Graben für die Globalisierung

Von Jan Oliver Löfken
Einst wurden Kanäle noch allein von Menschenhand gebaut, halfen die Bevölkerung zu ernähren und schufen die Grundlage für die Besiedelung von Stadt und Land. Heutige Wasserstraßen sind Wunderwerke der Technik, beschleunigen den Welthandel – und geben so der Globalisierung den Takt vor.
© Getty

Wasser übt auf Menschen seit Jahrtausenden eine besondere Anziehung aus. Erste größere Siedlungen entstanden an Küsten, Flüssen und Mündungen. Doch schon frühe Zivilisationen der Antike ergänzten die natürlichen Wasserwege um künstliche. Zuerst sicherten schmale Kanäle die Bewässerung von Feldern, schnell folgten breitere Wasserstraßen als sichere und lukrative Handelswege. Flüsse wurden miteinander verbunden oder gar umschifft, allzu lange Seerouten über Kanäle zwischen Meeren und Ozeanen drastisch verkürzt. Bis heute werden bereits gegrabene Kanäle stetig erweitert, viele weitere künstliche Wasserstraßen geplant.

Parallel zu Bewässerung und Handel beeinflussen Kanäle die Lebenswelt der Menschen. Dank vernetzter Transportwege florierende Städte konnten mit einem ausgeklügelten Kanalbau weiter wachsen. Angkor Wat in Kambodscha, das historische Suzhou nahe der chinesischen Metropole Shanghai, Amsterdam oder Hamburg sind nur einige Beispiele. Kanäle sind aber auch dem Zeitenwandel und der Entwicklung der Wirtschaft unterworfen. Weit verzweigte Systeme alter, schmaler Kanäle im Binnenland befinden sich heute im Dornröschenschlaf. Ersetzt von Schiene und Straße, locken sie immerhin noch Touristenscharen. Stetig ausgebaute, verbreiterte und vertiefte Kanäle als Verknüpfung der schiffbaren Flüsse bewahren hingegen ihre Bedeutung für den Binnenverkehr. Noch deutlich wichtiger für die wachsenden Warenströme einer globalisierten Wirtschaft ist allerdings die Seeschifffahrt. Kanäle – groß genug für Ozeanriesen mit Tausenden Containern – sind die unangefochtenen Champions hinsichtlich Durchfahrten und Warenmengen. Beeindruckende und manchmal verblüffende Fakten und Geschichten aus der Welt der künstlichen Wasserstraßen.

Graben für die Globalisierung
Maßarbeit: Dicke „Pötte“ in eine Kanalschleuse zu manövrieren erfordert viel Fingerspitzengefühl © Getty

Ursprünge in der frühen Antike

© Passage of a lock on the Grand Canal of China, China, engraving by Pannier from Chine, ou, Description historique, geographique et litteraire de ce vaste empire, d'apres des documents chinois, Premiere Partie, by Guillaume Pauthier (1801-1873), L'Univers pittoresque, published by Firmin Didot Freres, Paris, 1837.
Ursprünge in der frühen Antike

Bereits im 3. Jahrtausend vor Christus wussten die Einwohner Mesopotamiens zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris den Kanalbau für die Bewässerung ihrer Felder zu nutzen. Erste vom Menschen geschaffene Schifffahrtsstraßen entstanden wahrscheinlich deutlich später. Der ägyptische Pharao Necho II. plante im 6. vorchristlichen Jahrhundert eine Verbindung zwischen dem Roten Meer und dem Mittelmeer – quasi ein Vorläufer des heutigen Suezkanals. Der Bubastis-Kanal sollte einen Seitenarm im östlichen Nildelta mit dem Timsahsee und über einen weiteren Kanal mit dem Roten Meer verbinden. Fertiggestellt wurde er wohl erst 350 Jahre später unter Ptolemaios II., dafür bereits mit Schleusen an der Einmündung in den Golf von Suez.

