Notausgang Weltall
1877 – der Beginn des Mars-Hypes
Dass sich seit mehr als einem Jahrhundert unzählige Autoren mit außerirdischem Leben beschäftigen, hat viel mit einem Turiner Sternendeuter zu tun. Und einem großen Missverständnis. Giovanni Schiaparelli (Schwarz-Weiß-Bild), erst Lehrer, später Astronom, zeichnete eine so detaillierte Karte der Marsoberfläche wie niemand vor ihm. Mit gewaltigen, bis zu 4.000 Kilometer langen Senken. Schiaparelli hielt sie für naturgeschaffen und bezeichnete sie mit dem italienischen Begriff canali. Ins Englische übersetzt wurde daraus canals. Was so viel bedeutet wie künstlich angelegte Kanäle. Und das mussten logischerweise Außerirdische gewesen sein. Eine Sensation, die sich schnell um den Erdball verbreitete. Schiaparelli zeigte kein großes Interesse, die Fehlinterpretation aufzulösen. Ihm gefiel offenbar der Ruhm. Kritische Stimmen wurden ignoriert. Erst die NASA-Mission Mariner 4 im Jahr 1965 sorgte für Gewissheit: Schiaparellis Kanäle waren optische Täuschungen. Der Faszination „Leben auf dem Mars“ tat der Irrtum aber keinen Abbruch. Zumal sich der Rote Planet tatsächlich für menschliche „Übergriffe“ anbietet.
Der Mars ist der erdähnlichste Planet in unserem Sonnensystem und unser direkter Nachbar. Wir wissen, dass der Mars früher eine dichte Atmosphäre und flüssiges Wasser auf seiner Oberfläche hatte. Das macht ihn zu einem sehr interessanten Ziel auf der Suche nach Leben. Er ist der nächste logische Schritt für die Menschheit bei der Erforschung des Weltraums.
NASA-Experte Claas Olthoff
In 1.000 Tagen zum Mars und zurück
Da sich sowohl Erde wie auch Mars auf elliptischen Bahnen bewegen, sind die Planeten nicht immer gleich weit voneinander entfernt. Der Abstand zum Mars schwankt zwischen 56 und 401 Millionen Kilometern. Deshalb starten Marsmissionen immer dann, wenn sich Erde und Mars am nächsten sind. Ein solches Zeitfenster öffnet sich nur alle 26 Monate. In diesem Sommer war es wieder so weit. Mehrere Organisationen schickten Roboter zum Mars. Neben den USA erstmals auch aus China und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Ein Astronaut aus Fleisch und Blut war nirgends an Bord eines Raumschiffes. Mit einem bemannten Raumfahrzeug liegt die Flugdauer zum Mars zwischen 450 und 490 Tagen. Hin und zurück. Abhängig von einer günstigen Konstellation für die Rückkehr dauert die Reise ca. 1.000 Tage. Klingt nach einer körperlichen Tortur sowie einer extrem teuren Angelegenheit. Für so ein Marsprogramm stehen laut Claas Olthoff Kosten zwischen 500 Milliarden und einer Billion Dollar im Raum. Eine finanzierbare Summe, sagt Olthoff: „Die Kosten könnten sich wie bei der Internationalen Raumstation mehrere Länder teilen. Aber es muss eben eine größere Gruppe von Ländern geben, in denen gleichzeitig der politische und gesellschaftliche Wille vorhanden ist, diese Kosten zu tragen. Und genau da besteht für mich die größte Hürde.“
Vom Suchen oder Erschaffen einer zweiten Erde
Eine Mars-Kolonie als extraterrestisches Back-up für die Spezies Mensch. Eine spannende Idee, wie NASA-Experte Claas Olthoff findet: „Ich glaube, dass langfristig eine Besiedlung des Mars erstrebenswert ist. Es kann gut sein, dass die Erde irgendwann unbewohnbar sein wird. Sei es durch unser eigenes (Nicht-)Handeln bei der Bekämpfung des Klimawandels oder durch Naturkatastrophen. Ich denke, dass wir die erste bemannte Marsmission in diesem Jahrhundert sehen werden.“
