„Innovation und Effizienz machen uns noch nachhaltiger“
Herr Schick, in den Bereich Operations fallen wesentliche Teile der Wertschöpfungskette. Mit Blick auf die Herausforderungen der heutigen Zeit ist insbesondere Nachhaltigkeit ein zentrales Thema. Wo steht Schaeffler hier?
Unser Ziel ist es, Nachhaltigkeit über die gesamte Wertschöpfungskette zu erreichen. Das hat für Schaeffler sehr hohe Priorität. Als Motion Technology Company haben wir in der Roadmap 2025 das übergeordnete Ziel festgelegt, bis 2040 vollständig klimaneutral zu sein. Das ist sehr anspruchsvoll, vielleicht sogar noch anspruchsvoller als im Marktvergleich. Aber genau das zeichnet uns aus: Wir stellen Nachhaltigkeit konsequent in die Mitte unserer Strategie. Das passt perfekt zu uns als Familienunternehmen, zu dessen DNA eine durch unsere Gesellschafterfamilie vorgelebte langfristige Zielsetzung gehört. Im Bereich Operations spielen erneuerbare Energien und Energieeffizienz in der Produktion eine Schlüsselrolle. Weiter reduzieren wir den Erdgasverbrauch in den Werken konsequent.
Können Sie uns einen tieferen Einblick zum Stand der Maßnahmen geben?
Eines unserer Ziele ist die Klimaneutralität in der Produktion bis 2030. Um das zu erreichen, werden wir die Nutzung von Erdgas und Erdöl sukzessive reduzieren. Hier stehen wir in etwa bei der Hälfte. In Scope 2 – dem Zukauf von klimaneutral erzeugter elektrischer Energie – sind wir schon mehr als 75 Prozent des Weges gegangen. Alle relevanten Produktionsstandorte in allen Regionen werden ab 2025 klimaneutrale Energie beziehen. Zur Nutzung von Wasserstoff haben wir erste Pilotprojekte gestartet. In diesen analysieren wir die Nutzung von Öfen, die mit Wasserstoff betrieben werden.
Wo muss Schaeffler bei Nachhaltigkeitsaktivitäten noch nachschärfen?
Wir müssen in Scope-3-Upstream noch zulegen – beim Zukauf von Material. Hier werden wir noch konsequenter und fokussierter auf Maßnahmen und Aktivitäten setzen müssen, um unsere Ziele zu erreichen. Warum? Das liegt an unserem erfolgreichen Umsatzwachstum in den letzten Jahren. Wir haben deutlich mehr Stahl als Werkstoff zugekauft, dessen CO₂-Footprint sich negativ auf unsere CO₂-Bilanz auswirkt.
Dennoch ist der Zukauf von Stahl notwendig. Welche Rolle nimmt Stahl bei Schaeffler ein?
Stahl dominiert als Werkstoff das Produktportfolio von Schaeffler. Egal ob bei eher klassischen Produkten wie Kupplungen oder Lagern oder bei neuen Produkten aus der E-Mobilität, die teilweise höherwertigen Stahl voraussetzen. 65 Prozent unserer Materialliste besteht heute aus Stahl und materialverwandten Produkten. Bis 2030 erwarten wir hierbei nur einen geringen Rückgang. Denn sowohl heute als auch in absehbarer Zukunft werden Autos und Produktionsanlagen in wesentlichen Teilen aus Stahl gefertigt werden. Im Hinblick auf unsere industrielle Verarbeitung heißt das in absoluten Zahlen: Allein 2023 hat Schaeffler mehr als eine Million Tonnen Stahl verarbeitet. In dessen Dekarbonisierung liegt die große Herausforderung.
Eine Option ist der Zukauf von grünem Stahl. Was versteht Schaeffler unter grünem Stahl?
Für unsere Nachhaltigkeitsklassifizierung von Stahl sehen wir bei Schaeffler vier Gruppen vor: Grau, Leichtgrün, Mittelgrün und Grün. Für Schaeffler ist Stahl grün, wenn er einen Footprint von weniger als 400 Kilogramm CO₂-Emissionen pro Tonne aufweist. Leider verfügen wir aber aktuell noch über keinen Stahl, den wir intern als komplett grün klassifizieren können. Das liegt vor allem daran, dass dieser auf dem Markt noch nicht verfügbar ist. Der Weg hin zur Stahldekarbonisierung verläuft noch zu langsam. 2023 entstanden 90 Prozent an Treibhausgasemissionen von Schaeffler bereits vor unserer eigenen Verarbeitung. Aktuell verursacht die Stahlproduktion noch einen sehr hohen CO₂-Ausstoß von 2,2 bis 2,5 Tonnen CO₂ pro Tonne Stahl. Vielversprechende nachhaltige Alternativen sind perspektivisch in Elektrolichtbogenöfen erzeugter Stahl sowie der Einsatz von grünem Wasserstoff als Energieträger in dessen Produktion.
Wie will Schaeffler den Bezug von grünem Stahl sicherstellen?
