Matriarchin mit Weitblick
© Schaeffler
Februar 2022

Matriarchin mit Weitblick

Von Leopold Wieland
Schafft sie das? Als Maria-Elisabeth Schaeffler nach dem Tod ihres Mannes Dr.-Ing. E. h. Georg Schaeffler 1996 die Unternehmensführung übernahm, stellten sich viele diese Frage. Heute, 25 Jahre später, lautet die Antwort: Ja, sie hat es geschafft. Seite an Seite mit ihrem Sohn Georg F. W. Schaeffler und mit Unterstützung des Managements transformierte sie das einst mittelständische Unternehmen mit technischem, ökonomischem und sozialem Weitblick in einen erfolgreichen Technologiekonzern.

„Der Ausnahmeerfolg der Schaeffler AG ist ohne das Ausnahmetalent seiner Gesellschafterin gar nicht denkbar.“ Diese Worte höchster Anerkennung für Maria-Elisabeth Schaeffler-Thumann übermittelt Prof. Dr. Wolfgang Reitzle im August 2021 anlässlich ihres 80. Geburtstags und ihrer 25 Jahre an der Spitze eines der weltweit führenden Technologiekonzerne. Reitzle, als Ex-Vorstandschef von Ford Deutschland, BMW und Linde, heute als Verwaltungsratsvorsitzender von Linde und Aufsichtsratsvorsitzender von Continental einer der renommiertesten Wirtschaftskapitäne, präzisiert: „Ich persönlich kenne nur wenige Unternehmer- oder Manager-Persönlichkeiten – seien es Männer oder Frauen – die rationaler, kalkulierter und strategisch weitsichtiger vorgehen als sie.“

Weltkonzern vollendet

Maria-Elisabeth Schaeffler-Thumann, die seit 2014 auch den Nachnamen ihres zweiten Ehemanns Jürgen Thumann führt, wollte einst Pianistin oder Ärztin werden. Dann lernt die junge Medizinstudentin 1963 Georg Schaeffler kennen. Noch im selben Jahr heiraten die beiden, gründen eine Familie. ­Maria-Elisabeth Schaeffler, 1941 als Maria-Elisabeth Kurssa in Prag geboren und seit 1945 in Wien zu Hause, wird zur „First Lady“ im Familienunternehmen des deutschen Technologiepioniers in Herzogenaurach. Seit seinem Tod im August 1996 führt sie das Lebenswerk ihres Mannes an seiner statt fort – willensstark, entschlossen, diszipliniert. Als einziger weiterer Mitgesellschafter steht ihr Sohn Georg F. W. Schaeffler ihr zur Seite. Heute ist der Diplomkaufmann und Wirtschaftsjurist auch Aufsichtsratsvorsitzender der Schaeffler AG.

Ich persönlich kenne nur wenige Unternehmer- oder Manager-Persönlichkeiten – seien es Männer oder Frauen – die rationaler, kalkulierter und strategisch weitsichtiger vorgehen als sie.

Prof. Dr. Wolfgang Reitzle über Maria-Elisabeth Schaeffler-Thumann

Deutschland ist Mitte der Neunzigerjahre Europas Wachstumsschlusslicht. Keine einfachen Zeiten, aber getrieben durch neue Technologien wie Internet und Mobilfunk ergeben sich auch neue Möglichkeiten. Maria-Elisabeth Schaeffler-Thumann, damals 55 Jahre alt, beschreibt ihren Start in die volle unternehmerische Verantwortung heute so: „Es war keine leichte Aufgabe, denn INA war von Georg Schaeffler geschaffen worden und war auf ihn zugeschnitten. Manch einer hat uns damals geraten, das Unternehmen zu verkaufen, aber das kam für meinen Sohn und mich nie in Frage. Ich war entschlossen, das Lebenswerk von Georg ­Schaeffler fortzuführen und die Entwicklungsmöglichkeiten zu nutzen, die sich vor dem Hintergrund der globalen dynamischen Veränderungen boten.“

