„Weniger, aber besser“
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Juni 2022

„Weniger, aber besser“

Von Björn Carstens
Was haben Bergsteigen und Business gemeinsam? „Sehr viel“ laut Benedikt Böhm, erfolgreicher Markenmanager und einer der bekanntesten Speed-Bergsteiger der Welt. Auf dem Weg nach oben sei Reduktion aufs Wesentliche die Erfolgsformel, verrät er "tomorrow" im Interview.

Was ist auf dem Weg zum Ziel essenziell? Wie lässt sich Bergsteigen aufs Business übertragen?
Es ist die Kunst des Weglassens. Wenn man schneller als der Mitbewerber zum Ziel kommen will, muss man leicht sein. Bergsteiger verzichten auf jedes unnötige Gramm. Jedes überflüssige Bändchen wird abgeschnitten. Aufs Business bezogen bedeutet Leichtigkeit leicht verständliche Botschaften zu vermitteln. Dabei geht es nicht nur um ein intuitives Produkt, sondern um Kundenbindung und -ansprache. Wichtig ist: Die Message muss mit wenigen Worten rüberkommen. Um sich auf die Kernaussage zu beschränken, muss man tief im Detail stecken.

  • Bergsteigen birgt Gefahren: Für Böhm ist wichtig, die Angst durch Achtsamkeit zu ...
    Bergsteigen birgt Gefahren: Für Böhm ist wichtig, die Angst durch Achtsamkeit zu ersetzen © Dynafit
  • Keine Umwege: Benedikt Böhm rast voll fokussiert die Berge hinauf. Entscheidend ...
    Keine Umwege: Benedikt Böhm rast voll fokussiert die Berge hinauf. Entscheidend sei die Vorbereitung, um nicht "vom Weg abzukommen" © Dynafit
  • „Camping“ extrem: Nur sechs Kilogramm Gepäck pro Person nehmen Bergsteiger mit, ...
    „Camping“ extrem: Nur sechs Kilogramm Gepäck pro Person nehmen Bergsteiger mit, die Zeltausrüstung inbegriffen © Dynafit
  • Für eine erfolgreiche Expedition entscheidend:
    Für eine erfolgreiche Expedition entscheidend: "80 Prozent Vorbereitung, 20 Prozent Flexibilität" © Dynafit

Haben Sie die Reduktion schon mal übertrieben und einen Gegenstand sehr schmerzlich vermisst?
Nicht da, wo es wirklich drauf ankam. Also in den Bergen über 4.000 Meter. Da muss die Vorbereitung absolut passen, die zu perfektionieren war ein langer Weg. Heute bin ich nur mit sechs Kilogramm unterwegs. Ich glaube, mit sechs Kilogramm gehen die meisten nicht ins Büro.

"Heute bin ich nur mit sechs Kilogramm unterwegs. Ich glaube, mit sechs Kilogramm gehen die meisten nicht ins Büro"

Benedikt Böhm

Auf welches technische Gerät könnten Sie im Alltag nur schwer verzichten?
Das Smartphone, weil es viel Zeit spart. Für mich ein Gegenstand des minimalen Maximums, aber genauso Fluch und Segen zugleich. Das merke ich auf den Expeditionen, bei denen ich unter einem absoluten Digital-Detox leide. Die ersten Tage sind wie ein Entzug, aber danach merke ich dann doch, dass der Mensch eigentlich fast nichts braucht.

Eine Ihrer Kernthesen lautet: Leben ist wie Bergsteigen, ohne die Reduktion aufs Wesentliche erreicht man seine Ziele nicht. Wie meinen Sie das?
Wir Mitteleuropäer besitzen im Schnitt zwischen 25.000 und 30.000 physische Produkte, haben aber nur etwa 600.000 Lebensstunden zur Verfügung, diese zu verwalten. Mit diesem Wissen relativiert sich Besitz. Oft fragen mich Leute: Wie schaffst du das alles unter einen Hut zu bekommen? Familie mit drei Kindern, Firma mit mehr als 400 Mitarbeitern und gleichzeitig der Sport und die Expeditionen. Es ist die knallharte Zeiteinteilung. Man muss sich für einen Weg entscheiden, sonst verläuft man sich. 80 Prozent des Erfolgs – beruflich wie privat – ist Vorbereitung, 20 Prozent Flexibilität.

Welche Tipps können Sie entscheidungsschwachen Menschen mit auf dem Weg geben? Wie reduziert man seine Angst auf dem Weg zum Ziel?
Im Leben sollte man wie ein Seiltänzer im Zirkus so gut vorbereitet sein, dass man seine Angst durch Achtsamkeit ersetzt. Ich war in lebensbedrohlichen Situationen, in denen ich keine Angst hatte, weil ich einfach ums Überleben kämpfen musste. Meine dringende Empfehlung ist es, einen Sparringspartner zu finden. Einen, der einen fordert und fördert. Mit dem man Ängste teilen kann. Es gibt viele bekannte Beispiele von Unternehmen, die von einem Duo zum Erfolg geführt wurden. Aktuell Biontech oder auch Apple, Google und Microsoft. In dem Punkt ist die amerikanische Kultur die bessere. Sich zu dem Zeitpunkt selbstständig machen, wenn man nichts zu verlieren hat, wenn die Ansprüche gering sind.

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Die Welt wandelt sich schneller denn je, wie hilft ­Reduktion, den Wandel positiv zu gestalten?
Wir alle müssen etwas reduzieren, wenn wir auf dieser Welt weiterleben wollen. Es hilft zum Beispiel schon, kaputte Produkte nicht sofort durch neue auszutauschen. Stattdessen sollten sie reparabel sein. Nach dem Credo: The most sustainable product is the one you have. Top-Qualität ist eine Chance, Ökologie und Ökonomie in Einklang zu bekommen.

Sie haben den Bergsportausrüster Dynafit wiederbelebt. Auch mithilfe von Reduktion?
Ja, im ersten Jahr haben wir die Hälfte unserer Produktpalette gestrichen und den Umsatz trotzdem verdoppelt. Wir stellen uns bei der Strategieentwicklung ganz oft die Frage: Was machen wir eben nicht, um uns nicht zu verzetteln? Ein Beispiel: Wir verkaufen bis heute nicht über Amazon, weil wir glauben, dass Dynafit auch deswegen so eine Anziehungskraft als Marke ausstrahlt, weil sie eben nicht überall erhältlich ist.

Vita Benedikt Böhm
„Weniger, aber besser“
Benedikt Böhm ist ein erfolgreicher Geschäftsmann und begehrter Vortragsredner. Er studierte Wirtschaftswissenschaften an der Oxford Brookes University und an der University of Massachusetts
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Der Münchener (*1977) betreibt seit seinem zehnten Lebensjahr Leistungssport, wird später Mitglied der Nationalmannschaft im Skibergsteigen. Er bezwingt mehrere Achttausender. 2012 überlebt Böhm im Himalaya ein Lawinenunglück, bei dem elf Kletterer sterben, und dreht darüber eine Doku („7 Tage im September“). Seit 2003 arbeitet er als Geschäftsführer des Skitourenausrüsters Dynafit, der sich aus der Insolvenz zum Weltmarktführer entwickelte. Bei seinem jüngsten Herzblut-Projekt – Helping Band, Armbänder für eine bessere Welt – sammelt er zusammen mit dem WWF Gelder für Nachhaltigkeitsprojekte ein. Mehr Infos unter www.helpingband.com.