Doppelter Nutzen
Manchmal brauchen innovative Ideen etwas länger. In diesem Fall sind es sogar mehrere Jahrzehnte: Bereits 1981 veröffentlichen die deutschen Wissenschaftler Adolf Götzberger und Armin Zastrow im Fachmagazin Sonnenenergie den Artikel „Kartoffeln unter dem Kollektor“, in dem sie den Vorteil von über Ackerflächen errichteten Solaranlagen berechnen. Doch danach verschwindet das Konzept wieder in der Schublade. Hohe Kosten, wirtschaftliche Unrentabilität und fehlende Forschung über die Auswirkungen auf Kulturpflanzen zählen zu den Gründen. Es dauert bis kurz nach der Jahrtausendwende, bis schließlich erste Projekte realisiert werden. Dank technischem Fortschritt können Solarzellen nun günstiger produziert werden, staatliche Förderungen setzen weitere Anreize. Durch den Klimawandel und seine Folgen gewinnt die Agri-Photovoltaik – der Begriff entsteht im Jahr 2011 – zusätzlich an Brisanz.
Denn damit die Abkehr von fossiler Energie gelingt, ist Solarstrom neben der Windkraft ein entscheidender Faktor. Doch in vielen Ländern gibt es kaum noch ungenutzte Flächen, um darauf Photovoltaikanlagen zu installieren. Genau hier setzt die Agri-Photovoltaik an. Die Doppelnutzung der Flächen für Landwirtschaft und Energieerzeugung führt zu keiner Konkurrenzsituation – es entstehen zusätzlich sogar wertvolle Synergien – und ist lukrativ. Denn die Agri-PV steigert die Landnutzungseffizienz um 60 Prozent: Betriebe können ihre Einkommensmöglichkeiten diversifizieren, sich selbst mit Solarstrom versorgen und ihre Dekarbonisierung vorantreiben.
Drei Arten der Agri-PV
Aktuell werden drei Varianten der Agri-PV-Anlagen unterschieden. Hoch aufgeständerte Anlagen werden horizontal über den Feldern errichtet. Dank der Beschattung der Pflanzen wird die Verdunstung verringert und die Wasserspeicherfähigkeit des Bodens erhöht: Der Wasserbedarf kann so um bis zu 20 Prozent gesenkt werden. Ein Aspekt, der vor allem für von Dürreperioden geprägte Regionen wichtig ist.
„Die Agri-Photovoltaik hat ein hohes Potenzial, die negativen Auswirkungen des Klimawandels, insbesondere von Dürren, auf die Ernteerträge abzumildern, und kann somit dazu beitragen, die Resilienz der landwirtschaftlichen Produktion und die Ernährungssicherheit unter sich verändernden Umweltbedingungen zu verbessern."
Forschende in einer Studie an der Universität Hohenheim
Zudem schützt diese Anlagenart vor weiteren Klimaeinflüssen wie Hagel oder Starkregen. Mit speziell gebauten Modulen kann das aufgefangene Regenwasser gespeichert und gezielt auf den Feldern verteilt werden. Eine entsprechend hohe Aufständerung ermöglicht auch den Einsatz großer Maschinen wie Mähdreschern. Allerdings ist die Errichtung dieser Anlagen aufwendig. Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) stellt sogar folgende Rechnung auf: Die Investitionskosten für Agri-PV-Unterkonstruktionen im Ackerbau bei einer Fläche von 2 ha liegen in Deutschland bei durchschnittlich 372 Euro/kW im Vergleich zu 76 Euro/kW bei einer herkömmlichen Photovoltaik-Freiflächenanlage (PV-FFA).
Eine kostengünstigere Alternative sind vertikale Anlagen, die zwischen die landwirtschaftlichen Flächen gebaut werden. Die Abstände der Reihen sind so gewählt, dass der Einsatz von Landmaschinen möglich ist. Ein weiterer Pluspunkt der vertikalen Anlagen: Sie dienen als Windbreaker und die Pfostenreihen können für Biodiversitäts- und Biomasse-Streifen genutzt werden. Vertikale Anlagen sind jedoch nur für niedrigwachsende Pflanzen geeignet, da diese sonst die Solarpanels verdecken und so den Stromertrag mindern. Die dritte Art der Anlagen verfügt über sogenannte Nachführsysteme, auch „Tracker“ genannt. Diese richten die Solarmodule nach der Sonne aus. Sie verändern über den Tag ihren Anstellwinkel, um möglichst viel Licht einzufangen oder sich an Strombedarfe anzupassen.
Technisches und wissenschaftliches Neuland
Da die Agri-Photovoltaik noch in den Kinderschuhen steckt, gibt es noch offene Fragen. Welche Anlagenform ist die effizienteste? Welche Pflanzen eignen sich am besten? Zwar sind weltweit bereits Agri-PV-Farmen im regulären Betrieb – Japan ist hier mit knapp 2.000 Betrieben Spitzenreiter. Doch parallel wird in zahlreichen Versuchsanlagen weiter geforscht – mit oft erstaunlichen Resultaten. Vor allem in trockenen und regenarmen Regionen fielen diese positiv aus. So haben sich in Arizona bei hoch aufgeständerten Anlagen die Ernteerträge von Kirschtomaten verdoppelt, jene von Tepin-Pfeffer sogar verdreifacht. Bei einer Studie in Kenia konnte der Wasserverbrauch um 47 Prozent gesenkt werden, während die Größe von Kohlköpfen um fast ein Viertel zunahm. Der Anbau bestimmter Pflanzen ist unterhalb der Überdachung dagegen problematisch – durch die Beschattung gehen bis zu 30 Prozent des für die Photosynthese benötigten Lichtes verloren. Bei Versuchen in Deutschland gab es schon bei geringer Beschattung von Pflanzen wie Mais oder Soja starke Ertragseinbußen. Auch fehlen derzeit in vielen Ländern noch die rechtlichen Rahmenbedingungen, um Agri-Photovoltaik ohne bürokratische Stolpersteine zu realisieren.
Rasante Entwicklung
Dennoch verläuft die Entwicklung der Agri-Photovoltaik rasant. Die installierte Leistung stieg weltweit von rund fünf Megawatt Peak (MWp) im Jahr 2012 auf 14.000 Megawatt Peak (MWp) im Jahr 2021 an – das entspricht der Leistung von ungefähr 14 Kohlekraftwerkblöcken. Tendenz weiter steigend.
Als Gamechanger sehen Fachleute bifaziale Solarmodule, die sowohl auf der Ober- als auch auf der Unterseite Licht aufnehmen und so auch diffuses und vom Boden oder von Pflanzen reflektiertes Licht nutzen. Sie erzeugen dadurch bis zu 25 Prozent mehr Strom als herkömmliche PV-Module. Aktuell beträgt ihr Weltmarktanteil bei Photovoltaikmodulen noch weniger als ein Drittel, Fachleute erwarten, dass dieser bis zum Jahr 2030 auf über 60 Prozent steigt.
Es wird deutlich: Das Gesamtpotenzial der Agri-Photovoltaik ist enorm. Ihr Einsatz kann daher ein wichtiger Faktor in der Energiewende sein: Studien zufolge könnte mit dem Einsatz auf gerade einmal einem Prozent der weltweiten landwirtschaftlichen Nutzflächen der gesamte derzeitige globale Stromverbrauch abgedeckt werden.