Wir kommunizieren unseren Lieferanten im Stahlbereich schon seit längerem, dass wir perspektivisch nachhaltigeren beziehungsweise grünen Stahl nach unserer Klassifizierung kaufen wollen. Zur umweltfreundlichen Beschaffung benötigen wir aber auch zuverlässige und starke Partner, die bereit sind, mit uns voranzugehen. Impulse setzt zum Beispiel unsere vielversprechende Partnerschaft mit dem schwedischen Start-up H2 Green Steel.
Was macht diese Partnerschaft so besonders?
H2 Green Steel ist der erste Stahlhersteller, der industriell grünen Stahl gemäß unserer Klassifizierung erzeugen wird. Hierfür entsteht sogar das erste neue Stahlwerk in Europa seit mehr als 30 Jahren. Ab 2026 bezieht Schaeffler schrittweise 100.000 Tonnen von dort nahezu CO₂-frei hergestelltem Stahl. Das Start-up setzt auf die zuvor angesprochene Stahlherstellung durch den Einsatz von grünem Wasserstoff. Letzteres ist hierbei von zentraler Bedeutung. Nur wenn der Wasserstoff selbst CO₂-neutral aus erneuerbaren Energien hergestellt wird, wird die angestrebte Klimaneutralität erreicht. Und der Effekt ist enorm. Wir vermeiden auf diese Weise ab 2026 bis zu 200.000 Tonnen an CO₂-Emissionen jährlich. Unsere Strategie sieht es vor, in Zukunft die Kooperation mit solchen innovativen Partnern zu intensivieren.
Lassen Sie uns kurz über Digitalisierung sprechen. Welche Rolle sehen Sie in künstlicher Intelligenz – Bedrohung oder Chance?
Beides: eine große Chance, wenn wir zügig die Anwendung von generativer KI verstehen, aber auch ein Risiko, wenn wir die neuen Möglichkeiten nicht erkennen oder langsamer als unsere Konkurrenz in unsere Prozesse einbinden. Wir müssen bei Schaeffler lernen, die digitalen Lösungen, die jetzt entstehen, in unsere Kernprozesse zu integrieren. Ich sage gerne: „Copilot for everything“. Darunter verstehe ich unterstützende KI-Lösungen, die auf Basis vorhandener Informationen und Anwendervorgaben neue Inhalte generieren. Hier bieten sich enorme Automatisierungspotenziale. Copilots lassen sich in all unsere Wertschöpfungsprozesse implementieren.
Haben Sie ein Beispiel?
Wir sind Pilotanwender des ersten Industrial Copilot, den wir in Kooperation mit Siemens entwickeln. Über eine generative KI erfolgt automatisiert eine PLC-Maschinenprogrammierung. Die Maschine versteht nun die Sprache des Menschen – man könnte sagen, die Anlage hört unseren Ingenieuren jetzt zu. Diese Art der Kommunikation ermöglicht es, komplexe Arbeitsprozesse in wenigen Minuten durchzuführen und wiederholende Aufgaben an den Copilot zu übergeben. Im Februar hat Schaeffler die Funktionalität des Industrial Copilot auf der Siemens Hauptversammlung eindrucksvoll demonstriert. In Echtzeit, gemeinsam mit dem Vorstandsvorsitzenden der Siemens AG, Dr. Roland Busch.
Sie sprachen in der Vergangenheit häufig von der „Dekade der Effizienz“. Was meinen Sie damit?
Darunter verstehe ich die Effizienzsteigerung, die wir in immer mehr Bereichen sehen werden, unter anderem durch den künftigen Einsatz von Copilots. Der Programmierungsaufwand für Maschinen wird geringer, und das wird sich auf weitere Aufgaben in unseren Shopfloors erweitern. Zum Beispiel könnte ein Teamleiter bei der Vorbereitung von Werkzeugen oder der Durchführung von Messungen bereits während der laufenden Fertigung per Copilot die relevanten Informationen zuspielen und sagen: „Diese Rüstung oder diese Messung nehmen Sie so vor.“ Auf Basis gesammelter Daten werden die besten Lösungen bereitgestellt. Solche Effizienzpotenziale bieten sich in allen Bereichen. Die technologische Lösung ist schon vorhanden, wir müssen sie im nächsten Schritt nutzen.
Wie sehen Sie den Bereich Operations bei Schaeffler für die Zukunft aufgestellt?
Mit „Next Level Operations“ haben wir sechs Handlungsfelder definiert, anhand derer wir unsere Arbeit zukunftsorientiert ausrichten. Diese Handlungsfelder sind Innovation, Agilität, Effizienz, Nachhaltigkeit, Resilienz und nicht zuletzt der Mensch. Beim Global Production Forum 2023 haben wir über Herausforderungen als auch über Lösungsansätze in diesen Bereichen diskutiert. So ist die Steigerung der Effizienz untrennbar mit dem Einsatz neuester Technologielösungen verbunden. Gleichzeitig sind qualifizierte Teams, die diese bedienen können, das Rückgrat, um unseren zukünftigen Erfolg zu sichern. Nachhaltigkeit ist nicht nur für uns, sondern auch global gesehen die wohl größte Herausforderung unserer Zeit. Gleichzeitig brauchen wir resiliente Lieferketten, um unsere Ziele zu erreichen. Sie sehen: Die Handlungsfelder sind untrennbar miteinander verbunden.
Wir danken für das Gespräch, Herr Schick.