Sonnige Erträge im Dunkeln
© American Chemical Society
Januar 2022

Sonnige Erträge im Dunkeln

Von Björn Carstens
Solarmodule, die in völliger Dunkelheit grünen Strom produzieren? Klingt paradox, könnte aber irgendwann Realität werden. Wissenschaftler arbeiten mit Hochdruck an der Anti-Solarzelle – sozusagen die dunkle Seite der Solarwelt.

Seit Milliarden von Jahren versorgt die Sonne die Erde mit Energie. Dass diese nicht nur wärmen kann und Pflanzen gedeihen lässt, haben schon die alten Griechen gewusst, die das Sonnenlicht bei der Belagerung der Stadt Syrakus (212 v. Chr.) mithilfe von Spiegeln gebündelt und so die Segel der römischen Flotte in Brand gesetzt haben sollen. Bis jedoch einer die Sonne „anzapfte“, um Strom zu gewinnen, vergingen noch viele Jahrhunderte. Der französische Wissenschaftler Alexandre Edmond Becquerel fand im 19. Jahrhundert heraus, dass Batterien unter Sonnenlicht langlebiger sind und mehr Leistung produzieren. Außerdem entdeckte er, dass man Elektroden durch Lichteinfall polarisieren und so einen Stromfluss erzeugen kann – der Becquerel-Effekt. 1883 wurde die erste ,,klassische“ Photozelle aus dem chemischen Element Selen gefertigt, wiederum zehn Jahre später die erste Solarzelle zur Erzeugung von Elektrizität.

Heute nimmt der Ausbau der Photovoltaik immer mehr Fahrt auf. Laut dem aktuellen Renewables Global Status Report überholten die Kapazitäten der Solaranlagen im Jahr 2020 mit 760 GW erstmals die der Windkraftanlagen, die es auf 743 GW brachten. Der Anteil der Erneuerbaren insgesamt am weltweiten Energiemix hat mit rund 20 Prozent aber noch deutliches Steigerungspotenzial. Dieses Potenzial könnte zumindest theoretisch allein durch unsere Sonne leicht ausgeschöpft werden. Sie liefert jeden Tag so viel Energie, dass der weltweite Jahresbedarf gedeckt werden könnte.

Wie funktioniert eine Anti-Solarzelle?

In der Praxis hat die Sonne einen Nachteil: Sie scheint nicht immer. Und selbst in sonnenstundenreichen Regionen folgen auf strahlend blaue Tage finstere Nächte. Dann heißt es: keine Sonne, kein Strom. Forschende der University of California in Davis haben sich dieses Problems angenommen und eine Lösung im Visier: Anti-Solarzellen, die auch bei völliger Dunkelheit Strom produzieren.

Sonnige Erträge im Dunkeln
Herkömmliche Solarzellen absorbieren Sonnenlicht zur Stromerzeugung, während...
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Sonnige Erträge im Dunkeln
...die Anti-Solarzelle Wärmestrahlung emittiert.© American Chemical Society

Zur Erklärung: Eine normale Solarzelle erzeugt – sehr verkürzt dargestellt – Spannung, indem sie warmes Sonnenlicht absorbiert und dadurch Elektronen in Bewegung versetzt, was wiederum Strom fließen lässt. Die aus Silizium bestehenden Solarzellen nutzen dazu hauptsächlich das sichtbare und kurzwellige Infrarotlicht, da es energiereicher als die langwellige Wärmestrahlung ist. Pro Quadratmeter Solarpanel kann so eine Leistung von rund 200 Watt erzielt werden.

Bei der Anti-Solarzelle wird das Prinzip auf den Kopf gestellt: „Statt Licht zu absorbieren, wird Licht emittiert. Strom und Spannung gehen in die entgegengesetzte Richtung, aber man erzeugt immer noch Strom“, erklärt Jeremy Munday, Professor am Fachbereich für Elektro- und Computertechnik der UC Davis. Das emittierte Licht ist Wärmestrahlung, die von der Anti-Solarzelle in den kühlen Nachthimmel abgegeben wird. Bei dieser Form von Stromgewinnung müssten zwar andere Materialien verwendet werden – eine Quecksilberlegierung statt Silizium – aber die Physik ist im Grundsatz dieselbe. Die Maximalleistung wird von den kalifornischen Forschern auf 54 Watt pro Quadratmeter beziffert, was ungefähr einem Viertel einer herkömmlichen Solarzelle entspricht.

Die Wärme wird auf ihrem Weg in Richtung Weltall abgefangen und in Strom umgewandelt

Jeremy Munday, Professor am Fachbereich für Elektro- und Computertechnik der UC Davis

Die neuartige Superzelle würde laut Jeremy Munday auch tagsüber funktionieren, wenn man entweder das direkte Sonnenlicht blockieren oder das Solarpanel von der Sonne wegrichten würde. In Kombination mit normalen Photovoltaik-Zellen könnte der Strombedarf dann rund um die Uhr gedeckt werden. Quasi „Sonnenstrom“ im 24-Stunden-Dauerdienst. Man darf gespannt sein, wann die Wissenschaftler den ersten Prototyp präsentieren.