Unendliches Miteinander

Von Aylin Kilic und Volker Schmid
Die Raumfahrt ist für den Menschen auf der Erde heute unverzichtbar. Für „tomorrow“ blicken die Experten Aylin Kilic und Volker Schmid vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) ins All und erklären, warum das Teamwork zwischen Staaten, Unternehmen und Wissenschaft immer wichtiger wird.
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Unser modernes Leben, die Kommunikation und die Navigation in der Luft, zu Wasser und an Land sind ohne die Infrastrukturen der Raumfahrt kaum möglich. Sie ermöglichen uns, mit Freunden und Familien in stetem Kontakt zu sein, sorgen aber auch dafür, dass in Notfallsituationen Behörden schnellstmöglich reagieren und störungsfrei kommunizieren können. Auch die Zeitsynchronisation spielt eine maßgebliche Rolle für unsere Gesellschaft und Wirtschaft. Bargeldautomaten würden sonst nicht funktionieren. Für Wettervorhersagen und die Beobachtung unserer Erde und des Erdsystems ist Raumfahrt unerlässlich. Sie dient dem Menschen auf der Erde mithilfe von Hochtechnologien und zahlreichen Innovationen, beispielsweise in der Robotik, in Radartechnologien und in optischen Sensorsystemen.

Die Autoren
Unendliches Miteinander© privat

Aylin Kilic leitet das Team für Internationale Beziehungen im DLR-Hauptsitz in Köln. Manchmal bringt sie ihr Arbeitsalltag in nur wenigen Stunden von Paris in die USA, nach Tokio und über Neuseeland wieder zurück nach Köln. Dabei verbindet über Grenzen hinweg der Wille, gemeinschaftlich an innovativen Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit zu arbeiten und Neues zu entdecken.

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Der Luft- und Raumfahrtingenieur Volker Schmid war in der Raumfahrtagentur des DLR deutscher ESA-Delegierter und dort u. a. für die ISS-Nutzung und das ATV-Programm zuständig. Mit seinem Team der DLR-Fachgruppe ISS plante und leitete er auch die ISS-Missionen der deutschen ESA-Astronauten Alexander Gerst und Matthias Maurer für das DLR und initiierte einige innovative deutsche ISS-Experimenten wie z. B. CIMON. Während dieser Zeit war Schmid das „Gesicht der Mission“ am Boden. Heute berät er die Vorstandsvorsitzende des DLR in Raumfahrtfragen.

Um die gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen, benötigen wir das Wissen über die komplexen Wechselwirkungen unseres Erdsystems, damit wir passende Maßnahmen ergreifen können. Dafür brauchen wir den Einsatz von Expertinnen und Experten weltweit – und eben im All.

Um all dies leisten zu können, sowohl was das technische und wissenschaftliche Know-how angeht als auch finanzielle Aspekte, braucht die Raumfahrt immer breiter aufgestellte Kooperationen auf globaler und multilateraler Ebene. Eine vielschichtige Zusammenarbeit ist aber nicht nur aus wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Sicht wichtig, sondern auch, um in politisch unsteten Zeiten einseitige Abhängigkeiten zu vermeiden.

Raumfahrt war schon immer Teamwork. Im doppelten Sinne sogar eines von astronomischem Ausmaß. Allein an der Apollo-Mondmission haben zwischen 1961 und 1972 rund 400.000 Menschen mit unterschiedlichsten Fähigkeiten mitgearbeitet.

Die ISS: für die Erde ins All

Der allgemein bekannteste Prototyp einer vielfach übergreifenden Zusammenarbeit ist die Internationale Weltraumstation ISS. Im Januar 1984 beauftragte der damalige US-Präsident Ronald ­Reagan bei einer Rede zur Lage der Nation die NASA, eine solche ständig bemannte Raumstation innerhalb eines Jahrzehnts zu bauen. Bald jedoch zeigten sich sehr hohe Kosten – ein frühes Indiz dafür, dass keine Nation so ein Projekt über viele Jahre allein stemmen kann. Der Fall des Eisernen Vorhangs erwies sich auch diesbezüglich als historischer Glücksfall, denn er ermöglichte es, mit Russland zu kooperieren und von dessen großer Erfahrung bei den Raumstationsprogrammen Saljut (bis 1986) und MIR (bis 2001) zu profitieren. Japan, Kanada und Europa wurden ebenfalls an Bord geholt.