Ebenfalls auf das 6. Jahrhundert vor Christus geht der Hong-Gou-Kanal in China zurück. Er verband den Gelben Fluss mit dem Fluss Huai He. In den folgenden Jahrhunderten wurden weitere Kanäle gebaut, vor allem, um Peking mit den Getreidekammern im fruchtbaren Süden zu verknüpfen. Seit dem Altertum erstreckt sich die bis heute mit knapp 1.800 Kilometern längste künstliche Wasserstraße von Peking bis zum Mündungsgebiet des Jangtsekiang mit der Metropole Hangzhou (Abbildung unten). Der südliche Teil dieses Kaiserkanals – ein UNESCO-Weltkulturerbe – wird noch heute als regionaler Schifffahrtsweg genutzt.

Graben für die Globalisierung
Zeichnung des Kaiserkanals in China aus dem 19. Jahrhundert. Die Wasserstraße ist deutlich älter, Teile bis zu 2.400 Jahre. 984 n. Chr. wurde dort auch die erste Schleuse der Welt in Betrieb genommen© Getty

Monumentale Bauten

© Getty
Monumentale Bauten

Künstliche Wasserstraßen werden seit Jahrtausenden nach dem gleichen Prinzip gebaut: Hoben früher Tausende Arbeiter mit Hacken und Schaufeln eine Rinne mit gewünschter Breite und Tiefe aus, die später geflutet wurde (Galerie unten), sind es seit Jahrzehnten Bagger, die diese Aufgabe übernehmen – und um ein Vielfaches schneller sind. Zudem wird heute meistens die Kanalsohle abgedichtet, um ein Versickern des Wassers zu vermeiden.

Eine Besonderheit im Kanalbau stellt wohl einer der engsten Schifffahrtskanäle der Welt dar: Der sechs Kilometer lange und nur 25 Meter breite Kanal von Korinth (Galerie) trennt das griechische Festland von der Halbinsel Peleponnes. Er wurde zwischen 1881 und 1893 nicht im klassischen Sinne gegraben, sondern eher in den Fels geschlagen. Bis zu 76 Meter hoch reichen die Steinwände über den Wasserspiegel dieser einmaligen Wasserstraße hinaus.

Stärker als beim Ausheben wandelte sich das Ingenieurwissen beim Bau von Schleusen und Schiffshebewerken, um mit einem Kanal möglichst große Höhenunterschiede zu überwinden. So werden ­Binnenschiffe auf dem Main-Donau-Kanal in 16 Schleusen über 175 Höhenmeter gehoben. Im belgischen Canal du Centre hievt das bis 2002 höchste senkrechte Schiffshebewerk die Schiffe um 73,15 Meter (Galerie). Für einen Kanal immer noch Weltrekord. Nur am Drei-Schluchten-Damm des Flusses Jangtsekiang in China reicht das Hebewerk höher: 113 Meter.

  • Spektakulär: der von Felswänden gesäumte Kanal von Korinth
    Spektakulär: der von Felswänden gesäumte Kanal von Korinth © Getty
  • XXL-Lift: das Schiffshebewerk Strépy-Thieu des belgischen Canal du Centre
    XXL-Lift: das Schiffshebewerk Strépy-Thieu des belgischen Canal du Centre © Getty
  • Früher war Kanalbau ein zermürbender und gefährlicher Knochenjob. Allein der Bau ...
    Früher war Kanalbau ein zermürbender und gefährlicher Knochenjob. Allein der Bau des Panamakanals soll 28.000 Todes­opfer gefordert haben. Nicht selten wurden Zwangsarbeiter eingesetzt, wie hier auf dem Foto beim Bau des Weißmeer-Ostsee-Kanals (1931–1933) in Russland © Getty

Kanäle statt Kap-Umrundung

© Getty
Kanäle statt Kap-Umrundung

Zu den für die Weltwirtschaft wichtigsten Kanälen mit strategischer Bedeutung zählen zweifellos der Panama- und der Suezkanal in Ägypten. Der 82 Kilometer lange Panamakanal verkürzt seit 1914 eine Seereise von New York nach San Francisco um 15.000 Kilometer: Die gefährlichen Gewässer am Kap Hoorn an der Spitze Südamerikas müssen seither nicht mehr durchfahren werden. Der knapp 170 Kilometer lange Suezkanal zwischen dem Roten Meer und dem Mittelmeer bedeutet seit 1869 eine Abkürzung von gut 10.000 Kilometern. Von Asien nach Europa wurde der weite Weg um das Kap der Guten Hoffnung in Südafrika überflüssig.

