„Es könnte gehen! Wenn …“
Resilienz – die Fähigkeit, sich gegen äußere Störungen zu behaupten. Darauf kommt es für Unternehmen in ökonomisch turbulenten Zeiten an. Pandemie, Krieg, Klimakrise – das sind „Ereignisse“, die die Geschäftsmodelle fast aller Unternehmen betreffen. Große Unruhe kann oftmals nur mit großen Umwälzungen gemeistert werden – Stichworte Transformation und Wandel. Mit Andreas Hoberg wandern wir einmal durch den dichten Wald von Begriffen und Zusammenhängen rund um unser Schwerpunktthema in dieser Ausgabe: Resilienz.
Das sagt der Experte über …
… eine historische Einordnung des aktuellen Wandels
Wir Menschen neigen dazu, zu sagen, dass genau diese Zeit, in der wir leben, die herausforderndste mit dem größten Wandel ist. Aber in großen Zyklen gesehen gab es schon größere Umbrüche und epochalere Transformationsschübe. Die Erfindung der Dampfmaschine oder der Einsatz von IT und Computern sind Beispiele. Der große Unterschied zu heute ist, dass die Zyklen kürzer geworden sind, viel kürzer. Unternehmen haben heute quasi keine Vorlaufzeit mehr und können sich deshalb nicht mehr mit einer strategischen, prozessualen Richtigkeit aufstellen. Man liegt viel häufiger in Rückenlage, und das ergibt dann deutlich andere – höhere – Anforderungen an die Führungskräfte und die handelnden Personen im Unternehmen. Die Zyklen sind kürzer und damit die nötige Reaktionsgeschwindigkeit. Gerade die letzten drei Jahre mit Pandemie und Krieg haben, so mein Eindruck, viele Führungskräfte und Firmen ausgelaugt. Es war ein permanentes Gefühl der Rückenlage, obwohl man bis dahin eigentlich gut unterwegs war und sich in einer positiven und starken Position für die Ausrichtung zur Transformation befand.
„Hilfe und Meinung von außen sind in solchen Phasen wie jetzt – mit multidynamischen Einflüssen – Beschleuniger und steigern extrem die Effizienz.“
… den Ursprung des Begriffes Resilienz
Der ist, glaube ich, so alt, wie man in China Bambus kultiviert. Diese Pflanze zeichnet extreme Biegsamkeit bei gleichzeitiger Stabilität aus. Das ist das Synonym für Resilienz aus der Natur.
In der Wirtschaft war das Thema zwar immer präsent, aber teilweise etwas aus dem Fokus gerückt. Nur jetzt angesichts der sehr kurzzyklisch aufeinander folgenden Krisen, die teilweise existenziell waren oder eben auch noch sind, ist der Faktor Resilienz plötzlich wieder wichtiger geworden.
… die aktuelle Bedeutung von Resilienz
Unternehmen müssen sich fragen, wie es um ihre Stabilität und ihre Flexibilität bestellt ist. Was ist das Fundament, was ist unsere ureigene, individuelle Stärke? Wofür stehen wir? Was ist unser Kern? Was ist unsere Innovationskraft? Und basierend auf diesen Antworten gilt dann: Stärken stärken. Daraus kann das Unternehmen Motivation nach innen aufbauen und auch gegenüber dem Kunden sagen: „Schau her: Das ist das, was wir jetzt machen!“ Diese positive Energie ist nötig in einer Umgebung mit so vielen schlechten Nachrichten.
Ich finde es richtig und wichtig, dass der Faktor Resilienz wieder mehr im Fokus ist. Am Ansatz von Stabilität bei gleichzeitiger Flexibilität hat sich nämlich nichts geändert. Aber natürlich gibt es die unterschiedlichsten Blickwinkel und Dimensionen zur Erhöhung der Resilienz.
Transformation kann von Stärke getrieben sein: Ein Unternehmen weiß, wo es steht in einem wirtschaftlichen Ökosystem, und strebt im Sinne von Weiterentwicklung nach Veränderung. Das sehe ich so für einige Branchen, zum Beispiel im Werkzeugbau, im Maschinenbau oder in der Verfahrenstechnik. Aus dieser Stärke heraus kann man viel für Stabilität und Flexibilität machen.