2002

gegründet, ist Elon Musks Raumfahrtunternehmen Space X in nur zwei Dekaden zu einem Big Player der Branche geworden. Mit der Falcon-9-Rakete (Foto) und dem Raumschiff Dragon zählt Space X zu den wichtigsten ISS-Versorgern und ist seit 2017 Marktführer mit den meisten kommerziellen Satellitenstarts und betreibt mit Starlink das größte Satellitennetzwerk im Orbit, das in etwa die Hälfte des aktiven Bestands am Himmel ausmacht.

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1998 wurde das russische Service-Modul Sarja mit dem NASA-Verbindungsknoten Unity im All zum Kernelement der neuen Raumstation „verheiratet“. Bis 2011 wurde die ISS, wie wir sie heute kennen, mit mehr als 40 Flügen aufgebaut. Wobei auch immer noch neue Module oder Elemente hinzukommen. Die erste Langzeitbesatzung begann ihren ISS-Aufenthalt am 2. November 2000. Ab diesem Zeitpunkt war die ISS ständig besetzt. Heute bilden sieben Personen die Stammbesatzung, maximal elf Personen können dort beherbergt werden.

Die ISS funktioniert wie eine internationale Wohngemeinschaft. Alle „Bewohner“ bezahlen gemäß ihrem Anteil Beiträge zur Miete und Nebenkosten. Europa bespielsweise hat 8,3 Prozent des westlichen Anteils der ISS und bekommt genau so viele Ressourcen wie zum Beispiel Strom, Experimentierzeit (siehe rechte Seite) oder Transportkapazität. Bezahlt wird die „Miete“ nicht mit Geld, sondern mit Gegenleistungen. So hat die europäische Weltraumagentur ESA die ISS viele Jahre über den Raumtransporter ATV mit Astronautenbedarf, Luft, Wasser, Treibstoff, Material für Experimente und Ersatzteilen versorgt. Der Frachter blieb jeweils sechs bis sieben Monate angedockt und sorgte auch für die Bahnanhebung und Ausweichmanöver, die durch Weltraumschrott notwendig geworden sind.

Die ISS soll bis mindestens 2030 betrieben werden, mit Aussicht auf Verlängerung bis circa 2035. In der Zwischenzeit wird an neuen Post-ISS-Konzepten gearbeitet, die auch das neue Teamwork im All widerspiegeln, überwiegend mit kommerziellen Anbietern, welche die Infrastruktur bauen und betreiben sollen. Die staatlichen Agenturen wie NASA und ESA wollen die neue Station dann nur noch als Kunden nutzen. Die NASA will so auch Finanzmittel für die Exploration freibekommen, um dafür neue Technologien und Systeme zu entwickeln.

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Das hier an die ISS angedockte Space Shuttle (o. Mitte) verdeutlicht die Größe der Raumstation© ESA
Science Fiction to Science Fact
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Der deutsche ESA-Astronaut Dr. Alexander Gerst aktiviert einen Schmelzofen im europäischen ISS-Raumlabor Columbus© ESA

Die ISS ermöglicht Experimente, die in keinem Labor auf der Erde gemacht werden können – natürlich im Teamwork.

Über 4.000 Experimente wurden seit der Inbetriebnahme der ISS durchgeführt. Dafür bildeten etwa 5.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 108 Staaten internationale Gruppen und tauschten sich aus. Mensch, Gesundheit und Umwelt standen und stehen dabei im Fokus. Weitere Forschungsfelder des wissenschaftlichen Teamworks auf der Raumstation sind Materialwissenschaften, Biologie und Dosimetrie (Strahlenbelastung), Grundlagenphysik, Fluidphysik, Technologieerprobung, Robotik, künstliche Intelligenz, Astronomie, Erdbeobachtung und Sonnenphysik.

Die ISS überfliegt etwa 85 Prozent der Erdoberfläche und umrundet die Erde dabei 16 Mal pro Tag. Nicht nur permanente Schwerelosigkeit ist eine wichtige Größe für die Experimente, sondern auch die Geschwindigkeit von etwa acht Kilometern pro Sekunde, die Flughöhe von 400 Kilometern und die Weltraumumgebung, die außerhalb der Station ebenfalls für Experimente genutzt wird. Die ganze Zeit über herrscht Schwerelosigkeit an Bord, die durch den ständigen freien Fall der Raumstation um die Erde herrührt. Dadurch gibt es keine Sedimentation und keine Konvektion und somit lassen sich beispielsweise neue Metalllegierungen und Werkstoffe herstellen, die sich unter Schwerkraft nicht erzeugen lassen.

