Spannende Wege
Straßen sind ein wichtiger Mosaikstein auf dem Weg zur Mobilität für morgen. Zum Beispiel für den Lkw-Verkehr. Kein Mensch käme auf die Idee, einen Güter- oder Personenzug mit Batteriestrom auf die Gleise zu schicken. Hier erfolgt die Versorgung logischerweise mit Energie aus der Oberleitung – permanent und mit hohem Wirkungsgrad. Warum also nicht auch Lkw nach diesem Prinzip „betanken“. So könnten sie leise und emissionsfrei selbst lange Autobahnstrecken zurücklegen.
Einen schicken Begriff dafür gibt es bereits: eHighway. Eine reale Strecke ebenso. In Schweden, nördlich von Stockholm, läuft seit Juni 2016 ein Versuch auf einer öffentlichen Autobahn. Auf einem Teilabschnitt können sich Diesel-Hybrid-Laster in eine Oberleitung einklinken und dann vollelektrisch fahren. Betrieben wird das Projekt gemeinsam von Scania und Siemens. 80 bis 90 Prozent der durch Treibstoffe verursachten Emissionen könnten so eingespart werden, rechnet man bei Scania vor.
Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel war bei einem Besuch beim schwedischen Regierungschef Stefan Löfven vom Energy-Highway angetan. Beide vereinbarten bei einem Treffen in Stockholm eine sogenannte Innovationspartnerschaft. Geplant sind in Deutschland zunächst zwei Teststrecken, eine auf der A1 zwischen Reinfeld und Lübeck, die andere zwischen dem Frankfurter Flughafen und Darmstadt. „Ziel ist es, den Güterverkehr auf der Straße insgesamt klimafreundlich zu gestalten“, sagt Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesumweltministerium.
Ebenfalls prädestiniert für eine Versorgung mit Strom aus der Oberleitung ist der Öffentliche Nahverkehr. Elektrobusse mit ihren Angel-ähnlichen Stromabnehmern sind noch heute in vielen Städten unterwegs. Und jedes Kind kennt die Straßenbahn. Sie fährt in München und in Melbourne genauso wie in San Francisco oder Stuttgart. Häufig jedoch ließen übereifrige Politiker, wie beispielsweise in Hamburg, in den 70er-Jahren das Schienen- und Oberleitungssystem zugunsten von Dieselbussen entfernen. Mittlerweile denkt man wieder klarer. Es liegen Pläne in den Schubladen der Hansestadt, die den Weg zurück zur umweltfreundlichen Straßenbahn vorsehen.
Schnell mal laden
Als zukunftsfähige Alternative zu den einstigen Oberleitungsbussen hat Siemens den Pantographen entwickelt. So nennt der Konzern sein Schnellladesystem, das an einen Mast oder ein Haltestellendach montiert werden kann. Die Idee hinter dem Pantographen ist, die Batterien beispielsweise an einer Endhaltestelle so weit wieder aufzuladen, dass die Elektrobusse den Weg bis zur nächsten Ladestation bewältigen können. Zum vollautomatischen Laden fährt der Bus unter die Ladestation. Diese senkt den Stromausleger dann präzise auf die Kontaktschienen ab. Nach diesem Prinzip sind seit November 2014 in Dresden Linienbusse zu Testzwecken unterwegs.
Die Mobilität wird sich vom klassischen Fahrzeug, wie wir es heute kennen, wegentwickeln. Ebenso wird sich die Straße und ihr direktes Umfeld weiterentwickeln. Oberleitungen für Lkw oder auch induktives Laden während der Fahrzeugnutzung sind zwei interessante Ansätze. Denn überall dort, wo elektrische Energie für Individualverkehr nicht gespeichert, sondern zugeführt wird, hat sich der Elektromotor schon jetzt durchgesetzt. Auch die Car2X-Kommunikation mit Infrastruktur an der Straße ist für Schaeffler ein interessantes Feld, um die Nutzung der Produkte zu eruieren. Aber beispielsweise auch für die Bereiche Condition Monitoring und Predictive Maintenance, in denen wir in den Sektoren Industrie und Bahnverkehr bereits sehr gut aufgestellt sind
Prof. Peter Gutzmer,
Stellvertretender Vorsitzender des Vorstands und Vorstand Technologie der Schaeffler AG
Batterieelektrische Busse mit zusätzlicher Versorgung aus einer Oberleitung brächten einen weiteren Vorteil: Städtische Kreuzungsbereiche müssten nicht mehr wie einst komplett mit Leitungen ausgerüstet werden. Das aufwendige Kabelgewirr entfällt, der Bus fährt den kurzen Abschnitt über die Kreuzung mit Batteriestrom und verbindet sich danach wieder mit der Oberleitung.
Was von oben geht, sollte auch von unten funktionieren, ähnlich wie auf einer Carrera-Modellrennbahn. Dies zumindest untersucht Volvo. Zusammen mit dem Bahn-Spezialisten Alstom testet der schwedische Lkw-Bauer stromführende Schienen. Sie wurden auf einem zwölf Kilometer langen Abschnitt vom Flughafen Stockholm zum Logistikzentrum Rosersberg in die Fahrbahn integriert. „Die Stromschienen sind dabei in einzelne Abschnitte unterteilt, wobei immer nur der Abschnitt aktiv ist, der gerade Kontakt mit dem Kollektor des Fahrzeugs hat“, sagt Mats Alaküla von Volvo.