Schon in den ersten zehn Jahren unter der Ägide der beiden Gesellschafter Maria-Elisabeth und Georg F. W. Schaeffler wächst das Familienunternehmen schneller denn je. LuK – Mitte der 1960er-Jahre von Georg Schaeffler und seinem Bruder Dr. Wilhelm Schaeffler mitbegründet – wird 1999 komplett übernommen, dazu 2001 auch noch Mitbewerber FAG Kugelfischer. Umsatz und Mitarbeiterzahl verdreifachen sich binnen einer Dekade. Operativ umgesetzt vom Management ihres Vertrauens, formen die Gesellschafter das mittelständische, ursprünglich in der Mechanik verortete Familienunternehmen zu einem global operierenden Technologiekonzern. Einen solchen Erfolg haben viele nicht für möglich gehalten. ­Maria-Elisabeth Schaeffler-Thumann erinnert sich: „Da war eine Witwe, die nicht viel Ahnung hat, ein Sohn, der in Amerika Anwalt ist; also, man hat uns nicht sehr viel zugetraut. Aber ich war und bin von diesem Unternehmen besessen.“ Diese Leidenschaft für das Unternehmen, die ihr Mann vorgelebt hatte, beflügelte auch seine Erben.

Matriarchin mit Weitblick
1963 heiratet Maria-Elisabeth Kurssa den Unternehmer Georg Schaeffler und wird zur „First Lady“ des Familienkonzerns© Schaeffler
Familienunternehmen bewahrt

Unternehmen und Familie waren stets eins für ­Georg Schaeffler. Zusammen mit Bruder Wilhelm gründet er 1946 in Herzogenaurach die Indus­trie GmbH. Noch im ersten Geschäftsjahr wächst die Zahl der Mitarbeitenden auf 150. Ein Bollerwagen mit bedarfsgerecht auswechselbaren Bordwänden wird zum ersten Mobilitäts-Verkaufsschlager im Nachkriegsdeutschland. Das simple Gefährt ist aber nur eine Übergangslösung. Den rasanten Aufstieg des Unternehmens ermöglicht ab 1950 das käfiggeführte Nadellager, eine geniale Erfindung von Georg ­Schaeffler, die Bewegung und Mobilität revolutioniert – im Automobilbau wie in der Industrie.

Georg Schaeffler ist mehr als der technische Kopf seines Unternehmens. Er ist vom ersten Tag an auch sein soziales Herz. Er führt Betriebssportgruppen, Betriebskindergärten, Ferienheime und Versicherungen mit günstigen Tarifen ein.

Diesen Teil seines Vermächtnisses pflegt Maria-Elisabeth Schaeffler-Thumann mit gleichermaßen großer Leidenschaft. „Er wollte, dass ich das Unternehmen wie er als Teil unserer Familie sehe, und so erklärte er mir das Unternehmen, die Produkte, stellte mich der Belegschaft vor und ermunterte mich, in das Unternehmen zu gehen, um durch Zuschauen und Zuhören zu lernen“, sagt sie rückblickend auf ihre ganz persönliche, 33 Jahre währende Lehrzeit an der Seite von Georg Schaeffler. Sitzungen der Geschäftsleitung und Besprechungen der Konstrukteure hier, Ansprachen vor Auszubildenden, Ehrungen für Jubilare und Feste mit Ruheständlern da: Schaefflers „First Lady“ findet zum Management wie zu den Mitarbeitenden aller Ebenen und in aller Welt immer den richtigen Draht und den passenden Ton. Sie hört genau hin, fühlt ehrlich mit, scheut aber auch keine schmerzhaften Entscheidungen, wenn sie denn wichtig sind für das Wohl des gesamten Unternehmens. Deshalb vertraut ihr die Belegschaft selbst in schwersten Zeiten.

