Kein Rappeln in der Kiste
Der Ton macht die Musik, heißt es im Volksmund. Auch bei der Fortbewegung kommt es auf den Ton an, darauf, ob er als störend oder gar betörend wahrgenommen wird. „Jedes Geräusch ist unweigerlich der Überbringer einer Botschaft“, sagt Carsten Mohr, Leiter der Akustik-Abteilung am Schaeffler-Automotive-Standort Bühl. Ob Töne als angenehm oder störend empfunden werden, hänge auch von der Erwartungshaltung ab, sagt Mohr: „Wenn ich ein Auto mit V8-Motor fahre, dann will ich meist auch etwas von seinem Sound, den Ansaug- und Auspuffgeräuschen hören. Das ist im Elektroauto ganz anders. Da ist geräuscharmes Dahingleiten häufig sogar ein wesentliches Kaufargument. Entsprechend wichtig ist, dass alle Komponenten geräuschseitig gut aufeinander abgestimmt sind.“
Mohr ist seit 1996 bei Schaeffler. Früher war er Einzelkämpfer, heute hat allein seine Abteilung 23 Mitarbeitende. Auch das unterstreicht die stetig wachsende Bedeutung des Themas, zu dem nicht nur die Geräusche selbst zählen, sondern vor allem auch ihre Entstehungsmechanismen und Ausbreitungspfade. Entsprechend oft fällt in Gesprächen mit Akustikexperten die Abkürzung NVH, die für „Noise, Vibration and Harshness“ steht.
Im Vergleich zum tief und damit angenehmer klingenden verbrennungsmotorischen Antrieb verursacht das Elektroauto konzeptbedingt viel Pfeifen und Sirren. Diese höheren Frequenzen können schnell nerven. Um dem einen Riegel vorzuschieben, steuern Mohr und seine Kollegen so früh wie möglich gegen. „Gerade für unsere Kunden ist es wichtig, bereits in einem frühen Entwicklungsstadium abschätzen zu können, welchen Einfluss elektrische Komponenten auf das spätere Gesamtklangbild im Fahrzeuginnenraum haben“, sagt Mohr. Er weiß: „Nur durch frühzeitige akustische Optimierung lässt sich aufwendiges Troubleshooting in späteren Entwicklungsphasen vermeiden.“ Weil Geräuschquellen sich überlagern und damit verstärken, abschwächen oder maskieren können, simulieren die Schaeffler-Akustiker immer auch vollumfänglich Fahrzeuginnengeräusche, um Störfaktoren zu identifizieren und zu bewerten. Vergleiche haben gezeigt, dass diese Simulationen sehr dicht an das real gemessene Fahrzeuginnengeräusch herankommen.
„Wie bei vielen Entwicklungen müssen auch wir in der Akustik aus vielen zu berücksichtigenden Faktoren den bestmöglichen Kompromiss finden.“
Aber warum nicht einfach jedes Teil so leise wie möglich bauen? Mohr: „Wie bei vielen Entwicklungen müssen auch wir in der Akustik aus vielen zu berücksichtigenden Faktoren den bestmöglichen Kompromiss finden. Was nützt die leiseste E-Achse, wenn sie viel zu schwer, zu teuer oder nicht performant genug ist? Geräuschoptimierung muss immer in Relation zu Bauraum, Gewicht, Leistung und Wirkungsgrad umgesetzt werden.
Dass Hersteller bei ihren E-Autos oft künstliche Soundteppiche ausbreiten, kann Mohr verstehen: „Autos werden nicht nur wegen ihrer technischen Eigenschaften gekauft, sondern fast immer auch aufgrund von Emotionen. Und mit Klang kann man sehr positive Emotionen wecken. Es hat sich aber gezeigt, dass sich ein klassisches V8-Wummern im E-Auto plötzlich falsch anhört und vom Kunden abgelehnt wird.“
Dass der Kunde einen eigenen Sound wie ein Klingelton herunterladen kann, sei technisch zwar denkbar, wird aber von Mohr eher als unrealistisch beurteilt: „Der signaltechnische Aufwand zur Gestaltung eines auf allen Sitzplätzen des Fahrzeugs zufriedenstellenden Geräuschbildes ist sehr hoch und zur Sicherstellung der markentypischen Geräuschqualität bieten die Fahrzeughersteller heute ja bereits je nach Ausstattungslinie unterschiedliche designte Innengeräusch-Varianten zur Auswahl an.“ Wohin genau die Reise beim E-Autosound gehen wird, weiß auch der Schaeffler-Experte nicht: „Wir sind noch am Anfang des Antriebswechsels im Pkw. Nicht nur wir müssen uns da neu sortieren, sondern auch unsere Ohren.“