Lade mich, aber berühr mich nicht
Die Straße bietet durchaus weitere Möglichkeiten der Energieversorgung, sogar die berührungslose. Durch Induktionsschleifen in der Fahrbahn lassen sich seit Jahren schon Ampeln schalten, Schlagbäume heben, Garagentore öffnen oder Blitzanlagen auslösen. Ebenso könnten Elektroautos über einer Induktionsplatte parken. In Parkbuchten ließen sich Induktionsschleifen unter dem Asphalt verbauen. Nissan, weltgrößter Hersteller von Elektroautos, prophezeit sogar spezielle Ladezonen (der Name erhält in Zeiten der E-Mobilität eine gänzlich andere Bedeutung), in denen autonome Fahrzeuge sich selbst ihre Induktionsparkbuchten suchen, dort laden und den Platz danach wieder freigeben und andernorts parken.
Zahlen und Fakten
Statisch funktioniert das induktive Laden schon heute. Zum Beispiel in der Formel E: Dort werden die Sicherungsfahrzeuge von BMW mit der induktiven Ladetechnik „Halo“ des Anbieters Qualcomm kontaktlos mit Strom versorgt. Wie sieht es jedoch beim dynamischen Laden aus? Warum nicht Elektroautos während der Fahrt per Induktion permanent mit Strom versorgen? Eine Teststrecke gibt es in Israel, betrieben von dem Start-up-Unternehmen ElectRoad. An solch einer Induktionsleitung forscht auch die kalifornische Stanford University. Im Auto könne man dann deutlich kleinere und leichtere Batterien einbauen, heißt es von dort. Nach Berechnungen der Forscher würden bei der im Asphalt verlegten Leitung lediglich drei Prozent der elektrischen Energie verloren gehen. Positiver Nebeneffekt: Autonome Assistenzsysteme könnten sich am Kabel in der Straßendecke orientieren. Eine solche Technologie könnte auch im Werksverkehr oder in Produktionsstätten im Zuge der zunehmenden Digitalisierung auf dem Weg zur Industrie 4.0 zum Einsatz kommen.
Strom liegt auf der Straße
Den für die technologische Aufrüstung benötigten Strom könnten die Straßen gleich selbst produzieren, wenn ein Projekt in der französischen Stadt Tourouvre Schule macht. Dort wurde ein 1.000 Meter langer Straßenabschnitt mit Solarzellen gepflastert. Der dort generierte Strom (max. 1.500 kWh/767 kWh im Schnitt) reicht immerhin schon aus, um die Straßenbeleuchtung der 5.000-Einwohner-Ortschaft zu füttern. In den Niederlanden und in Deutschland wird mit ähnlichen Lösungen experimentiert. Ein großer Vorteil: Flächen werden doppelt genutzt. Nachteil: Der Strom von der Straße ist derzeit noch rund 13-mal teurer als aus herkömmlichen Solaranlagen. Auch weil die Zellen flach auf dem Boden angebracht sind und nicht schräg der Sonne entgegengestellt werden wie sonst üblich. Eine interessante Alternative könnten daher Lärmschutzwände mit Solarpaneelen sein.
Straßen werden zukünftig aber nicht nur Energiequelle und -spender sein, sondern mit integrierten oder beistehenden Sensoren auch eine wichtige Informationsquelle für eine moderne Verkehrsführung mittels Fahrzeug-Infrastruktur-Kommunikation (Car2X). Das Bundesland Niedersachsen und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) haben gemeinsam im März 2017 begonnen, auf rund 280 Straßenkilometern Geräte zu installieren, mit denen Car2X-Technologien weiterentwickelt werden können. „Durch Car2X erhalten die Fahrzeuge beispielsweise Informationen über den Zustand der Straße: Herrscht Glatteis? An welchen Stellen besteht Aquaplaning-Gefahr?“, erklärt Prof. Karsten Lemmer, Fachvorstand Energie und Verkehr des DLR. „Der Fahrer kann sein Verhalten dementsprechend anpassen, und künftige Assistenzsysteme können ihn unterstützen.“
Designer Daan Roosegaarde hat eine eigene Vision eines „Smart Highway“ entwickelt – mit recht einfachen Mitteln. So will der Niederländer beispielsweise Thermofarben auf die Straße sprühen, die bei Frost in Form von großflächigen Eiskristallen aufblitzen und so vor Glatteis warnen. Illuminierende Farben, die Sonnenenergie speichern, könnten unbeleuchtete Straßen aufhellen.
Und wie wäre es, wenn Autos nicht vor Schlaglöchern gewarnt werden müssten, weil es gar keine gibt! An dieser Vision arbeitet zum Beispiel Henk Jonkers an der Delfter University of Technology in den Niederlanden. Jonkers ist Mikrobiologe und hat einen „Biobeton“ entwickelt, der Selbstheilungskräfte hat. Dringt Wasser durch eine „Wunde“ in die Betonstruktur, wachen dort integrierte Bakterien auf, vermehren sich und helfen einen Kalkstein zu bilden, der die „Wunde“ verschließt.
Was immer auch passiert – das Thema Straße wird in den kommenden Jahren lebendiger denn je.