Doch wie soll das gehen? Leben auf einem öden, sehr kalten Planeten ohne Atmosphäre. Eine Möglichkeit: das sogenannte Terraforming, das mithilfe technologischer Eingriffe menschliches Leben auf fremden Planeten ermöglichen soll. Die Fantasie ist dabei so grenzenlos wie das All. Die Bandbreite der Ideen reicht vom Einsatz winziger Mikroben und Bakterien über Weltraumspiegel mit Brennglas-Effekt bis hin zu herbeigeführten Asteroideneinschlägen. Oder aber: Die Eisflächen des Mars werden mit Ruß eingeschwärzt, um diese zu erwärmen und zum Schmelzen zu bringen. Hinter all diesen Gedankenspielen steht das Ziel, das in der Marsoberfläche gebundene CO2 in die Atmosphäre zu entlassen, den Planeten so aufzuheizen, dass wieder Wasser fließt, um dann Pflanzen auszusetzen, die CO2 ein- und Sauerstoff ausatmen. Kurzum: Es muss ein ausreichend großer Treibhauseffekt her, denn letztlich macht genau dieser das Leben für den Menschen möglich. Nun gibt es auf dem Mars schon einen Treibhauseffekt, nur ist dieser trotz des hohen CO2-Anteils von ca. 95 Prozent klein. Der Grund: Die geringere Schwerkraft bindet weniger Gas, die Atmosphäre ist damit leichter und dünner im Vergleich zur Erde. Unter dem geringeren Luftdruck entweicht Wärmeenergie leichter ins Universum. Einige Forscher hegen Zweifel an den Methoden des Terraformings. Wahrscheinlich verfügt der Mars gar nicht über genügend CO2 für diesen Plan. Noch komplizierter sieht es auf der Venus aus. Die Durchschnittstemperatur liegt dort um die 450 Grad Celsius. Jede Form von Leben würde sofort verkohlen.
Weltraum-Simulation in der Wüste
In der Wüste, unter Wasser oder in Höhlen – rund um den Erdball bereiten sich Astronauten in Trainingscamps auf den Aufbruch zum Mars vor. Beispiel Oman: Sechs sogenannte Analog-Astronauten des Österreichischen Weltraum Forums simulierten dort drei Wochen lang abseits jeglicher Zivilisation die Bedingungen auf dem Mars – mit Raupenfahrzeug, Iglu-förmigen Zelten, Helmen mit Solarenergie, 3D-Drucker für die Ersatzteilproduktion und eigenem Gemüseanbau. Die NASA übt dagegen auch im Meer. In 20 Meter Tiefe vor der Küste Floridas. Ein bis zwei Wochen bleiben die Astronauten in einer 37 Quadratmeter großen Kapsel. Unter Wasser simulieren sie Schwerkraftumgebungen wie im All. Ein wenig anders sieht das Weltraumtraining in Höhlensystemen in Slowenien oder Sardinien aus. Bei einem Projekt der ESA müssen Astronauten in ungewöhnlicher Umgebung verschiedene Aufgaben erfüllen. Völlig autonom und auf engstem Raum. Teilnehmer berichten, so müsse es sich auf anderen Planeten anfühlen.
Genauso geht es eigentlich allen Raumfahrern, die für ein autarkes Leben im Weltall trainieren. Egal, ob in hawaiianischer Gerölllandschaft oder in der Wüste Gobi in China (Foto oben). Claas Olthoff: „Studien besagen, dass man mindestens 100 bis 200 Personen braucht, um eine autarke Kolonie auf dem Mars zu gründen.“ Technisch sei das möglich. Es müsse nur genug Leute geben, die das bezahlen. Wie viele Menschen auf dem Mars tatsächlich leben könnten, vermag Olthoff nicht zu sagen: „Der menschliche Körper hat sich durch die Evolution an die Umgebung auf der Erdoberfläche angepasst. Die gleichen Bedingungen gibt es nirgendwo im Sonnensystem. Es wird also immer eine Art von Lebenserhaltungssystem auf anderen Planeten für die Menschen geben müssen.“ Ob diese Technologien auf Größenordnungen von mehreren Milliarden Menschen skaliert werden können, lasse sich derzeit nicht vorhersagen.