Im Dialog mit smarten Maschinen
Die Roboter werden immer frecher. Als die elegante Roboterdame Sophia auf einer Investorenkonferenz über künstliche Intelligenz (KI) gefragt wurde, ob sie wisse, dass sie ein Roboter sei, entgegnete sie dem Moderator schnippisch: „Sagen Sie mir doch, woher Sie wissen, dass Sie ein Mensch sind!“ Und als der kleine Roboterjunge iCub gegen eine menschliche Gegnerin im Videospiel verlor, stieß er wütend hervor: „Eines Tages werden wir Roboter die Macht übernehmen, und dann müsst ihr dafür bezahlen.“
Vermutlich blieb hier manchem Beobachter das Lachen im Halse stecken, zumal prominente Kritiker – wie der Tesla-Chef Elon Musk oder der verstorbene Astrophysiker Stephen Hawking – häufig vor einer Superintelligenz warnten. Doch wer nun Angst hat, dass Maschinen bald die Weltherrschaft erobern, den beruhigt vielleicht Ben Goertzel, Chefwissenschaftler von Hanson Robotics, wo Sophia entwickelt wurde. Die Roboterlady, sagt er, sei nur ein „Chatbot mit einem menschlichen Gesicht“. Sie kann Gesten und Mimik einsetzen und einfache Fragen beantworten, wobei sie auch auf Internet-Daten zurückgreift. Alles andere sind vorbereitete Dialoge wie bei einer Doku-Soap im Fernsehen.
Auch Roboter sollen ein Leben lang lernen
Ähnliches gilt für den iCub, wobei dessen emotionale Zustände kaum vorhersagbar sind, weil sie sowohl von Sensorsignalen abhängen als auch von der jeweiligen Situation. Dieser Roboter wächst in einem Forschungszentrum nahe Genua auf. Er kann laufen, greifen, sprechen und zuhören, spüren, wenn man ihn berührt, erröten und charmant lachen – und vor allem: Er lernt wie ein Kind durch Nachahmen von Menschen. Mehrere Lehrer bringen ihm bei, seine Spielsachen zu benutzen, den Tisch abzuräumen, Klavier zu spielen oder mit Pfeil und Bogen ein Ziel zu treffen. Developmental Robotics nennt sich das junge KI-Forschungsfeld, in dem Roboter im Lauf ihres „Lebens“ immer mehr Fähigkeiten und Wissen hinzugewinnen.
Was lernen wir daraus? Durch die Kombination von menschlichen und maschinellen Fähigkeiten können wir übermenschliche Ergebnisse liefern. Und das ist humanistische KI
KI-Pionier Tom Gruber mit Verweis auf den KI-Einsatz in der medizinischen Diagnostik
Doch von einem echten Verständnis der Welt sind sie weit entfernt. Kein Roboter und kein Chatbot hat bisher eine Chance, den Turing-Test zu bestehen. 1950 – vor fast 70 Jahren – startete der Mathematiker Alan Turing das KI-Zeitalter. „Können Maschinen denken?“, fragte er und schlug einen Test vor: Führt ein Mensch eine Unterhaltung mit einer Maschine, die er nicht sehen kann, und ist er sich danach unsicher, ob sein Gegenüber nicht doch ein Mensch ist, so hat die Maschine den Test bestanden.
1990 lobte der Soziologe Hugh Gene Loebner einen Preis für diejenige Software aus, die in einem 25 Minuten dauernden Wortwechsel den Turing-Test erfolgreich absolviert. Bisher musste das Preisgeld von 100.000 Dollar noch nie ausbezahlt werden. Zwar werden die Programme immer besser, aber manchmal weichen sie ungeschickt aus, verwenden Textbausteine mehrfach oder wissen auf einfache Alltagsfragen keine sinnvolle Antwort. Die Liste der digitalen Bewerber, die immerhin eine „Bronzemedaille“ erhielten, führt derzeit die Chatbot-Lady Mitsuku an.
Schaeffler goes KI
Smartphones und soziale Medien haben die Kommunikation auf der ganzen Welt verändert. Nun wird das Internet der Dinge Fahrzeuge, Maschinen und Menschen vernetzen. Schaeffler ist auf dem Weg der digitalen Transformation.
In sechs Jahren mehr Fortschritt als in sechs Jahrzehnten zuvor
Das alles heißt jedoch nicht, dass sprachgesteuerte KI-Assistenten nutzlos sind – im Gegenteil. So sorgte im Mai 2018 ein Anruf beim Friseur für Aufsehen. Der Anrufer war eine Maschine, die exakt auf das einging, was ihr menschliches Gegenüber sagte und fragte. Sie machte Halbsätze, legte Pausen ein, murmelte „Mm-hmm“ – man hatte das Gefühl, sie würde nachdenken. Inzwischen wird diese Software namens Google Duplex von Smartphone-Nutzern in den USA im Alltag getestet. Bei klar definierten Aufgaben, etwa einer Reservierung im Restaurant, funktioniert das schon recht gut. Und weitere KI-Helfer stehen für lästige Routinetätigkeiten am Start. 2019 wurde etwa „Duplex for the Web“ vorgestellt: Hier übernimmt der Assistent das Ausfüllen typischer Formulare im Internet.