Neben der Grundlagenforschung sollen durch die Experimente Industrieprozesse verbessert und optimiert werden sowie neue Anwendungen und neue Technologien für die Erde entstehen. In der Schwerelosigkeit gelingt das Echtzeitstudium von biochemischen Botenstoffen in 3D für Medikamente und Therapien gegen Krebs, Alzheimer, Parkinson und Osteoporose. Die medizinischen Erkenntnisse der Langzeitmissionen und des Astronautentrainings finden auch Anwendung bei ­Therapien auf der Erde, um zum Beispiel ältere Menschen länger gesund und mobil zu halten. Zellwachstum und Zellchemie für trockenheitsresistentere Pflanzen werden ebenfalls erforscht.

Auch die Schließung von Stoffkreisläufen gehört zu den Technologieerprobungen der ISS. Das Wasser wird bereits erfolgreich und dauerhaft zu über 90 Prozent wiederverwendet. Atemluft- und Nahrungserzeugung sind Gegenstand vieler Experimente und für künftige Langzeitmissionen zu Mond und Mars unverzichtbar. Mit der nächsten Generation von Raumstationen kommt auch die Herstellung von Produkten unter Schwerelosigkeit in Reichweite – Produkte, die auf der Erde in dieser Güte nicht hergestellt werden können und damit völlig neue Anwendungen ermöglichen.

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Schwerelos und in Shorts forschen für die Menschheit: Darstellung des von der ESA betriebenen Columbus-Labors auf der ISS© ESA
Zurück zum Mond – in internationaler Partnerschaft

Das aktuell wohl aufwendigste neue Teamwork im All ist das Mondprogramm Artemis, das unter anderem die erste Frau auf den Erdbegleiter bringen soll. Das bestehende Kooperationsabkommen der ISS bietet praktisch auch das Modell für die partnerschaftliche Rückkehr zum Erdtrabanten unter Führung der USA. Russland hat als einziger ISS-Partner seine Teilnahme zurückgezogen und plant jetzt – wie China – ein eigenes Mondprogramm.

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Die NASA hat für die Artemis-Mondmission den Bau eines Landfahrzeugs ausgeschrieben. Es gibt drei Bewerber: Intuitive Machines, Lunar Outpost und Venturi Astrolab (Foto)© NASA

Mit dem zum Artemis-Projekt gehörenden Lunar Gateway soll ab etwa 2027 zunächst eine kleine Station in einer Mondumlaufbahn aufgebaut werden, von der aus regelmäßige astronautische und robotische Erkundungen auf der Mondoberfläche starten. Auch hier liefern die ISS-Partner Bauelemente und erhalten darüber Gegenleistungen wie Astronautenflüge. Das European Service Module (ESM) beispielsweise versorgt das amerikanische Orion-Raumschiff mit Bord- und Antriebsenergie. Mit der Orion können bis zu sechs Personen zwischen Mond, Lunar Gateway und Erde pendeln. Das ESM, von dem es insgesamt neun Stück geben soll, ist zu 60 Prozent made in Germany und wird von Airbus in Bremen im ESA-Auftrag gebaut. Besonders interessant dabei ist, dass die NASA mit dem ESM zum ersten Mal einen ISS-Partner auf den sogenannten kritischen Pfad mitnimmt und sich so in Abhängigkeit begeben hat.

Durch die Teilnahme bei Artemis hat Europa erstmals auch die Möglichkeit, eigene Astronauten auf den Mond zu bringen. Und nicht nur das: Mit dem ESA-Mondlander Argonaut, der ebenfalls mit gewichtiger deutscher Beteiligung geplant ist, sollen bis zu 1,5 Tonnen Nutzlasten und Güter pro Mission zum Mond gebracht werden, um das Artemis-Programm zu unterstützen. Wissenschaftler hoffen, auf der Mondoberfläche wichtige Spuren zur Entschlüsselung der 4,5 Milliarden Jahre währenden Geschichte unseres Sonnensystems finden zu können. Außerdem gilt das Artemis-Programm als Sprungbrett zum Mars. In den 2030er-Jahren könnte es die ersten bemannten Flüge dorthin geben.

Zunehmende Kommerzialisierung

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Auch im All beginnt eine zunehmende Kommerzialisierung. Laut einer Prognose des Finanzdienstleisters Morgan Stanley könnte 2040 eine Billion US-Dollar mit der Raumfahrt umgesetzt werden. Einer der Protagonisten ist die japanische Firma ispace, die im Dezember 2023 erstmals einen Mondlandeversuch unternahm. Dort erhofft man sich in den kommenden Dekaden Mondtransportgeschäfte im Milliarden-Dollar-Bereich.

