Die Macht der Daten
Er gilt als einer der teuersten Fehler der Raumfahrtgeschichte: Als die europäische Weltraumbehörde Esa 1996 die erste Ariane 5 startete, explodierte die unbemannte Trägerrakete nur wenige Sekunden nach dem Start.
Grund für das Desaster: Die Rakete arbeitete intern noch mit der Steuerungssoftware der Ariane 4. Doch der neue Antrieb war wesentlich stärker als der des Vorgängermodells – so stark, dass die alte Software beim Start völlig unerwartete Beschleunigungswerte ermittelte. Statt ihren eigenen Kurs zu stabilisieren, befahl die Automatiksteuerung immer wildere Schlingerbewegungen und aktivierte schließlich den Selbstzerstörungsmechanismus. So führten ausgerechnet falsche Daten über die eigentlich korrekt funktionierenden Triebwerke zum Verlust der Rakete.
Ingenieurinnen und Ingenieure haben aus dieser Katastrophe gelernt: Alle wichtigen Bauteile eines Systems sollten deshalb immer auch als aktuelles Datenmodell in der Software hinterlegt sein. Das gilt nicht nur für Raketenantriebe. Denn manchmal sind es gerade kleine Komponenten, die eine wichtige Rolle spielen. Zum Beispiel Wälzlager.
Milliarden Wälzlager weltweit bringen Technik reibungs- und verschleißarm in Bewegung. Ohne sie bewegt sich heute kein Roboterarm, keine Windkraftanlage, Kein Flugzeugtriebwerk, kein Zug und kein Computer-Laufwerk. Und wo Bewegung ist, ist meist auch Schaeffler involviert. Die Motion Technology Company gehört zu den größten Wälzlager-Herstellern der Welt. Das Portfolio reicht von millimetergroßen Miniaturlagern für Dentalbohrer über Sonderanfertigungen für den Bergbau bis hin zu Hochtemperaturlagern für die Luft- und Raumfahrt.
40.000 Wälzlager – 40.000 unterschiedliche Eigenschaften
Rund 40 000 Wälzlager-Standardprodukte gibt es bei Schaeffler, dazu viele kundenspezifische Sonderlösungen. Doch jedes Wälzlager hat individuelle Eigenschaften. Daher ist es für die Kunden wichtig, die Spezifikationen der von ihnen verbauten Wälzlager genau zu kennen.
Hier kommt die Clouddienstleistung Data-as-a-Service (DaaS) ins Spiel. Über eine exakt definierte Datenschnittstelle können Schaeffler-Kunden Daten über Schaeffler-Wälzlager beziehen. Verfügbar sind Informationen aus den Bereichen Engineering, Produktion und Logistik.
Die Engineering-Daten kommen von den Schaeffler-Konstruktionsabteilungen. Sie beschreiben die Lager in ihren mechanischen Eigenschaften. Dazu zählen Geometrie, errechnete Leistungsdaten sowie Informationen über Aufbau, Materialeigenschaften und Bestandteile eines Wälzlagers. Mit diesen Daten können Kunden bereits während der Systemauslegung Schaeffler-Wälzlager simulieren und in ihre eigenen Systeme virtuell einbauen.
„Die bereitgestellten Daten gehen über reine CAD-Daten hinaus. Besonders relevant werden diese für die Steigerung der Effizienz bei industriellen Getrieben oder auch Elektromotoren. Hier können unterschiedliche Wälzlagerkonfigurationen durch den Kunden schnell bewertet werden, um unterschiedliche Performanceanforderungen wie Last und Drehzahl abzudecken“, so Wolfgang Czarnach, Leiter regionaler Geschäftsbereich Power Transmission Industrial Division bei Schaeffler Technologies.
„Anfangs haben viele Kunden nicht gesehen, welchen enormen Wert Daten haben, weil sie nicht haptisch zu greifen sind wie andere Industrieprodukte. Daten sind enorm wichtig und einer der größten Rohstoffe der Digitalisierung.“
Ergänzend zu Konstruktionsdaten seiner Lager liefert Schaeffler Messdaten aus der Fertigung. Das Besondere hierbei: Alle Messdaten sind dauerhaft zu einem individuellen Wälzlager rückverfolgbar. Hierfür sind alle Lager mit einem sogenannten Data Matrix Code, einem zweidimensionalen, computerlesbaren Code, markiert. So wissen die Kunden nicht nur, was die einzelnen Wälzlager rechnerisch in ihrer Anwendung leisten, sondern verfügen bei bestimmten Lagertypen auch über Messdaten aus der Fertigung – und dies dank der Datenschnittstelle des Bearing Data Service schon bevor das eigentliche Produkt beim Kunden eintrifft.
