder den von Ihnen angesprochenen USA werden 40 oder 50 Prozent des Güterverkehrs über die Schiene abgewickelt, der EU-Mix liegt bei nicht einmal 20 Prozent. Wie kann Europa aufholen?
Um zu den genannten Ländern aufzuschließen, und ich würde Indien hier auch noch hervorheben wollen, braucht es große Veränderungen und auch Investitionen. In diesen Regionen fährt der Güterverkehr auf eigenen Korridoren und hat damit ganz andere Möglichkeiten. Auch finanzielle. Besonders in den USA sind Güterbahngesellschafften wie BNSF oder Union Pacific extrem profitabel. Im Bereich Separierung ist China vorbildlich: Hochgeschwindigkeitszüge, Personennahverkehr und der Güterverkehr haben dort jeweils eigene Gleise. So können ganz andere Kapazitäten als in Europa bewältigt werden.

Gibt es denn in Europa Bestrebungen, solche Korridore für Güterzüge zu errichten?
Vereinzelt. Es gibt beispielsweise einen Güterzugkorridor vom Rotterdamer Hafen an die Grenze zu Deutschland, der jetzt bis ins Ruhrgebiet verlängert werden soll. Um mehr Güter auf die Schiene zu bekommen, wären mehr solcher Projekte sicherlich sinnvoll.

Gerade wenn man sich den Güterverkehr auf der Schiene anschaut, fällt auf, das dort noch rund um den Globus viele Dieselloks im Einsatz sind. Wie bekommt man diese „sauber“? Wasserstoff, Akkus, Synfuels?
Also erst mal muss man ja sagen, dass der Energieverbrauch pro Transport-Tonne bei der Diesellok rund 80 Prozent niedriger ist als beim Lkw. Die harten Zugräder rollen auf der Schiene einfach viel reibungsärmer als ein Lkw-Reifen auf Asphalt. Außerdem reduzieren sich durch die enge Kopplung der Güterwagen die Fahrwiderstände. Also sind wir bei der Bahn per se schon mal viel effizienter unterwegs. Die Baustelle „Dekarbonisierung“ ist bei der Diesellok also weniger drängend als bei anderen Transportsystemen – aber es gibt sie, und genauso gibt es Ideen, wie man besser werden kann. Wenn wir nach Europa schauen, heißt das Thema ganz klar Elektrifizierung. Hier muss auch Deutschland mit einer derzeitigen Elektrifizierung des Schienennetzes von 61 Prozent nachlegen. Die Elektrifizierung der Loks ist auch deswegen so interessant, weil man die Bremsenergie, die bei der Diesellok verloren geht, rekuperieren und nutzen kann. In den USA gibt es zum Beispiel von unserem Kunden Wabtec ein Pilotprojekt mit Hybridgespannen aus batterieelektrischen Loks und Dieselloks, also einen effizienten und überall einsetzbaren Mix beider Antriebsarten.

… der wie funktioniert?
Wie bereits gesagt, sind die Güterzüge in den USA deutlich länger und werden von mehreren Loks bewegt. Die Idee ist nun, in diese Formationen eine batterieelektrische Lok einzuspannen. Sie unterstützt mit ihren 7 Megawatt beim Beschleunigen oder bei Steigungen, eben dort, wo am meisten Kraft gebraucht wird. Rollt der Zug, klinkt sich die E-Lok aus, beim Bremsen lädt sie ihre Akkus wieder auf. So ist sie als Anschubhilfe auch über lange Strecken immer einsatzbereit.

Und was ist mit Wasserstoff?
Gerade im Bereich des Güterfernverkehrs ist das weder technisch noch wirtschaftlich eine wirkliche Lösung, weil die benötigte Menge an Wasserstoff derzeit nicht sinnvoll transportiert werden kann. Im Regionalverkehr, wo die Fahrstrecken kürzer sind und wo öfter nachgetankt werden kann, sieht das anders aus. Im August hat in Niedersachsen das weltweit erste Netz mit Wasserstoffzügen für Passagiere den Betrieb aufgenommen. Bis Jahresende sollen dort 14 Wasserstoff-Züge des Herstellers Alstom im Einsatz sein – übrigens auch mit ­Schaeffler-Technik an Bord.

Wie schätzen Sie den Hype um den Hyperloop ein?
Weil es immer einfacher ist, ein Fahrzeug weiterzuentwickeln als eine Infrastruktur, war es in der Geschichte der Mobilität immer so, dass der Fahrweg simpel war und der technische Fortschritt zum allergrößten Teil am Fahrzeug passiert ist. Beim Hyperloop mit seinen komplexen Vakuumröhren ist das anders. Und genau deswegen sehe ich diese Technologie eher kritisch. Für mich ist das klassische Rad-Schiene-System das Maß der Dinge. Techniker sagen ja gern, ein System ist immer dann gut, wenn es so einfach ist, dass man nichts mehr weglassen kann. Und genau das trifft auf die Schiene und die darauf rollenden Radsätze zu. Es ist schwer, dieses Zusammenspiel mit einer neuen Technologie zu toppen. Zumal es physikalisch keinen Grund gibt, weshalb Schienenfahrzeuge nicht genauso schnell fahren sollten wie beispielsweise eine Magnetschwebebahn oder irgendeine andere Technik.

