Quantensprung im Netz
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September 2021

Quantensprung im Netz

Die Vernetzung von Quantencomputern soll nicht nur abhörsichere Leitungen schaffen, sondern vor allem auch die Rechenleistung der neuen Computergeneration schneller auf das Niveau für einen sinnvollen Einsatz in der Industrie bringen.

Dass Quantencomputer bestimmte Rechenprobleme weitaus schneller als herkömmliche Supercomputer lösen können, hat die internationale Forschergemeinschaft nun bereits zweimal nachgewiesen: 2019 legte Internetriese Google mit seinem auf 53 tiefkalten supraleitenden Qubits (siehe Infokasten) basierenden Quantenrechner Sycamore vor. Der für einen zuverlässigen Betrieb bis kurz vor den absoluten Nullpunkt von minus 273,135 °C gekühlte Mikrochip ermittelte in Rekordzeit, mit welcher Wahrscheinlichkeit die gekoppelten Qubits beim Auslesen bestimmte exotische Zahlenfolgen hervorbringen.

Gut ein Jahr nach Sycamore wurde ein weiterer Rechenrekord aufgestellt: Ende 2020 hat der Quantencomputer-Prototyp eines Forscherteams um Jian-Wei Pan von der University of Science and Technology of China in 200 Sekunden eine Rechenaufgabe gelöst, für die ein klassischer Computer 2,5 Milliarden Jahre benötigen würde – und damit ebenfalls die sogenannte Quantenüberlegenheit gezeigt.

Die Kraft des Q

Heute gängige Computer arbeiten mit Bits, die nur zwei Zustände annehmen, dargestellt in den Ziffern 1 und 0. Prozessoren setzen die Zahlbefehle in Stromfluss um: Bei 1 fließt Strom, bei 0 nicht. Ähnlich funktionieren digitale Befehle per Licht z. B. beim Auslesen einer CD: 1 und 0 stehen dort für Licht an oder aus.

Quantencomputer arbeiten dagegen mit Quantenbits oder kurz Qubits. Die können nicht nur 0 und 1, sondern auch beides gleichzeitig und theoretisch unendlich viele Bereiche dazwischen darstellen. Das macht die Rechner so schnell und sicher.

Die Forschungsarbeit, über die Quantenforscher Pan im Fachmagazin „Science“ berichtet, halten unabhängige Beobachter für überzeugend: Jian-Wei Pan, ehemaliger Doktorand des österreichischen Quantenpioniers Anton Zeilinger, gilt seit Langem als führender Experte bei Experimenten mit Lichtteilchen, mit denen er auch den Quantenüberlegenheits-Nachweis führte. Wie IBM 2019 Googles Ergebnisse öffentlich hinterfragte, meldete auch Google Zweifel daran an, ob klassische Computer bei der Rechenaufgabe des chinesischen Teams wirklich so schlecht abschneiden. Es galt den Durchlauf von Photonen in einem hochkomplexen Labyrinth aus Strahlteilern, Spiegeln und Prismen vorherzusagen. Pans optische Apparatur nutzte dabei 76 Qubits – was mehr ist als die 53 von Google und damit wohl auch einer der Gründe für Googles leichte Pikiertheit.

Physikalische Limits für Quantencomputer

Aber trotz aller Fortschritte sind sowohl Google Sycamore als auch Pans Quantenrechner für praxisnahe Anwendungen wie die Berechnung von chemischen Strukturen in Medizin und Werkstoffwissenschaften, die Routenoptimierung für autonomes Fahren oder Portfolio-Analysen noch vollkommen ungeeignet. „Um wirklich sinnvolle Aufgaben mit einem Quantenrechner berechnen zu können, brauche ich in Richtung tausend, besser mehrere Tausend Qubits“, sagt Simon Baier, Quantenphysiker an der Universität Innsbruck. Das Problem: „Wenn man sich die Kryostaten der Quantencomputer von Google oder IBM anschaut und sieht, wie viele unzählige Kabel da schon reinlaufen, ist klar, dass irgendwann kein Platz mehr für noch mehr Kabel da ist.“ Anders gesagt: Baier geht davon aus, dass man bei der Umsetzung eines Quantencomputers an physikalische Limits stößt, die deutlich vor der Marke von tausend Qubits erreicht werden. Lösen könnte das Problem die Vernetzung von einzelnen Quantencomputern zu einem Quanten-Rechencluster.

Baier, der in den letzten Jahren am niederländischen Quantenforschungszentrum QuTech tätig war, arbeitet an einer Technologie, die auch das künftig möglich machen soll: dem sogenannten Quanteninternet. Die Grundlagen zu einem solchen Netzwerk hat der Wissenschaftler in einer wegweisenden Arbeit zusammen mit ehemaligen QuTech-Kollegen im April dieses Jahres in ­„Science“ beschrieben. Das Team konnte im Labor drei separate Quantenprozessoren zum weltweit ersten Multi-Node-Quantennetzwerk verbinden. Bisher war es nur gelungen, zwei Quanten-Devices miteinander zu verknüpfen. Als Minimalversion des für so ein Netzwerk nötigen Quantenspeichers dienen Diamanten mit sogenannten Stickstoff-Fehlstellen; die Kommunika­tion zwischen diesen erledigen Photonen, die über Glasfaserkabel ausgetauscht werden.