Bauteile vorsortieren, bevor sie beim Kunden eingetroffen sind
Über die Messdaten können Wälzlager gezielt vorsortiert werden. Lager mit besonders geringen Fertigungstoleranzen können beispielsweise für Maschinen oder Einsatzumgebungen mit besonders hoher Belastung ausgewählt werden, etwa in der Luft- und Raumfahrt. Umgekehrt können Lager mit identischen Messwerten zusammengeführt und in jeweils einer einzigen Maschine verbaut werden. So nutzen sie sich im späteren Betrieb gleichmäßiger ab.
Ähnliche Auswahlverfahren gibt es schon lange in der Halbleiterindustrie, wo Leuchtdioden, deren Lichtfarben produktionsbedingt immer etwas schwanken, beim sogenannten Binning gezielt nach tatsächlicher Lichtfarbe sortiert werden.
Die dritte Komponente der von Schaeffler zugelieferten Daten stammt aus der Logistik. Hier erfahren die Kunden, wo die bestellten Wälzlager sich gerade befinden, beispielsweise in der Versandvorbereitung oder schon auf dem Lieferweg. Ebenfalls möglich ist eine Verbindung der in einem Ladungsträger verpackten Lagerprodukte mit der Palette selbst. So ergibt sich für die Kunden eine lückenlose Nachverfolgung aller Bauteile ihrer späteren Produkte. Bei Nachfrageschwankungen kann schneller reagiert werden.
Digitale Zwillinge im Computer simulieren reale Baugruppen
Mithilfe dieser drei Informationsströme aus Konstruktion, Produktion und Logistik via Data-as-a-Service können sich Schaeffler-Kunden sogar digitale Zwillinge ihrer Produkte erstellen. Die zu bauenden Maschinen werden dabei vollständig als Datenmodell in den eigenen Systemen abgelegt.
Diese Daten stehen dann später auch bei Wartungsarbeiten zur Verfügung. Wird etwa ein Wälzlager ausgetauscht, lässt sich noch nach Jahren nachvollziehen und abgleichen, wann es genau gefertigt wurde und welche Toleranzen es zu diesem Zeitpunkt aufwies. In einigen Fällen werden die Daten aus dem bisherigen Lebenslauf des Wälzlagers auch von Schaeffler selbst genutzt. Bei der Wiederaufbereitung von Radsatzlagern für Bahnanwendungen ist dies der Fall. Hier wird anhand des Data Matrix Code das spezifische Lager identifiziert und der digitale Lebenslauf des Lagers mit Informationen aus der Wiederaufbereitung angereichert. Hierzu zählen unter anderem Auftragsdaten aus dem Prozess der Aufbereitung wie auch Informationen zum Wälzlager selbst. So kann ein Wälzlager und dessen digitaler Lebenslauf über Jahre hinweg immer wieder identifiziert und angereichert werden. So sind die Daten immer auf dem aktuellsten Stand und können dem Kunden als zusätzliche Serviceleistung zur Verfügung gestellt werden.
43 Mrd. $
soll der globale Umsatz mit Data-as-a-Service-Angeboten im Jahr 2028 laut den Analysten von Mordor Inteligence erreichen. Das wäre weit mehr als eine Verdoppelung des diesjährigen Werts von rund 17,3 Mrd. Dollar. Besonders der Asien-Pazifik-Markt wächst in diesem Bereich rasant.
Was das für die Kunden von Schaeffler bedeutet, erklärt Patrick Kalisch, Leitung Bearing – Product Data, Configurators & Standards: „Mit unseren digitalen Lösungen im Umfeld Data-as-a-Service, wie beispielsweise dem Bearing Data Service, ermöglichen wir unseren Kunden die direkte Integration von maschinenlesbaren Wälzlagerproduktdaten. Dadurch können unsere Kunden Geschäftsprozesse automatisieren und manuelle Arbeiten reduzieren.“
Die ersten Kunden haben bereits das noch junge Data-as-a-Service-Angebot genutzt und bei Schaeffler Wälzlager zusammen mit den entsprechenden Daten geordert, darunter große Erstausrüster aus der Industriegetriebe- und Elektromotorenherstellung. So sorgen transparente Daten und hochwertige Wälzlager gemeinsam dafür, dass Maschinen länger laufen und Ausfallzeiten zurückgehen.
