Was ist smart an der Smart City?
Städte werden weltweit nicht nur raumgreifender, sondern vor allem auch dichter, sodass immer mehr Menschen auf engstem Raum zusammenleben. Laut den Vereinten Nationen gibt es zurzeit mehr als dreißig Megastädte, die mehr als zehn Millionen Einwohnende umfassen. Die nigerianische Metropole Lagos, in der heute rund 15 Millionen Menschen leben, soll bis zum Ende des Jahrhunderts auf 80 Millionen anwachsen. Wie können Technologien dabei helfen, den immer komplexer werdenden Organismus Stadt gut zu regieren und zu organisieren?
Eine Antwort auf diese Herausforderung – auch in den wesentlich kleineren Städten Europas – lautet, dass Digitalisierung einen reibungslosen und verbesserten Ablauf vieler Prozesse gewährleisten könnte. Städte sind zu Big-Data-Produzentinnen geworden. Wir verfügen nicht nur über mehr Daten denn je, sondern auch über eine Fülle von Verknüpfungsmöglichkeiten. Die Masse an Daten macht es möglich, dass wir in der Stadtentwicklung heute auf viele unterschiedliche Daten beispielsweise von Flächen, Gebäuden, Umwelt oder Mobilität, aber auch soziale oder ökonomische Daten zugreifen.
Daten allein sind aber noch kein Garant für Smartness. Was wir brauchen, sind interaktive Werkzeuge wie Datenplattformen, Karten, Apps oder andere Visualisierungen, die Datenverknüpfungen und das Bilden von Szenarien für zukünftige Urbanität ermöglichen. Das Denken in Szenarien, bei dem uns Datenmodellierungen helfen können, ist eine der wichtigsten Fähigkeiten, die wir noch stärker lernen müssen. Dies ist Ausdruck eines Mindsets, kreativ und komplex, Szenarien können spielerisch und unter Teilhabe vieler entwickelt werden.
Im CityScienceLab visualisieren wir die Daten unter anderem an interaktiven Tischen. An diesen sogenannten City Scopes, die in einer Kooperation mit dem MIT Media Lab in Cambridge (USA) entwickelt werden, kann man Zukunftsszenarien einer Stadt sehr anschaulich und flexibel modellieren. Beispielsweise können wir darstellen, was passieren würde, wenn wir in einer Stadt Autostraßen zugunsten von mehr Fahrradwegen zurückbauen. Mit Modellen wie diesen beraten wir auch die Politik und arbeiten mit Verwaltungen zusammen. Es wird politisch immer wichtiger, Daten so darzustellen, dass möglichst viele Leute sie verstehen. Das bringt uns zu den Fakten zurück, weg von Populismus und Ideologie. So fällt es leichter, über konkrete Lösungen zu reden.
Eine solche neue, experimentierfreudige urbane Datenkultur ist im Bereich Stadtentwicklung in einzelnen Ländern verschieden stark ausgeprägt. Deshalb ist es eines der wichtigsten Forschungsthemen und Handlungsfelder im Bereich digitale Stadt, neue Formen von Zusammenarbeit durch digitale Werkzeuge zu entwickeln. In der Stadt selbst, aber auch in den Städten untereinander. Finnlands Hauptstadt Helsinki hat in den Bereichen Datennutzung, Datentransparenz und Vernetzung eine Vorreiterrolle übernommen. Solche Erfahrungsschätze müssen wir weniger smarten Städten zugänglich machen, um globalen Nutzen daraus gewinnen zu können. Ob eine Stadt „smart“ ist, wird sich maßgeblich daran messen lassen müssen, ob Digitalisierung den Menschen zugutekommt und Zusammenarbeit zwischen verschiedensten Akteuren fördert.
