Neue Bauwelt
Gerne orientiert man sich an der Automobil- und Maschinenbauindustrie, wenn von der Produktion 4.0 die Rede ist. Auch hier ist alles im digitalen Modell hinterlegt, und das Zusammenspiel des digitalen Zeichnens und Konstruierens (CAD) mit der digitalen Produktion funktioniert perfekt. Menschen trifft man immer seltener in den Fabrikhallen. Roboter bewegen sich zackig und punktgenau durch den digital vernetzten Raum. Und das Material, das von selbstfahrenden Staplern aus den Hochregalen entnommen wird, bewegt sich eigenständig auf selbstfahrenden Paletten, geleitet von Induktionsschleifen – zur rechten Zeit, exakt zum rechten Ort. Willkommen in der Fabrik 4.0. Und auf der Baustelle? Auch hier schreitet die digitale Transformation mit großen Schritten voran. Nicht nur GPS-gesteuerte Vermessungsgeräte und selbstständig arbeitende Baumaschinen gehören längst zur Ausrüstung. Vor allem ein Begriff gewinnt an Bedeutung: Building Information Modeling, kurz BIM.
Die Planungsmethode BIM
Doch was ist eigentlich BIM? Das Building Information Modeling ist keine spezielle Software, sondern beschreibt das perfekte Zusammenspiel unterschiedlicher Softwarelösungen und Datenbanksysteme. So wie jedes Gewerk eigene Werkzeuge nutzt, so unterschiedlich sind auch die Softwareanwendungen, die bei den Planungs- und Entwicklungs-, Beschaffungs-, Bau- und Nutzungsprozessen im Einsatz sind. BIM ist wie eine digitale Maschinerie, die diese Prozesse sortiert und vernetzt. Wichtige Voraussetzung: Alle Daten müssen in dem einheitlichen IFC-Standard (Industry Foundation Classes) vorliegen.
Noch ist das Building Information Modeling am Anfang seiner Entwicklung, sorgt aber schon jetzt für gesteigerte Termin- und Budgettreue. Denn BIM, und das ist der entscheidende Fortschritt gegenüber CAD, stellt nicht nur dreidimensionale Räume digital dar, auch die Parameter Zeit und Kosten werden als vierte und fünfte Dimension berechnet. Kein Wunder, dass BIM in vielen Ländern bei öffentlichen Ausschreibungen jetzt sogar zur Pflicht wird.
Die Digitalisierung bringt eine neue Baukultur. Für den Architekten ist es ein Paradigmenwechsel
Matthias Kohler, Professor für Architektur und Digitale Fabrikation ETH Zürich
Weiterentwicklungen sollen BIM so weit bringen, dass eine eigene vernetzte virtuelle Welt entsteht: ein digitaler Zwilling des gesamten Bauprojekts. Zu dieser neuen Bauwelt gehören dann, wenn der Plan aufgeht, auch das Internet der Dinge (IoT) und cyberphysische Systeme einschließlich Maschinensteuerung, Sensorik und Echtzeitmonitoring.
Bei aller Digitalisierung und Vernetzung: BIM kann und soll das persönliche Gespräch sowie ein gemeinsames Verständnis für die einheitliche Aufbau- und Ablauforganisation nicht ersetzen. Die Hard- und Software sowie Datenbanken dienen hier lediglich als nötige Infrastruktur und ermöglichen allen am Bau Beteiligten in jeder Planungsphase den direkten Zugriff auf die relevanten Informationen. Klempner und Fliesenleger können Daten abgleichen und wenn nötig zusätzlich mit Malern und Elektrikern austauschen. Der Kran für die Fahrstuhlmontage fällt aus? Eine Warnmeldung an alle betroffenen Gewerke geht in Echtzeit raus. Im Idealfall wird Plan B, der den Ausfallschaden minimiert, gleich mitgeschickt.
Von Planung bis Abbruch
BIM begleitet den gesamten Lebenszyklus einer Immobilie, von der ersten Planung über Bau und Nutzung bis hin zum möglichen Rückbau inklusive umweltgerechter Entsorgung. Diese kann dann wiederum schon bei der Planung berücksichtigt werden – und der Kreis schließt sich.