Das Oldschool-Web wird QUICker

Das Transmission Control Protocol, besser bekannt unter seinem Kürzel TCP, ist der Motor des Internets: Zusammen mit dem Hypertext Transfer Protocol (HTTP) organisiert TCP den Abruf von Webseiten. Da diese seit den ersten Tagen des Internets bis heute deutlich komplexer geworden sind, hat das schon in den 1970er-Jahren entwickelte TCP heute seine liebe Mühe beim Laden. Mit dem seit Mai dieses Jahres neu eingeführten Internetstandard QUIC soll sich das ändern. Das neue Transportprotokoll lässt anders als TCP ­parallele Datenströme zu und macht es zudem möglich, dass verlorene Datenpakete auch später nachgeliefert werden können. Für den Endanwender heißt das: komplexe Webseiten laden deutlich schneller. Zugleich haben die Entwickler bei dem ursprünglich von Google entworfenen QUIC die Verschlüsselung gleich mit eingebaut. Ungesicherte Verbindungen sind bei Quic per Design ausgeschlossen. Für Netzbetreiber, Netzwerkforscher und auch Strafverfolger oder Geheimdienste gibt es mit QUIC also bald weniger zu beobachten.

In sieben Jahren zum Quanteninternet

Auch dieses erste rudimentäre Quantennetzwerk ist noch weit entfernt von einer praktischen Umsetzung – was auch nicht das Ziel der Arbeit war. Aber sie beweist, dass solche Netzwerke künftig umsetzbar sein werden. Die von ihnen gewählte Architektur sei erweiterbar, sagt Baier: „Im Prinzip könnten wir dem Netzwerk beliebig viele Knotenpunkte hinzufügen, quasi durch Copy-and-paste.“ Das Problem der Skalierbarkeit des Quanteninternets ist also gelöst. Trotzdem dürften noch mehrere Jahre bis zu einer einsatzfähigen Technologie vergehen. Um die Information über lange Distanzen transportieren zu können, ist noch viel Entwicklungsarbeit zu leisten. „Damit die Photonen aus dem Quantenspeicher die passende Wellenlänge haben, benötigt man einen Konvertierungsschritt zwischen Speicher und Glasfaser“, sagt Baier.

Quantensprung im Netz
Es gibt noch viel zu entdecken: Quantenwissenschaftlerin Dr. Maika Takita im Quantum-Labor von IBM© IBM

Offen ist auch noch die Frage, auf welcher Protokollsprache ein Quanteninternet basieren soll. Baier geht davon aus, dass diese Hürde noch vom laufenden und mit einer Milliarde Euro geförderten Quanten-Flaggschiffprojekt der EU genommen wird, also innerhalb der nächsten sieben Jahre. Dann werden Quantennetzwerke zur abhörsicheren Kommunikation für Banken und Behörden möglich und auch der Bau noch präziserer Teleskope oder Atomuhren sowie Quantencomputernetzwerke mit erhöhter Rechenleistung. Für Letzteres ist aber nicht zwingend das Quanteninternet nötig. Andreas Wallraff von der ETH Zürich arbeitet etwa daran, einzelne Quantencomputer-Kerne per fester „Quantenverbindung“ zu einer Art Cluster oder lokalem Netzwerk (LAN) zusammenzuschließen. Das Team des Forschers hat Anfang 2020 im Quantum Device Lab der ETH Zürich die mit fünf Metern bisher längste auf Mikrowellen basierende Quantenverbindung der Welt aufgebaut.

Schneller rechnen im Quanten-LAN

Die ETH-Physiker konnten nicht nur zeigen, dass ihre Quantenverbindung ausreichend abgekühlt werden kann – sie muss die gleiche tiefkalte Temperatur wie die Quantencomputerkerne haben – sondern auch, dass sich mit ihr tatsächlich Quanteninformation zuverlässig übertragen lässt. „Das ist schon ein Meilenstein für uns“, sagt Wallraff, „denn damit können wir zeigen, dass Quanten-LAN prinzipiell möglich sind.“ Da er wie Baier davon ausgeht, dass die Anzahl der Qubits eines einzelnen Quantencomputers in absehbarer Zeit nicht beliebig weit gesteigert werden kann, schätzt Wallraff, dass Quantencomputer in den nächsten 10 bis 20 Jahren auf solche Quantenverbindungen angewiesen sind. Sein Team hat bereits mit der Arbeit an längeren Quantenverbindungen begonnen: Für die aktuelle 30-Meter-Version wurde eigens ein Raum an der ETH hergerichtet.

IBM will das Platzproblem für die Qubits und ihre nötige Technik in den aktuellen tiefgekühlten Kryostaten auf eine andere Weise lösen: Superkühlschrank „Goldeneye“ soll die künftig immer komplizierter ausfallenden Quanten-Prozessoren auf Temperatur halten. Der rund drei Meter hohe und knapp zwei Meter breite Kühlgigant habe Platz für Prozessoren mit einer Million Qubits, schreibt Jay Gambetta, Vice President IBM Quantum, auf dem IBM-Forschungsblog. Bis 2030 wolle man mit „Goldeneye“ das Ziel des fehlerkorrigierten und programmierbaren Quantencomputers erreichen, so der IBM-Mann. Die ersten Machbarkeitsstudien für den Hightech-Kühlschrank seien bereits durchgeführt worden. Vernetze man diese Quantencomputer dann noch, entstehe ein sogenannter massenparalleler Quantencomputer, „der die Welt verändern kann“, so Gambetta.

Denis Dilba
Autor Denis Dilba
Wissenschaftsautor Denis Dilba hat bei seiner Recherche zu Quantennetzwerken gelernt, dass die Umsetzung der Technologie noch komplizierter ist, als er sich vorgestellt hat – aber auch, dass Quantenforscher erstaunlicherweise immer wieder eine Möglichkeit finden, die damit einhergehenden Probleme zu umgehen.