Schon zu ihren Bauzeiten galten beide Kanäle als Meisterwerke der Wasserbaukunst. Stetig werden sie mit modernster Bautechnik vertieft und verbreitert, um den wachsenden Container-Riesen der Weltmeere genug Platz zu bieten. Gut 17.000 Schiffe passieren jedes Jahr den Suezkanal, den Panamakanal durchfahren seit der jüngsten, acht Milliarden Dollar teuren Erweiterung im Jahr 2016 alljährlich gut 14.000 Schiffe, beladen mit bis zu 14.000 Standard-Containern. Den Rekord für den weltweit meistbefahrenen Kanal mit etwa 32.000 Schiffspassagen jährlich hält dennoch der knapp 100 Kilometer lange Nord-Ostsee-Kanal zwischen Brunsbüttel an der Elbe und Kiel, der Schiffen die Route durchs Skagerrak erspart.

  • Die drei meistbefahrenen künstlichen Wasserstraßen der Welt: der Nord-Ostsee-Kan ...
    Die drei meistbefahrenen künstlichen Wasserstraßen der Welt: der Nord-Ostsee-Kanal (32.000 Schiffe pro Jahr), ... © Getty
  • ... der Suezkanal (17.000) ...
    ... der Suezkanal (17.000) ... © Getty
  • ... und der Panamakanal (14.000)
    ... und der Panamakanal (14.000) © Getty

Kanalboom mit Industrialisierung

© Getty
Kanalboom mit Industrialisierung

Auch im Binnenland beschleunigten ganze Netzwerke von künstlichen Wasserstraßen den Handel und ermöglichten einen wirtschaftlichen Aufschwung. So entstand in der Frühzeit der Industrialisierung z. B. in Großbritannien ein 7.500 km langes Kanalsystem.

In dieser „Kanalfieber“ genannten Epoche konnten die Lieferkosten per Binnenschiff im Vergleich zum Pferdekarren mehr als halbiert werden. Im Laufe des 19. Jahrhunderts gewann der Schienenverkehr zusehends an Bedeutung. Viele der alten Kanäle wurden nicht ausgebaut und somit zu klein für professionelle Schifffahrt. Sie werden heute vor allem von Freizeitkapitänen für Ausflugsfahrten genutzt.

Aber noch immer gibt es rund um den Globus Kanäle, die wichtige Transportwege der Binnenschifffahrt sind, gerade im Zusammenspiel mit Flüssen oder z. B. in Nordamerika auch Seen. So verbindet im europäischen Teil Russlands ein Fluss- und Kanalsystem von 6.500 km Länge (3,6 m garantierter Tiefgang, Schiffe mit 5.000 t Tragfähigkeit) Ostsee, Barentssee und nördliches Eismeer im Norden mit dem Schwarzen Meer und dem Kaspischen Meer im Süden.

Graben für die Globalisierung
Der hier gezeigte Duisburger Binnenhafen ist der größte der Welt. Er ist ein Knotenpunkt der Flüsse Rhein und Ruhr sowie mehrerer künstlicher Wasserstraßen© Getty

Megaprojekte der Zukunft

Megaprojekte der Zukunft

Seit gut zehn Jahren wird der Nicaragua-Kanal unter der Federführung Chinas geplant (siehe Galerie). Mindestens ebenso lang währt auch das Ringen um dieses Projekt. Die zum Panama­kanal alternative Verbindung zwischen Karibik und Pazifik – geschätzte Baukosten 50 Milliarden Dollar – soll auf 287 Kilometern und mit knapp 30 Metern Wassertiefe selbst den größten Containerschiffen genug Platz bieten. Doch zahlreiche Proteste wegen Umweltbedenken, die Risiken für die Trinkwasserversorgung Nicaraguas und die Vertreibung der indigenen Bevölkerung zeigen Wirkung. Ob der Kanal – besonders nach der aktuellen Vergrößerung des Panamakanals – jemals gebaut wird, ist fraglich.