Data-as-a-Service: Mehrwert durch Datenverknüpfung
Der Schaeffler-Datenservice für Wälzlager-Kunden zeigt: Daten sind eine der wichtigsten Ressourcen überhaupt für die Industrie 4.0. Ursprünglich wurde DaaS als reine Datenmanagementstrategie entwickelt, um Informationen in der Cloud sicher abzulegen von dort jederzeit wieder abzurufen. Doch inzwischen zeigt sich, dass DaaS deutlich mehr Potenzial bietet.
Längst haben auch die großen Cloudanbieter auf den Trend reagiert. Firmen wie Amazon und Google vermieten entsprechende DaaS-Speicherlösungen an Unternehmen und vermelden eine deutlich wachsende Nachfrage. Auch Schaeffler hat auf diesen Trend und die Bedarfe aus den Märkten reagiert und nutzt eine performante Cloud-Infrastruktur, um Daten zusammenzuführen und aufzubereiten. Via Schnittstelle können Kunden die Informationen abrufen und direkt in ihre Systeme und Prozesse integrieren.
Egal ob Geoinformationen, Wetterdaten oder Börsenberichte – immer mehr Spezialdienstleister bieten ihre Daten per DaaS an. Kunden greifen über das Internet auf diese Daten zu und programmieren sich hierfür eigene Datenschnittstellen, um die Informationen direkt in eigene Systeme einfließen zu lassen.
Noch wertvoller werden die als DaaS bezogenen Datenströme durch die Verknüpfung untereinander. Ein Autohersteller oder Spediteur kann beispielsweise in Echtzeit Diagnose- und Bewegungsdaten von Fahrzeugen abrufen und mit einem Datenstrom für das aktuelle Wetter verknüpfen. Mittels DaaS kann er dabei auf riesige Datenpakete zugreifen, die Temperaturen und Wetterverhältnisse für fast jeden Ort auf der Erde aufschlüsseln.
So erhält das Unternehmen sehr fein granulierte Informationen darüber, wie seine Fahrzeuge sich bei welchem Wetter verhalten und unter welchen Umgebungsbedingungen es beispielsweise gehäuft zu Pannen oder Unfällen kommt.
Lifetime-Tagebuch für Maschinen
Was für Autos funktioniert, funktioniert genauso auch für Schiffe, Flugzeuge oder Baumaschinen: Mittels DaaS entsteht durch Datenverknüpfung ein Lifetime-Tagebuch für Maschinen, das auch nach Jahren noch Rückschlüsse darüber gibt, wann und wo die Technik unter welchen Arbeits- und Umgebungsbedingungen eingesetzt wurde. Ein Versicherer kann dann beispielsweise Rabatte geben, wenn die Technik nur unter bestimmten, vorher vereinbarten Einsatzparametern betrieben wurde.
Big-Data-as-a-Service (BDaaS)
Ein großer Vorteil von DaaS: Selbst riesige Datenmengen können enorm schnell gespeichert und wieder abgerufen werden. Das wiederum macht DaaS auch für sogenannte Big-Data-Anwendungen interessant. Hierbei werden gewaltige Datenmengen gesammelt – etwa Diagnosedaten von Industrieanlagen. Nicht selten fallen hier täglich mehrere Gigabyte an Sensordaten pro Anlage an. Diese Datenpakete werden anschließend mittels entsprechender Algorithmen und künstlicher Intelligenz untersucht.
Auch Schaeffler betreibt solche Big-Data-Analysen. So werden inzwischen weltweit die Zustände von Tausenden Maschinen und Industrieanlagen in Echtzeit über ein sogenanntes Operation-Center in die Schaeffler-Cloud übertragen und dort verarbeitet. Spezielle Software findet in den gewaltigen Datenbeständen selbst kleinste Auffälligkeiten und leitet daraus Handlungsempfehlungen ab. DaaS hilft somit, Wartungsintervalle zu optimieren und Anlagenausfälle zu reduzieren.
DaaS erfindet die Technik nicht neu. Aber es macht ihren Einsatz smarter, verkürzt Ausfallzeiten und verschafft Kunden eine bessere Übersicht über die von ihnen verwendeten Baugruppen: vom kleinsten Wälzlager bis hin zum tonnenschweren Triebwerk in einem Passagierflugzeug. Mit den richtigen Daten per DaaS wird Technik effizienter, zuverlässiger und langlebiger.