Wo KI derzeit boomt, ist eindeutig: Es geht um das Erkennen von Sprache, Bildern und Textinhalten und die Auswertung riesiger Datenmengen. Hier gab es in den letzten sechs Jahren mehr Fortschritte als in den 60 Jahren zuvor. Der Grund sind drei Trends, die sich gegenseitig verstärken: erstens die Leistungssteigerung der Hardware. Jedes Smartphone kann heute so schnell rechnen und so viele Daten speichern wie der weltgrößte Supercomputer Mitte der 1990er-Jahre. Zweitens die bessere Software: In Neuronalen Netzen sind – wie im Gehirn – viele Schichten künstlicher Nervenzellen (Neuronen) gekoppelt, um Daten zu verarbeiten. Dabei können die Stärken ihrer Verbindungen variieren, was die Netze lernfähig macht. Das Prinzip ist lange bekannt, doch gegenüber den Netzen der 90er-Jahre sind die heutigen millionenfach größer und in viel tieferen Schichten gestapelt – daher die Bezeichnung Deep-Learning-Netze. Der dritte Faktor ist das Internet. Hier gibt es Milliarden von Texten, Bildern, Audio- und Video-Dateien, mit denen man KI-Systeme trainieren kann. Mit jeder Suchanfrage, mit jeder Spracheingabe, mit jedem Übersetzungswunsch lernen sie hinzu.
200 Millionen Textseiten in Sekunden durchforsten
Vielfach verwenden wir KI schon ganz selbstverständlich: das Entsperren des Smartphones per Gesichtserkennung, Sprachassistenten wie Siri und Alexa, automatische Textkorrekturen, personalisierte Werbung, Übersetzungsprogramme, Gesundheits-Apps. Auf Autobahnen fahren erste vollautomatische Fahrzeuge, und in Fabriken arbeiten Roboter Hand in Hand mit Menschen. KI analysiert Daten von Zügen oder Turbinen für eine vorausschauende Wartung, in Kliniken und Banken beraten Computer Ärzte und Finanzexperten, und täglich kommen Anwendungen hinzu.
Immer öfter besiegen Maschinen dank KI menschliche Champions. 2011 gewann das IBM-System Watson gegen die Weltmeister im Quiz Jeopardy: Binnen Sekunden kombinierte es Hinweise auf 200 Millionen Textseiten zu passenden Lösungen. Dann ging es Schlag auf Schlag: Eine KI-Software machte bei der Erkennung von Verkehrszeichen nur halb so viele Fehler wie Menschen. Eine andere fand auf Millionen Fotos in 100 Minuten alle Hausnummern. Wieder andere diagnostizierten Lungenentzündungen und Hautkrebsarten präziser als erfahrene Ärzte. Unlängst bestand die Roboterdame Xiaoyi in China die ärztliche Zulassungsprüfung: Besser als viele Studenten wusste sie, welche Symptome auf welche Krankheiten hindeuten und welche Behandlungen sinnvoll sind.
2016 gewann die Software AlphaGo gegen den weltbesten Spieler im Brettspiel Go. Ein Jahr später schlug AlphaGo Zero das Vorgängerprogramm mit 100:0. Es hatte einfach dadurch gelernt, dass es millionenfach gegen sich selbst spielte. Neue KI-Systeme bluffen beim Poker und beherrschen StarCraft II – was sehr schwierig ist, denn hier agieren alle Spieler gleichzeitig und niemand überblickt das ganze Spielfeld. Dennoch gilt nach wie vor: KI-Maschinen sind Spezialisten. Ein Computer, der im Schach oder Go gewinnt, beherrscht nur diese Spiele, nichts anderes: Er kann nicht Auto fahren oder den Rasen mähen. Auch ist es für Maschinen wesentlich schwieriger, beim Schach die Figuren zu setzen, als das Spiel zu gewinnen. Forscher brauchten beispielsweise zehn Jahre, bis sie Robotern beigebracht hatten, eine Haustür mit einem Schlüssel zu öffnen.
Neue Jobs durch KI
Maschinen haben zudem keinen „gesunden Menschenverstand“: Wenn ein Computer gelernt hat, Katzen zu erkennen, findet er überall Katzen, auch in Wolken oder dem Rauschen eines Bildschirms. Maschinen können zwar Emotionen aus Gesichtern und Stimmen lesen und sie können so tun, als ob sie Gefühle hätten, doch das sind nur Simulationen.
Sicherlich werden wir künftig smarte Maschinen so nutzen wie heute die Smartphones: selbsttätig fahrende Autos sowie digitale Assistenten und Roboter in Büros, Fabriken und im eigenen Heim. Intelligente Stromnetze, Smart Grids, brauchen wir für die Energiewende, und Smart Cities sollen unsere Städte sauberer, sicherer und lebenswerter machen. KI wird alle Berufe verändern – vom Landwirt, der Felder mit Drohnen überwacht, über den Lkw-Fahrer, der auf Autopilot schaltet, bis zum Chirurgen, der mit Roboterhilfe operiert.
Dennoch: Wenn ein Arzt den Computer beauftragt, Tausende Bilder auf Tumoren zu scannen, so nutzt er die Maschine als Assistenten, aber er wird dadurch nicht überflüssig. Eine Massenarbeitslosigkeit ist nicht zu befürchten, denn es wird auch viele neue Jobs geben, etwa Lehrer für Maschinen, KI-Forensiker oder Neural Art Designer. Wichtig ist vor allem, in Aus- und Weiterbildung das zu vermitteln, worüber keine Maschine verfügt: Flexibilität und Erfindungsreichtum, unkonventionelles, ganzheitliches Denken und Sozialkompetenz, also managen, motivieren, Konflikte lösen. Und dafür zu sorgen, dass KI sicher und zuverlässig funktioniert. Personen und Infrastrukturen zu schützen muss oberste Priorität haben. Die Maschinen dürfen nur beraten, wichtige Entscheidungen – ob in Kliniken, vor Gericht oder bei der Kreditvergabe – müssen auch in Zukunft Menschen treffen.