In der Bauphase können über sogenannte BIM2Field-Anwendungen Baumaschinen gesteuert werden. Ein zunehmend wichtiger Faktor. Denn wie Fabriken werden auch Baustellen immer moderner. Schon heute gibt es autonom fahrende Maschinen, die Materialien just in time auf der Baustelle verteilen. Drohnen helfen beim Vermessen und Kontrollieren. Der Nachfolger des Mauer-Roboters Hadrian X soll statt 200 bereits 1.000 Ziegel pro Stunde zusammenfügen können. Und in Deutschland stellte im Herbst ein riesiger 3D-Drucker vor Ort ein dreistöckiges Wohnhaus mit dem Maßen 12,5 mal 15 mal 7,5 Meter in die Landschaft. Und das mit atemberaubender Geschwindigkeit. Pro Stunde werden 10 Tonnen eines Spezialzements verarbeitet.
Ende Oktober 2020 präsentierte der Baumaschinenanbieter Hilti erstmals seinen semi-autonomen mobilen Baustellenroboter für Deckenbohrungen. Der sogenannte Jaibot ist selbstständig in der Lage, sich in Innenräumen akkurat auszurichten, Löcher zu bohren und diese anschließend für die verschiedenen Gewerke zu markieren. Dabei setzt das autarke und einfach zu handhabende System keine Expertenkenntnisse voraus. Auch bei Hilti ist man sich sicher, dass digital geplante Bauprojekte und ihre Umsetzung mithilfe von BIM-fähigen Roboterlösungen einen deutlichen Produktivitätsgewinn versprechen. Außerdem können Roboterlösungen den Fachkräftemangel abfedern.
Beste Lage(r)
Seit 75 Jahren vertrauen Ingenieure im Baugewerbe weltweit auf Gleitlager und Beratungskompetenz von Schaeffler. Hydraulikzylinder zum Bewegen von Baumaschinen, Mahlwalzen in Zementmühlen, Stranggussanlagen in Stahlwerken, Pendelknickgelenke für optimale Lenkbarkeit in Walzenzügen, Zugtüren und -drehgestelle, Rolltreppen und Gepäckbänder am Flughafen – sie alle benötigen Gleitlager.
In Bauwerken werden Gleitlager an besonders sensiblen Schnittstellen eingesetzt, wie beispielsweise im Glasdach des Hauptbahnhofs Berlin. Die Dachkonstruktion überspannt circa 300 Meter Bahnsteig. In den Gitterbindern sind unzählige Gelenklager und Bolzensysteme von Schaeffler verbaut. Sie sorgen für den notwendigen Längenausgleich der Stahlkonstruktion unter Einwirkung äußerer Einflüsse, insbesondere durch Wind.
Auf nur zwei Lagern von Schaeffler lastet das Gewicht der Dachkonstruktion des Wembley-Stadions: Die Lager tragen jeweils 7.500 Tonnen Gewicht und sind auf eine Lebensdauer von 100 Jahren ausgelegt.
Perfekt planen, Ressourcen sparen
Nicht nur die Steuerungsdaten für solche Hightech-Maschinen kann der digitale Zwilling liefern. Auch klassische Baumaschinen wie Bagger, Dozer oder Straßenfertiger verfügen längst über 3D-Maschinensteuerungen, die mit Daten aus dem digitalen BIM- und Geländemodell gefüttert werden. Komplette Tiefbaumodelle werden dem Maschinisten über ein Display dargestellt und ermöglichen ein schnelleres und präziseres Arbeiten.
Schauen vor dem Bauen
Ein weiterer großer Vorteil des digitalen Zwillings: Noch vor dem ersten Spatenstich kann der Bauherr sein Projekt virtuell begehen. Dank VR-Brille sogar extrem realitätsnah. Wunsch und Wirklichkeit können so bereits in der Planungsphase abgeglichen werden. Teure Korrekturen während der Bauphase sind dadurch eigentlich ausgeschlossen. Und selbst wenn sich der Bauherr doch noch eine Änderung wünschen sollte, informiert BIM alle betroffenen Gewerke parallel und warnt gegebenenfalls vor möglichen Problemen, die die Planänderung hervorrufen könnte. Zusätzlich können Materialbestellungen automatisch angepasst und dokumentiert werden, bis hin zur kleinsten Unterlegscheibe.
Eine durch BIM optimierte Logistik senkt aber nicht nur Kosten und Bauzeit. Sie trägt auch dazu bei, die sogenannte graue Energie zu reduzieren, also jene, die für Herstellung, Lagerung, Transport, Verarbeitung und Entsorgung von Baustoffen benötigt wird.
