Ja, wo fahren sie denn?
Wie die Mobilität von morgen idealerweise aussehen sollte, ist klar: gern elektrisch angetrieben, natürlich mit Strom aus erneuerbaren Energien – und in großen Teilen autonom. Denn wenn die rapide wachsenden urbanen Regionen der Schwellenländer ihren Mobilitätshunger künftig mit herkömmlich motorisierten Autos stillen, ist das Anfang November 2016 in Kraft getretene Klimaabkommen von Paris schlicht nicht umsetzbar. Solche emissionsfreien, selbstfahrenden Fahrzeuge sorgen in den wachsenden Megacitys aber nicht nur kurzfristig für bessere Luft und langfristig besseres Klima. Selbstfahrende Busse oder Autos im Flottenverbund für den öffentlichen Nahverkehr könnten in den wuchernden Metropolen künftig auch dafür sorgen, dass der Verkehr wieder fließt. Da sie effizienter betrieben werden können, sinkt die Anzahl der Fahrzeuge in der Stadt, Straßen wären nicht mehr so verstopft. Heutzutage sind kilometerlange Staus die Regel.
Pragmatische Entscheidungen in Schwellenländern
Aber ist es realistisch, dass Schwellenländer ihren Nachholbedarf beim Verkehr direkt mit neuester Technologie decken werden? Nicolai Müller, Autoexperte bei der Unternehmensberatung McKinsey & Company, ist da skeptisch: „Die fehlende Infrastruktur ist ein gewichtiges Hemmnis für neue Technologien wie die E-Mobilität und das autonome Fahren.“ Sie müsse daher Stück für Stück entwickelt werden. „In Schwellenländern werden sich Elektroautos und autonom fahrende Fahrzeuge erst später durchsetzen als in Regionen wie Europa, den USA oder China“, sagt Müller.
Das sieht Toyotas Technik-Pressesprecher Dirk Breuer grundsätzlich ähnlich, verweist allerdings auch auf einen Vorteil vieler Schwellenländer: „Im Gegensatz zum fast schon überregulierten Deutschland fallen Entscheidungen in Schwellenländern oft schnell und pragmatisch“, sagt Breuer.
Manche Experten halten es daher durchaus für möglich, dass die autonome Fahrzeugtechnik in Schwellenländern schneller umgesetzt wird als in Europa und den USA. Gerade Indien und China könnten ihre Infrastrukturprojekte schnell und zielgenau auf die autonome Technik ausrichten, sagte die Analystin Rebecca Lindland von der amerikanischen Branchenberatungsfirma Kelley Blue Book kürzlich in einem Interview.
China wartet ungeduldig, die alte Welt nicht
Die Bevölkerung in den Schwellenländern würde die neue Technologie jedenfalls begrüßen. Das hat die aktuelle Studie „Automobilbarometer 2016“ des auf Auto- und Konsumgüterkredite spezialisierten Instituts Commerz Finanz GmbH ergeben. Bei der Befragung von 8.500 Verbrauchern aus 15 Ländern kam heraus, dass China mit 91, Brasilien mit 73 und Mexiko mit 69 Prozent Zustimmung auf die Frage „Würden Sie ein autonomes Auto nutzen wollen?“ ein überdurchschnittlich hohes Interesse an der Zukunftstechnologie zeigen.
Ganz im Gegensatz zu den Ländern, die die Technologie maßgeblich entwickeln. Die Zustimmungswerte für Deutschland liegen bei mageren 44 Prozent, Großbritannien mit 36 und die USA mit nur 32 Prozent unterbieten diesen Wert sogar noch einmal. Diese Zahlen belegen, dass sich das Auto in seiner modernsten Variante in den befragten Schwellenländern sicherlich leichter durchsetzen wird als anderswo, schreiben die Autoren der Commerz-Finanz-Studie. Das meint auch US-Analystin Lindland, die noch ein weiteres Argument für eine schnelle Einführung nennt: Wer noch nie ein eigenes Auto besessen habe, der würde sehr wahrscheinlich bei einem auf autonomen Fahrzeugen basierten Mitfahrdienst nichts vermissen. Genau darauf setzen auch die beiden US-Branchenriesen Uber und Lyft, die beide die Entwicklung autonomer Autos mit vorantreiben und nun beginnen, die neuen Märkte zu sondieren: So ist Uber seit letztem Jahr verstärkt auf dem afrikanischen Markt aktiv.
Effiziente Technik für Schwellenländer
Unabhängig von der Frage, ob sich selbstfahrende Autos in Schwellenländern zukünftig besonders schnell verbreiten oder nicht, werden dort auch konventionelle Fahrzeuge in zunehemdem Maße zugelassen. Grund genug für Schaeffler, auch hierfür effizienzsteigernde Lösungen anzubieten.