Wie definiert man eine Smart City im Kontext stark wachsender Städte? Ein kurzer Blick in die Geschichte des Begriffes zeigt erste Erwähnungen in den 1980er-Jahren. Der Soziologe Manuel Castells beschrieb, dass Städte zunehmend nicht mehr nur als materielle Gebilde zu verstehen seien, sondern als Netzwerke, deren Grundlage Fließbewegungen von Daten, Wissen, Informationen oder Waren seien. Vor allem Ansätze vonseiten der Industrie betonen gesteigerte Effizienz und reibungslose Abläufe, die Smart-City-Technologien uns bringen sollen, beispielsweise durch verbesserte Verkehrsplanung. Vonseiten der Stadtentwicklung wird allerdings großer Wert darauf gelegt, dass eine Smart City zwar durch die Nutzung von technischen Infrastrukturen effizienter und fortschrittlicher wird, aber auch ökologisch und sozial nachhaltiger zu gestalten ist.
Smart sind vor allem diejenigen, die kreativ kombinieren und mit Maschinen elegant zusammenarbeiten können
Prof. Dr. Phil. Gesa Ziemer, Leiterin des CityScienceLab an der HafenCity Universität Hamburg
Unser urbaner Alltag ist längst durch Digitalisierung geprägt: Wir benutzen Apps anstelle analoger Karten; wir leihen und teilen Fahrräder oder Autos über Sharing- oder Mobility-on-demand-Systeme; wir reisen mit digitalen Buchungssystemen, die kaum Reiseplanungen im Voraus nötig machen; unsere Verwaltungen stellen mehr und mehr auf digitale Services um, damit wir nicht mehr wegen jedes Formulars eine Behörde aufsuchen müssen. Städte werden mit Sensoren ausgestattet, die Echtzeitdaten liefern, und Wohnhäuser werden zunehmend als smarte Gebäude gebaut, die unser Wohnverhalten messen. Einer der größten Datenerzeuger ist die Mobilitätsbranche. Ein Tesla ist schon heute primär ein Datensammler und nur noch am Rande auch ein Fortbewegungsmittel.
Städtebau mit digitalen Zwillingen
Auch die Bauwirtschaft basiert vermehrt auf Daten, wenn sie beispielsweise Building Information Modeling (BIM) oder Virtual Design and Construction (VDC) anwendet. BIM beschreibt eine Methode, die vernetztes Bauen zwischen Planung und Ausführung des Baus ermöglicht. Alle Baudaten können mit einer Software erfasst, kombiniert und modelliert werden, was zu einer besseren Zusammenarbeit der Disziplinen führen soll. Heute spricht man davon, auch Umgebungsdaten wie beispielsweise Umwelt-, Verkehrs- oder Sozialdaten mit Gebäudedaten zu verknüpfen, damit Bauen sich nicht nur mit dem Bau, sondern auch mit den Konsequenzen des Baus für die Umgebung beschäftigt. Dies wird unter der Überschrift „von BIM zu CIM“, also City Information Modeling, zusammengefasst. Diese Technolgien sind Teilaspekte von digitalen Zwillingstechnologien, die wir aus der Produktion in der Industrie kennen und die auf Städte übertragen werden. Im Zwilling der Stadt soll Stadtentwicklung simuliert und vorausgesagt werden, bevor sie in der Realität umgesetzt wird.
Digitale Entscheidungshilfe
Das in Hamburg entwickelte „Cockpit für städtische Infrastrukturen“ (COSI) ist ein Anwendungsbeispiel smarter Datenkombinationen. Es dient als digitale Entscheidungshilfe für Mitarbeitende der Verwaltung, die Daten von nun an zentral über eine Webplattform abrufen können und nicht mehr wie bisher einzeln in verschiedenen Behörden anfragen müssen. „Es ist eine enorme Erleichterung, dass Mitarbeitende dezentral und selbstständig Daten kombinieren und einfache Berechnungen vornehmen können“, sagt Prof. Gesa Ziemer. Die Daten können auf einem einfachen Interface eigenständig verknüpft und Voraussagen gemacht werden. Wenn in einem Stadtteil Wohnungen gebaut werden, wie viele Kitaplätze, Grünflächen oder Einzelhandel bräuchte man? Wenn die Corona-Infektionen in einem Stadtteil besonders hoch sind, wo platzieren wir wie viele Testzentren am besten? Dabei ist COSI ein „lebendes“ Projekt, das stetig weiterentwickelt wird.