Nimmt man die westlichen Raketenstarts, so dominiert hier mittlerweile das privatwirtschaftliche Unternehmen SpaceX mit zwei bis drei Starts pro Woche seiner Trägerrakete Falcon 9. Allein für seine Internet-Satelliten-Flotte Starlink hat das Weltraumprojekt von Tesla-Gründer Elon Musk bereits etwa 5.300 Fluggeräte in den Orbit transportiert. Sie versorgen über zwei Millionen Kunden weltweit mit digitaler Datenkommunikation. Viele Tausend Satelliten sollen noch folgen. Die dabei für die Datenübertragung genutzten Laserterminals gehören zu den Bauteilen, die SpaceX selbst fertigt. Sie zählen zu der schnell wachsenden Gruppe der sogenannten „off-the-shelf components“. Diese in Serie gefertigten Teile lösen die teuren Einzelanfertigungen, die die Raumfahrt in der Vergangenheit geprägt haben, immer mehr ab und machen die Branche auch für Zulieferer immer interessanter. Es kommen also neue Mitspieler aufs Feld.

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Sogenannte Microlauncher mit wenigen Zentnern Nutzlast sollen die Transportkosten ins All weiter senken. Die Kleinraketen sind so kompakt, dass sie auch von einem Schiff aus gestartet werden können. An einem solchen Projekt arbeitet beispielsweise die privatwirtschaftliche German Offshore Spaceport Alliance© Harren Group

Neben Serienfertigung setzt SpaceX auch auf die Wiederverwendbarkeit teurer Komponenten und Systeme. So ist die erste Stufe der Falcon 9 mit teuren Komponenten wie Triebwerken und den hoch belasteten Turbopumpen für die Treibstoffzufuhr mehrfach nutzbar. Zudem verfügt die Firma über eine hervorragende Datenbasis und weiß genau, welche Teile wann ausgewechselt werden müssen. Das senkt die Kosten enorm.

Wirtschaftliche Aspekte haben auch die NASA dazu motiviert, bereits vor dem Ende des Space Shuttle den Service zur Versorgung der ISS auszuschreiben. SpaceX und Northrop Grumman haben schließlich den Zuschlag bekommen. Auch im Bereich der Exploration versprechen sich immer mehr Firmen Geschäftsfelder, unter anderem im Bereich Navigation und Kommunikation. Aber auch die Rohstoffgewinnung auf dem Mond und auf Asteroiden ist verlockend.

  • 10.000 $
    hat der Transport ins All pro Kilo zur Jahrtausendwende etwa gekostet. Dank neuer Anbieter und Technologien ist er mittlerweile auf 3.000 $ gesunken.
  • 2.277
    Satelliten und Raumsonden wurden 2023 in den Himmel geschossen – Tendenz stark steigend.

Ein weiterer Schub bei der Kommerzialisierung des Weltalls wird durch das Projekt Starship erwartet. Die Rakete von SpaceX ist der größte jemals gebaute Himmelsstürmer und ermöglicht es, sehr große Nutzlasten oder komplette kleinere Raumstationen zu starten – eine Voraussetzung für nahezu alle Weltraumunternehmen. Auch Betankung und Wartung im All sind geplant. Der Erdorbit wird mehr und mehr Teil der irdischen Ökonomie. China, Indien und die Vereinigten Arabischen Emirate spielen zunehmend eine Rolle im All, weitere Staaten streben Raumfahrt an. So will die Ruanda Space Agency (RSA) Afrika aufs Weltraum-Spielbrett bringen. Bisher ist der Kontinent nur mit fünf Prozent am milliardenschweren Sternen-Business beteiligt. Mit Weltraumbeobachtung, Fernerkundungsstrate­gien, Weltraumtechnologie und einer Satellitenflotte will sich die RSA ein größeres Stück vom orbitalen Kuchen abschneiden.