Gerade in Asien und Lateinamerika wird der Individualverkehr großteils mit Mopeds und Motorrädern bewerkstelligt. Für diese bietet Schaeffler zahlreiche neu entwickelte Komponenten wie Kettenspanner und Zahnkette, Starterfreilauf und speziell gedichtete Lager an. Diese Innovationen reduzieren nicht nur die Reibung und den Verschleiß, sondern auch das Gewicht und den benötigten Bauraum.
Dass sich auch im Pkw-Bereich mit kostengünstigen Technologien zehn Prozent CO2-Emissionen einsparen lassen, beweist zum Beispiel das Schaeffler-Demofahrzeug „Efficient Future Mobilty India“. Elektronisches Kupplungsmanagement, variable Nockenwellenverstellung und ein Thermomanagement-Modul optimieren hier den Verbrauch.
„Mit den Menschen vor Ort zu sprechen, sie und ihre Bedürfnisse zu verstehen, braucht Zeit, die wir vor dem Hintergrund des Klimawandels eigentlich nicht haben“
Rainer Kurek, CEO Automotive Management Consulting
Autonom gleich billig fahren?
Die höheren Anschaffungskosten der autonomen Fahrzeuge würden sich laut Experten nicht auf die Nutzer niederschlagen. Die jeweiligen Fahrdienst-Anbieter holen diese Kosten langfristig durch eine hohe Nutzungsdauer und eingesparte Personalkosten wieder herein. Für die meisten Menschen wird es daher deutlich günstiger, ein autonomes Auto auf Bedarf zu rufen als eines zu besitzen. Auch das könnte einer Verbreitung in Schwellenländern zugutekommen.
Der Kostenfaktor müsste doch auch im Westen greifen, sollte man meinen. Forscher der Columbia University in New York haben berechnet, dass der Preis für eine Taxifahrt in New York pro Meile von heute rund vier Dollar durch den günstigeren Betrieb einer selbstfahrenden Taxiflotte auf einen halben Dollar fallen könnte. Das heißt: Der Durchschnittsamerikaner, der rund 12.000 Meilen mit dem Auto zurücklegt, zahlt für diese Strecke im Robotertaxi 6.000 Dollar. Schwer, das mit dem eigenen Auto zu unterbieten. Dennoch: In den Regionen, in denen das traditionelle Auto bereits fest im Lebensstil verankert ist, dürfte der Wechsel auf die neuen Technologien langsamer erfolgen, da dort Gewohnheiten und Traditionen die Veränderungen bremsen, folgert die Commerz-Finanz-Studie.
Spätestens im Jahr 2035 seien autonom fahrende Autos aber weltweit etabliert – das prognostiziert zumindest das Strategieberatungsunternehmen Oliver Wyman. Zwischen 20 und 30 Prozent der globalen Fahrzeugproduktion könnten dann teil- und vollautomatisierte Fahrzeuge ausmachen. Viel Zeit, sich darauf vorzubereiten, bleibt also nicht mehr: „Für Automobilhersteller kommt es jetzt darauf an, die neuen Wertschöpfungsmöglichkeiten durch strategische Partnerschaften abzudecken, während Zulieferer sich darauf konzentrieren sollten, modernste Technologie zu wettbewerbsfähigen Preisen bereitzustellen“, sagt Juergen Reiner, Automobil-Experte bei Oliver Wyman. „Die erfolgreichsten Spieler werden die Anforderungen der Fahrzeugnutzer, die Entwicklung der gesetzlichen Regelungen und der Versicherungsbestimmungen antizipieren und maßgeschneiderte Lösungen anbieten.“
Das Wissen um Kulturen ist sehr wichtig
Rainer Kurek, Chef des Technologieberatungsunternehmens Automotive Management Consulting im oberbayerischen Penzberg, warnt in diesem Kontext davor, die heute noch vergleichsweise kleinen regionalen Hersteller in den Schwellenländern zu unterschätzen. „Das Wissen über den kulturellen Hintergrund des Landes und damit um die Bedürfnisse der Kunden ist extrem viel wert – ob insbesondere die chinesischen Hersteller auf Dauer so erfolglos wie heute bleiben, wage ich zu bezweifeln.“ Autonome Autos und auch alle anderen Formen der Mobilität werden sich Kureks Meinung nach nur durchsetzen, wenn der Kundennutzen für den jeweiligen Markt exakt herausgearbeitet wurde. Für ihn seien daher Kommunikation und Kooperation die beiden wichtigsten Themen bei der Konzipierung neuer Produkte für die wachsenden Märkte in den Schwellenländern.
„Mit den Menschen vor Ort zu sprechen, sie und ihre Bedürfnisse zu verstehen, braucht Zeit, die wir vor dem Hintergrund des Klimawandels eigentlich nicht haben“, sagt Kurek. „Aber anders wird es nicht funktionieren – ich würde mir auch nicht vorschreiben lassen, welches Auto ich brauche.“