Transformation und Resilienz können aber auch ein Hoffnungsanker sein, wenn ein Unternehmen wie ein Frosch an einem Strohhalm hängt, der sich im Wind wiegt, und hofft, dass er nicht bricht. Das trifft zum Beispiel dort zu, wo die aktuellen Veränderungen oder Krisen auf ganze Branchen oder Branchenabschnitte einwirken. Zwei Beispiele dazu: zum einen die Automobilindustrie, die einen heftigen Wandel durchlebt. Was passiert da gerade, was davon ist politisch getrieben? Welche Auswirkungen hat das? Zum anderen die klassischen Kaufhäuser, wo wir Konsumenten mit unserem neuen Kaufverhalten, das massiv Richtung Online geht, die Veränderungen machen. Gerade bei Letzteren wird nicht aus einer Position der Stärke heraus nach Resilienz und Transformation gerufen.
So eine Transformation hat immer mehrere Dimensionen und auch immer eine übergeordnete Ebene: Das sind die Prozesse und Abläufe und die damit primär verbundenen Positionen und Personen. Und über alldem steht idealerweise ein bewusster Strategieprozess. Aus all diesen Blickwinkeln müssen wir schauen vor und in der Transformation. Wenn wir in diesem Zusammenhang von Resilienz sprechen, meinen wir auch immer die gesamte Resilienz des Unternehmens: Wie stark ist es, wie schwach und wie flexibel?
„Im Vergleich zu früher sind die Zyklen kürzer geworden. Unternehmen haben heute quasi keine Vorlaufzeit mehr, um sich strategisch und prozessual richtig aufzustellen.“
… die größten Fehler beim Aufbau von Resilienz
Arroganz und wegducken nach dem Motto: „Ach, das betrifft uns nicht.“ Das hängt auch wieder stark mit den handelnden Personen zusammen und deren Erfahrungen. Die große Krux ist ja, dass es Geschäftsmodelle betrifft, die über Jahre oder Jahrzehnte funktioniert haben. Bestes Beispiel ist der deutsche Mittelstand: Wir haben hier teilweise eine sehr vielschichtige, aufeinander aufgebaute Lieferkette, im Fachjargon „Supply Chain“. Man kennt sich und es funktioniert – eine deutsche Besonderheit und Stärke des Mittelstands. Das sehe ich nach wie vor positiv. Aber plötzlich haben sich die Randbedingungen radikal geändert und gewisse Produkte werden nicht mehr gebraucht – das kann die Situation für einen Zulieferer in Abhängigkeit existenziell gefährdend ändern. Wir sehen das ja auch in der Automobilindustrie mit ihren verketteten Strukturen, dass sich die Lieferkette teilweise völlig neu sortiert. Und man muss es so deutlich sagen: Da werden einige auf der Strecke bleiben.
… wichtige Faktoren beim Aufbau von Resilienz
Entscheidungsfreude, Entscheidungsgeschwindigkeit, Risikofreude, Fehlerkultur, Stringenz, Einbindung der Mitarbeitenden beziehungsweise präzise, transparente Informationen für die Belegschaft: „Das wollen wir, das machen wir.“ Das setzt Kräfte frei. Das sind für mich die wichtigsten Faktoren.
… die „Gamechanger“ in den Startlöchern, die die Resilienz vergrößern können
Ganz klar die Digitalisierung. Sie wird immer noch nicht genutzt, wie sie genutzt werden sollte und kann. Ich brauche Transparenz für meine Entscheidungen, digitale Lösungen können diese herstellen und wertvolle Daten generieren. Damit kann ich mein Unternehmen analysieren und besser verstehen. Und dann kann ich – nach der Auswertung – digital auch simulieren und dadurch vorausschauend handeln. Das ist das A und O. Von irgendeinem Automatismus oder einer Selbststeuerung sind wir dann immer noch weit entfernt. Der Transformations-Brandbeschleuniger kann und wird Digitalisierung sein.