Auch der gesamte spätere Gebäudebetrieb wird durch eine digital vernetzte Planung stark vereinfacht und günstiger. Der Fachmann spricht hier von BIM2FM, wobei FM für Facility Management steht.Hierzu muss man wissen: Nicht die Planungs- und Bauphase verschlingt das meiste Geld. Auf die Lebensdauer gerechnet, besteht das größte Einsparpotenzial in der Nutzungsphase. Daher werden bereits in der Planungsphase sämtliche Parameter wie Dämmeigenschaften, Heizleistungen und Belüftungsdaten sowie die spätere Raumtemperatur und die Energiekosten zu unterschiedlichen Tages- und Jahreszeiten im Voraus berechnet. Das digitale BIM-Gebäudemodell wird so noch vor Baubeginn zur echtzeitbasierten Steuer-, Mess- und Regelzentrale, die den gesamten Lebenszyklus technisch und wirtschaftlich optimiert. Auch hier ein Beispiel: Architekten können den digitalen Zwilling noch vor Baubeginn drehen und auf dem Grundstück hin und her bewegen, verschiedene Standorte im Zeitraffer durch die vier Jahreszeiten hinweg simulieren, um so unter anderem die energetisch beste Ausrichtung und Gestaltung zu ermitteln.
Ganz neue Möglichkeiten
Auch an der Technischen Hochschule Zürich beschäftigt man sich intensiv mit neuesten Digital- Anwendungen. Der Professor für Architektur und Digitale Fabrikation Matthias Kohler erklärt: „Die Digitalisierung bringt eine neue Baukultur. Für den Architekten ist es ein Paradigmenwechsel.“ An der ETH Zürich, die hier wichtige Impulse liefert, arbeiten Forschende von acht Professuren mit Branchenexperten und Planungsfachleuten zusammen. Sie erforschen und testen, wie die digitale Fabrikation das Entwerfen und Bauen verändern kann. Ziele sind die Gestaltungsflexibilität, der sparsame Materialeinsatz, die Zeit- und Kosteneffizienz sowie eine verbesserte Qualitätskontrolle. Ein Beispiel für eine solche digitale Fabrikation ist eine s-förmige Wand mit der sogenannten Mesh-Mould-Technologie (siehe auch Foto oben). Die neue Bautechnologie vereint die Funktionen Bewehrung und Formgebung in einem von Robotern gefertigten Stahlgitter. Dadurch können beliebig geformte Stahlbetonstrukturen ohne aufwendige Schalungen kosteneffizient und nachhaltig hergestellt werden. Auf diese digital fabrizierte Wand wurde eine funktional integrierte Geschossdecke mit einer ungewöhnlich komplexen Form aufgelegt. Die Deckenschalung wurde im 3D-Druck-Verfahren hergestellt. Alle Daten des Konstrukts stammen auch hier aus einem BIM-Modell.
Den Daten-Irrgarten sortieren
Damit sich die Nutzer in den viele Terabyte großen Datenräumen eines BIM-Modells nicht verlaufen, werden die Gesamtinformationen und komplexen Bilder in Schichten (Layers) aufgeteilt, in denen die für die jeweiligen Gewerke relevanten Daten hinterlegt sind. Den Statiker zum Beispiel interessieren nur die Daten, welche die Konstruktion betreffen, und der Fassadenplaner wird sich nur mit der äußeren Gebäudehülle beschäftigen. Jedes verwendete, geplante oder mögliche Bauteil wird in einer BIM-kompatiblen Datenbank hinterlegt. Wichtig sind neben den klassischen Maßen Fakten über das Material, beispielsweise die Wärmeleitfähigkeit sowie Brennbarkeit. Selbst die Bezugsquelle lässt sich später noch ermitteln, indem man das entsprechende Detail einfach nur anklickt. Doch auch der Abstand und die Beziehung zu benachbarten Bauteilen werden erfasst.
Noch sind viele der beschriebenen BIM-Möglichkeiten Vision. Doch als Henry Ford das Fließband einführte, gehörte er ebenfalls zu den Visionären. Niemand wollte glauben, dass man die Herstellung von komplexen Werken oder Produkten in einzelne, monotone Handgriffe zerlegen kann. Dabei war das nur der Anfang der fortschreitenden Industrialisierung und Automatisierung. Der Autor Aldous Huxley beginnt sein Werk „Schöne neue Welt“ mit den Worten „Utopien erscheinen oft realisierbarer als je zuvor“. Die Bauindustrie folgt dieser These mehr denn je. Die digitale Planungsmethode BIM sowie innovative Produktionstechniken schaffen völlig neue Möglichkeiten der Gestaltung, die gleichzeitig schneller und günstiger realisierbar sind. Vielleicht wird anspruchsvolles Wohnen in komplexer Architektur bald für jedermann erschwinglich. Das wäre ein echter Fortschritt. Die Chancen stehen gut. Willkommen in der neuen Bauwelt.