  • Gerade in Europa gibt es viele Möglichkeiten, das Potenzial des Schienenfrachtve ...
    Gerade in Europa gibt es viele Möglichkeiten, das Potenzial des Schienenfrachtverkehrs besser auszuschöpfen ... © Getty
  • ... zum Beispiel mit automatischen Kupplungen und effizienten Umlade-Hubs
    ... zum Beispiel mit automatischen Kupplungen und effizienten Umlade-Hubs © Schaeffler

Welche Zukunftstrends haben denn das Zeug, den Schienenverkehr zu evolutionieren oder gar zu revolutionieren?
Natürlich gibt es immer etwas, was man besser machen kann, sonst würde ja auch Schaeffler sein Portfolio im Bereich Bahn nicht ständig weiterentwickeln. Aber wenn wir von Revolution sprechen, da fällt mir als Erstes die Schraubenkupplung an den Wagons ein. Hier ist in Europa – im Gegensatz zu anderen Regionen – noch immer Technik aus dem vorletzten Jahrhundert im Einsatz, die viele manuelle und darüber hinaus auch mache gefährliche Arbeitsschritte erfordert. Um in diesem Bereich endlich im 21. Jahrhundert anzukommen, wird in der EU an der Einführung einer einheitlichen Digitalen Automatischen Kupplung – kurz DAK – gearbeitet, die die Bewegungen im europäischen Güterverkehr auf der Schiene massiv beschleunigen und damit die Wettbewerbsfähigkeit signifikant steigern kann.

Ohne solche automatischen Kupplungen kann es ja auch keinen autonomen Zugverkehr geben …
Ganz genau. Und damit sind wir bei einem weiteren wichtigen Zukunftstrend. Der Mensch und sein Hang zu Fehlern sind ein großer Hemmschuh, wenn es darum geht, das Streckennetz besser auszulasten und mehr Züge und damit Transportleistung auf die Gleise zu bringen. Vollautomatische Systeme würden die Effizienz des Bahnbetriebs deutlich steigern. Außerdem ließe sich damit auch das Problem Personalmangel lösen, mit dem ja der Bahnsektor ebenfalls zu kämpfen hat. Umso mehr wundert es mich, dass sich in diesem Bereich wenig tut.

Würde eine bessere Vernetzung der Verkehrssysteme helfen, Güter auf die Schiene zu bekommen?
Auf jeden Fall. Im Fernverkehr zum Beispiel von den großen europäischen Häfen aus funktioniert das schon ganz gut. Aber bei Bewegungen um 250 Kilometer ist die Bahn schnell außen vor, weil da die Umladezeiten einfach zu lange dauern oder es schlicht an Umladestationen fehlt. Die Schweiz ist hier vorbildlich. Dort hat man schon vor über zehn Jahren angefangen, ein Güterzugnetz mit festen Fahrplänen einzurichten, damit Spediteure intermodale Routen zuverlässig planen können. Auch das Netz der Umschlagplätze ist engmaschig und leistungsfähig. So ein engmaschiges Netz moderner Hubs brauchen wir europaweit, damit der kombinierte Verkehr konkurrenzfähig wird.

Wo setzt Schaeffler bei der Bahn seine Schwerpunkte, beim Personen- oder beim Güterverkehr?
Für uns sind beide Bereiche wichtig, unterscheiden sich aber. Der Personenverkehr ist bei uns sehr stark Projektgeschäft. Das heißt, wir entwickeln gemeinsam mit den Kunden maßgeschneiderte Lösungen für bestimmte Fahrzeugtypen. Im Güterzugbereich liegt der Schwerpunkt hingegen bei Standardprodukten. Das heißt natürlich nicht, dass dort keine Entwicklungen stattfinden, was sich auch in unseren auf der InnoTrans gezeigten Innovationen widerspiegelt.

Schaeffler auf der InnoTrans 2022

Schaeffler präsentiert auf der InnoTrans 2022 (20. – 23. September) unter dem Motto „Reliable, Predictable, Sustainable – Schaeffler Solutions for Innovations in Rail“ neue Produktlösungen und zukunftsweisende Systeme für den gesamten Antriebsstrang von Schienenfahrzeugen. Für weitere Details klicken Sie hier.

„Der Schlüssel zur Nachhaltigkeit liegt auf der Schiene“
Schaeffler auf der letzten InnoTrans 2018© Messe Berlin GmbH