Die Kunst des smarten Kombinierens
Welche urbanen Technologien haben einen Pioniercharakter? Grundsätzlich besteht Innovation hier nicht so sehr darin, Neues zu erfinden, sondern Bestehendes „smart“ zu kombinieren. Die Stadt eignet sich wie keine andere Organisation dafür, dies zu tun, weil Unmengen von Datenschätzen gehoben und neu kombiniert werden können. Aus meiner täglichen Erfahrung heraus – national in Hamburg, aber auch international bei meiner Arbeit für die Vereinten Nationen – würde ich folgende fünf Bereiche hervorheben:
- Erstens braucht jede Stadt eine urbane und transparente Datenplattform, die Grundlage ist für einen einfachen Zugang zu Daten. Die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig es ist, auch in Krisensituationen, über ein gutes Datenmanagementsystem zu verfügen, von dem aus Daten schnell visualisiert und kombiniert werden können.
- Zweitens muss jede demokratische Regierung über Ko-Kreations-Systeme verfügen, mit deren Hilfe Bürgerinnen und Bürger mit den Regierenden kommunizieren können. Bürgerinnen und Bürger wollen nicht nur informiert werden, sondern sich aktiv an der Planung beteiligen.
- Drittens wird – vor allem in der Mobilitätsbranche – an Sharing-Systemen gearbeitet. Mobility-on-demand-Systeme kombinieren Auto, öffentlichen Verkehr, Fahrrad, Schiff oder Fußweg, um uns den zeitlich und/oder wirtschaftlich effizientesten Weg zu zeigen. Und das möglichst in einer einzigen zentralen App.
- Viertens werden zunehmend digitale Planungs- und Bauwerkzeuge benötigt, die Zukunftsszenarien von Stadt dynamisch und interdisziplinär modellieren.
- Fünftens werden weltweit Vorhersagewerkzeuge entwickelt, die für den Klimaschutz wichtig sind. Hier werden Daten zu Raum, Organisation, Physis, Funktion und Zeit gesammelt und modelliert, um zukünftige Schock- und Stressmomente für Städte und Regionen wie Stürme oder Überflutungen, aber auch politische Unruhen vorhersagen zu können.
Bei all diesen Punkten ist die Frage der Datensicherheit natürlich ein wichtiges Thema. Ich halte es für hochriskant, eine ganze Stadt über eine einzige Schaltzentrale zu steuern, von Verkehr über Verwaltungen bis hin zu Krankenhäusern und Energieversorgung. Das Horrorszenario wäre, dass plötzlich kein Krankenhaus mehr funktioniert, weil irgendetwas gehackt wird. Es gilt also, bei allen Entwicklungen auch entsprechende Back-up-Systeme zu implementieren, die solche Szenarien verhindern. Generell befürworte ich dezentrale Datensysteme.
Hochspannend ist auch die Frage, wem die Daten einer smarten Stadt gehören? Meiner Meinung nach muss die Stadt versuchen, so unabhängig wie möglich zu bleiben – auch dann, wenn sie mit großen Technologiekonzernen zusammenarbeitet. Ihre Aufgabe ist ja, den Bürgerinnen und Bürgern Dienste und Informationen bereitzustellen, die sie zum Leben brauchen – und nicht, Technologien zu verkaufen. Generell sehe ich aber, dass alle Beteiligten von einer Zusammenarbeit profitieren können: Je mehr öffentliche Daten mit denen von Unternehmen kombiniert werden, desto mehr erfahren wir über unsere Stadt und desto mehr neue Businessmodelle auch in Form von Start-ups können entstehen.
Allen Ansätzen gemeinsam ist, dass trotz großer Leistungen von Maschinen diese weiterhin mit Menschen kooperieren müssen. Smart sind also vor allem diejenigen, die zukünftig kreativ kombinieren und mit diesen Maschinen elegant zusammenarbeiten können.
Mehr zum CityScienceLab unter: media.mit.edu