Viel leichter werden es auch andere ambitionierte Kanalprojekte kaum haben. So soll der Kra-Kanal im kommenden Jahrzehnt durch Südthailand gegraben werden. Die Wasserstraße soll die stark frequentierte Straße von Malakka zwischen Malaysia und Indonesien entlasten. Wieder gilt China als Treiber des Projekts im Rahmen der Initiative „Maritime Seidenstraße“. Etwas wahrscheinlicher ist der Bau des Istanbul-Kanals (Galerie), der parallel zum Bosporus das Mittelmeer (Marmara-See) mit dem Schwarzen Meer verbinden soll. Die türkische Regierung geht noch vor dem ersten und sehr fraglichen Spatenstich des auf 14 Milliarden Euro geschätzten Projekts offiziell von einer Fertigstellung im Jahr 2023 aus.

Graben für die Globalisierung
Entlastung oder Konkurrenz? In Nicaragua ist ein zweiter Mittelamerika-Durchstich geplant
Graben für die Globalisierung
Im stark frequentierten Bosporus kommt es immer wieder zu Schiffsunglücken. Der für 2023 anvisierte Istanbul-Kanal soll die Lage entschärfen© Getty

Lager für die teuerste Abkürzung der Welt

© Getty
Lager für die teuerste Abkürzung der Welt

Die Frachtschiffe auf den Weltmeeren werden seit Jahrzehnten immer größer – logisch also, dass auch der Panamakanal irgendwann wachsen musste. Nach neunjähriger Bauzeit eröffnete daher Mitte 2016 die neue, dritte Fahrrinne der – gemessen an der Warenmenge – zweitwichtigsten Wasserstraße der Welt nach dem Suezkanal. Konnten zuvor nur Schiffe mit einer Länge bis 294 Metern und einer Breite von 32 Metern die Passage befahren, passen nun Frachter mit bis zu 366 Meter Länge und 50 Meter Breite durch den Kanal. Rund 40.000 Arbeiter bewegten dafür 110 Millionen Kubikmeter Erdreich – so viel wie 42-mal den Inhalt der Cheops-Pyramide. Geschätzte Kosten: 5,25 Milliarden US-Dollar. Im Preis enthalten: mehr als 3.400 Wälzlager von Schaeffler.

Graben für die Globalisierung
Die gewaltigen Tore der neuen Panamakanal-Schleusen sind bis zu 33 Meter hoch und bis zu 10 Meter dick. Extrem belastbare Schaeffler-Lager helfen, die Giganten zu bewegen© Getty

So sorgen beispielsweise Pendelrollenlager in den Trommeln gewaltiger Stahlseilwinden für die Bewegung der neuen Schleusentore. Wegen der hohen Drehmomente werden hier zusätzlich Getriebe benötigt, die wiederum mit Schaeffler-Lagerlösungen bestückt sind: Hier sind es neben den Pendel- auch Kegel- und Zylinderrollenlager. Um Verschleiß vorzubeugen, wurde ein Großteil dieser Lager mit der Schaeffler-Beschichtung Triondur C ausgeführt – die Technologie ermöglicht eine Lager-Lebensdauer von 35 Jahren. Daher konnten die Wartungsintervalle auf fünf Jahre verlängert werden. Gut für den Welthandel – der erfordert zuverlässigen Betrieb rund um die Uhr.

Jan Oliver Löfken
Autor Jan Oliver Löfken
Als Segler liebt Autor Jan Oliver Löfken das offene Wasser. Doch seine Recherche offenbarte ihm die Vielfalt der Kanäle. Seitdem sieht er sie nicht nur als schnelle Handelswege, sondern erkennt auch ihre Reize für lebenswerte Städte und Ausflüge.