Führungsstark in der Krise

Die Verbundenheit von Gesellschaftern und Belegschaft des Familienkonzerns zeigt sich auch im Verlauf der Mehrheitsbeteiligung an Continental durch Schaeffler, die 2008 durch die unerwartet hereingebrochene Weltfinanzkrise in heftige Turbulenzen gerät. Dem Unternehmen droht das Aus. „Wir standen solidarisch zusammen auf dem Rathausplatz, und ich höre noch die Rufe ,Wir sind Schaeffler‘ in meinem Ohr. Dieses Gefühl des Zusammenhalts der großen ,Schaeffler-Familie‘ hat mir sehr viel Kraft gegeben“, erinnert sich Maria-Elisabeth Schaeffler-Thumann an ihre schwierigste Phase als Dirigentin und Taktgeberin des Unternehmens. Zusammen mit ihrem Sohn und im Schulterschluss mit Belegschaft und Management gelingt es, den Konzern wieder in ruhigere Fahrwasser zu lenken.

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An Technik und Menschen gleichermaßen interessiert: Maria-Elisabeth Schaeffler-Thumann sucht das Gespräch mit ihren Mitarbeitenden© Schaeffler

Für Dr. Ariane Reinhart, Personalvorständin und Arbeitsdirektorin von Continental, sind das Mitgefühl und die Loyalität von Schaefflers Gesellschafterin gegenüber Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ebensolche Erfolgsfaktoren wie ihr Wagemut, ihre Zielstrebigkeit und Ausdauer: „Maria-Elisabeth Schaeffler-Thumann war und ist in dieser Hinsicht stets ein verlässlicher Wegweiser, eine Matriarchin im besten Sinne des Wortes. Menschen fühlen sich von ihr ebenso geschätzt wie geschützt und damit getragen und bestätigt.“ Unternehmen und Familie gehören mit allen Konsequenzen untrennbar zueinander. So haben es die Firmengründer Wilhelm und Georg Schaeffler vorgelebt, so setzen es die Erben fort.

Auch als AG ein Familienunternehmen

2015 geht der Schaeffler-Konzern an die ­Börse. Abermals macht Maria-Elisabeth Schaeffler-­Thumann deutlich: „Die Schaeffler Gruppe bleibt auch zukünftig ein Familienunternehmen. Als Gesellschafter übernehmen wir unverändert Verantwortung für die Entwicklung unserer Unternehmensgruppe.“ Nicht zuletzt, dass sich die Mitarbeiterzahl seit 1996 von rund 20.000 auf knapp 84.000 mehr als vervierfacht hat, zeigt die überaus erfolgreiche Unternehmensentwicklung der vergangenen 25 Jahre.

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Erfolgreiches Dreiergespann (v. l.): Die Gesellschafter Georg F. W. Schaeffler und  Maria-Elisabeth Schaeffler-Thumann sowie Vorstandschef Klaus Rosenfeld brachten den Zuliefer-Riesen an die Börse und führten ihn in die E-Mobilität und die Industrie 4.0© Schaeffler

Heute betreibt Schaeffler in mehr als 50 Ländern 75 Produktionswerke und ist insgesamt an etwa 200 Standorten vertreten. Die Firma ist als Automobilzulieferer eine treibende Kraft bei der Entwicklung elektrischer Antriebe geworden und hat sich mit der Industriesparte unter anderem zu einem der führenden Anbieter von Systemen und Lagerlösungen im Bereich Windkraft entwickelt. Autonomes Fahren, Digitalisierung und Indus­trie 4.0 sind längst zu wichtigen Geschäftsfeldern geworden. Jahr für Jahr meldet der Automobil- und Industriezulieferer etwa 2.000 Patente an – so viele wie kaum ein anderes Unternehmen. Damit gehört die Schaeffler AG zur Weltspitze beim Erfinden und Entwickeln von Komponenten und Systemen für Bewegung und Mobilität. Oder wie es auf einem Plakat auf dem Schaeffler-Gelände unterhalb des Gesellschafterbüros geschrieben steht: „We pioneer motion“.

Seit 75 Jahren bewegt Schaeffler die Welt
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1946 gründen Wilhelm und Georg Schaeffler in Herzogenaurach die Industrie GmbH. Frühes Mobilitätsprodukt: ein einfacher Handwagen, der als Transportmittel im Nachkriegsdeutschland ein Verkaufsschlager wird. © Schaeffler

Alles über die Geschichte des Unternehmens von den Anfängen 1946 bis zur Jetztzeit finden Sie hier.