Doch die Zunahme hat auch einen Preis: Mehr Satelliten im niedrigen Erdorbit bedeuten auch eine höhere Wahrscheinlichkeit von Ausfallraten und damit auch mehr potenziellen Weltraummüll auf kritischen Umlaufbahnen. Nach Modellen des Space Debris Office der ESA befanden sich im Jahr 2021 etwa 36.500 Objekte größer als zehn Zentimeter, eine Million Objekte in der Größe von einem bis zehn Zentimeter und 130 Millionen Objekte in der Größe von einem Millimeter bis einem Zentimeter im Erdorbit. Um Havarien vorzubeugen, beobachtet das US-amerikanische Space Surveillance System kontinuierlich Objekte ab fünf Zentimeter Größe. Erste Unternehmen haben bereits Ideen präsentiert, wie man Weltraumschrott einsammeln könnte – auch das ein ebenso zukunfts- wie gewinnträchtiges Geschäftsfeld.

Blick von oben auf irdische Herausforderungen

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Raumfahrt ermöglicht uns den Blick von oben auf unsere Erde und ist damit ein entscheidender Schlüssel, um irdische Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. So ist die Erdfernerkundung durch Satelliten ein wichtiges Instrument, um Veränderungen auf der Erde, bedingt durch den Klimawandel, zu verstehen und Handlungsmaßnahmen zu identifizieren. Ohne diesen Blick würden uns wichtige Daten fehlen. Das Ozonloch – für das menschliche Auge nicht sichtbar – konnte nur mithilfe von Satellitendaten identifiziert werden. Der Blick von oben erlaubt uns, genau zu sehen, wie sich Gletscher und Eismassen über die Jahre verändern, in welchem Ausmaß sich Treibhausgase in der Atmosphäre erhöhen und wie sich die Vegetation auf der Erde verändert. Unabhängig von Wetter, Tageszeit und -licht. Das Zusammenspiel aus Forschung und Industrie ermöglicht uns, dass Hochtechnologien in die Anwendung gebracht werden und dem Menschen auf der Erde dienen. Satellitenmissionen sind auf lange Zeiträume ausgelegt, um Relationen und Veränderungen genau zu bemessen.

Auch für den Katastrophenschutz ist dies ein wichtiges Werkzeug. Durch aktuelle Satellitendaten können Lagebilder erstellt werden, die das Ausmaß eines Schadens und den Zustand der Infrastruktur präzise darstellen. Diese Informationen werden schnellstmöglich im Rahmen der „International Charter Space and Major Disasters“ der Vereinten Nationen mit betroffenen Ländern und den dortigen Hilfsorganisationen geteilt. So geschehen beispielsweise nach den katastrophalen Überschwemmungen im Ahrtal in 2021. Mithilfe von künstlicher Intelligenz konnten Luft- und Satellitenbilder den Einsatz der Hilfskräfte vor Ort maßgeblich unterstützen. Auch nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei und in Syrien im Jahr 2023 half der Blick von oben, das Ausmaß der Schäden darzustellen.

Wissen aus dem All für irdische Entscheidungen

Wir brauchen internationale Kooperation, um Ins­trumente für die Erdbeobachtung zu entwickeln und in Anwendung zu bringen. Beispielsweise das Hyperspektrometer DESIS, das gemeinsam vom DLR und der US-amerikanischen Firma Teledyne Brown Engineering entwickelt, gebaut und von der Internationalen Raumstation aus betrieben wird. Die hyperspektralen Daten können neben Informationen zu Landbedeckung und Landnutzung auch Informationen zur Beschaffenheit von Böden und zur Wasserqualität von Seen liefern. Dieses Wissen unterstützt die moderne Land- und Forstwirtschaft und kommt ebenfalls zum Einsatz, um Umweltkatastrophen zu bewerten. Diese Bewertung dient der Unterstützung für Entscheidungsträger wie Behörden und Politik.

Unsere Erde ist ein komplexes Ökosystem, dessen Wechselwirkungen keine räumlichen Begrenzungen kennen. Der Blick von oben und der Einsatz von Spitzentechnologien in internationaler Zusammenarbeit ermöglichen uns zielgerichtetes und lösungsorientiertes Handeln. In der Zukunft werden solche Technologien eine immer größere Rolle spielen. Stets mit dem Fokus, dem Menschen auf der Erde zu dienen. Der US-Astronom Carl Sagan hat es auf den Punkt gebracht: Die Erde ist eine Insel im All – und ein Inselvolk muss zur See fahren, um langfristig zu überleben. Der Blick von außen auf die Erde lässt Grenzen verschwinden und zeigt, wie verletzlich und schützenswert unser Planet ist. Wir sitzen alle in einem Boot und jeder Mensch kann entscheiden, ob er auf dem Raumschiff Erde nur Passagier ist oder Teil der Crew. Das DLR versteht sich als Teil dieser Crew.