„Entscheidungsfreude, Entscheidungsgeschwindigkeit, Risikofreude, Fehlerkultur, Stringenz, Einbindung der Mitarbeitenden beziehungsweise präzise, transparente Informationen für die Belegschaft – das sind für mich die wichtigsten Faktoren.“
… den Prozess der Transformation
Das ist heutzutage ein Strategieprozess, der durch einen CEO moderiert und unterstützt werden muss. Und der Transformationsprozess muss deutlich schneller vorankommen als bisher. Die Entscheidungsfindungen müssen schnell sein, auch wenn sie in eine ganz andere Richtung als bisher gehen – dazu gehört ein gehöriges Maß an Widerstandsfähigkeit. Es dauert oft zu lange, mit sehr vielen Abwägungen und Eventualitäten, die durchdacht werden. In der Zeit sind die Umstände dann schon wieder andere oder der Wettbewerb entscheidet schneller und verschafft sich so einen Vorteil im strategischen Transformationsprozess. Mir hat ein Automobilvorstand erzählt, dass sie als gesamter Vorstand während der Corona-Pandemie jeden Tag zusammen 20 Minuten eine Telefonkonferenz gemacht haben und relativ schnell alle Entscheidungen zusammenhatten. Jetzt, so sagt er, debattieren und diskutieren sie wieder in monatlichen Vorstandssitzungen. Das verdeutlicht, dass man ohne gewisse Attitüden besser fährt – mit einem klaren Angang an die Frage: „Wo knackt oder knirscht es gerade?“
… den Unterschied von Theorie und Praxis beim Aufbau von Resilienz
In einfachen Worten: Die Maßnahmen müssen funktionieren. Casus knacksus sind die Implementierung und Integration in den Unternehmensalltag. Das ist es, was am Ende zählt. Aber natürlich gibt es – je nach Kunde – sehr unterschiedliche Ausgangspositionen. In den letzten drei, vier Jahren waren die großen Leitlinien immer geprägt durch heftige äußere Einflüsse. Ganze Geschäftsmodelle haben sich geändert und dazu noch viele Randbedingungen. Wenn man da als Unternehmen erfolgreich bleiben will, muss man die Maßnahmen für Transformation eben auch umsetzen. Am Beispiel der Automobilindustrie: Wenn ich wegwill oder wegmuss vom Verbrenner-Pkw, hin zur Elektromobilität, dann darf ich darüber nicht nur reden, sondern muss das tatsächlich auch machen. Umsetzung ist also in der Zukunft der wichtigste Aspekt – für die Unternehmen selbst und für die Berater. Wir fassen das bei unseren Kunden immer positiv zusammen mit unserem Credo: „Es könnte gehen! Wenn …“ Und für das „Wenn“ müssen wir Lösungen finden. Es gibt leider in der Transformation und für das Optimieren von Resilienz nicht den einen geraden und richtigen Weg. An Lösungen muss man sich herantasten, weil vieles inhaltliches Neuland ist.
… die Gründe, warum Firmen Unternehmensberatungen kontaktieren
Zumeist ist das nicht, weil das Wasser schon bis zum Hals steht, sondern es gibt andere Gründe. Oft fehlt Kapazität – Kapazität, um für Transparenz zur Entscheidungsfindung zu sorgen, also das eigene Unternehmen unter die Lupe zu nehmen für eine grundsätzliche Analyse. Oder es fehlt dann die Kapazität, um die darauf basierenden und getroffenen Entscheidungen inhaltlich umzusetzen. Das trifft umso mehr zu, wenn die Industrien unter solchen – nennen wir sie mal: multidynamischen Einflüssen stehen wie in dieser Phase. Da sind Hilfe und Meinung von außen einfach Beschleuniger und steigern extrem die Effizienz.
Der Experte
Andreas Hoberg studierte in Ulm Produktionstechnik. Seit 2005 ist er bei der Ingenics AG, die mit über 500 Beschäftigten an 20 Standorten in neun Ländern hauptsächlich Produktions- und Logistikunternehmen berät. Er ist seit 2011 Managing Partner und unter anderem zuständig für Strategieberatung, Prozess- und Organisationsberatung sowie Digitalisierung.