Wie von Geisterhand
© HOCH ZWEI/Thomas Suer
November 2021

Wie von Geisterhand

Von Björn Carstens
Ein Elektro-Bolide, der fahrerlos über die Rennstrecke braust, und ein Carsharing-Anbieter, der seine Autos aus dem Büro steuert. Zwei Projekte, die im Herbst 2021 für die Mobilität der Zukunft stehen. Zwei weitere Schritte zur Realisierung einer autonomen Mobilitätswende. Wie funktioniert die Technologie?

Ferngesteuerte Autos kennen viele nur aus dem Kinderzimmer. Mini-Racer, die per Controller manövriert werden. Die DTM, Schaeffler und andere Partner haben das Ganze groß gedacht – und mit richtig Highspeed. Ein ferngesteuerter Rennwagen im XXL-Format. Das, was die Fans im Rahmen des DTM-Rennens 2021 im österreichischen Spielberg zu sehen bekamen, war Motorsport als Innovationslabor. Ein Fahrzeug, ausgestattet mit der von Schaeffler entwickelten Drive-by-Wire-Technologie Space Drive, einer redundanten Elektronik-Schnittstelle zur Bedienung von Lenkung, Gas und Bremse, raste komplett unbemannt über den mehr als 4.000 Meter langen Kurs in der Steiermark. Gesteuert wurde es aus einem hochmodernen Fahrsimulator heraus.

Wie von Geisterhand
Der DTM-Renner ist ausgestattet mit der von Schaeffler entwickelten Drive-by-wire-Technologie© HOCH ZWEI/Thomas Suer
  • 1.200 PS
    stark ist das vollelektrische DTM Electric Demo Car, das Schaeffler auch schon 2020 bei der DTM am Hockenheimring präsentierte. Damals noch mit Fahrer.
  • 180 km/h
    betrug die Spitzengeschwindigkeit des unbemannten Rennwagens.
  • 82 Kilometer
    entfernt in Graz befand sich der Fahrsimulator.

5G-Technologie sicherte die stabile Kontrolle des Autos. Fahrdynamik-Simulationssoftware und solche für teleoperiertes Fahren, Kamerasysteme und Sensoren sorgten für ein realistisches Handling. Michael Resl, Director Competition & Technology der DTM-Dachorganisation ITR, erklärt: „Wir nehmen ein Fahrzeug, einen Simulator und einen Fahrer – der Rest ist, die bestmögliche Verbindung durch Glasfaser, 5G und Funk sicherzustellen und die Herausforderungen der Latenzzeiten zu reduzieren.“ Um die Verzögerung bei der Übertragung so weit zu verringern, dass Rennwagen ferngesteuert werden können, waren modernste Drahtlostechnologien erforderlich. Bei einer Geschwindigkeit von 180 km/h entsprechen schon 20 Millisekunden Verbindungslatenz einem zurückgelegten Meter.

Dieses Projekt wird auf die Straße und in die Logistik übertragen werden. Genau darum sind wir hier, um kreativ zu sein, innovativ zu sein, um Pioniere auf der Strecke zu sein

Matthias Zink, Vorstand Automotive Technologies der Schaeffler AG
Blick auf drei Monitore statt aus der Windschutzscheibe

Was Schaeffler und seine Partner im Highspeed-Bereich erfolgreich getestet haben, funktioniert natürlich auch bei gemächlicheren Geschwindigkeiten. Dann zwar nicht ganz so rasant, dafür aber im täglichen Einsatz. So zumindest der Plan in Hamburg. Die Hansestadt wagt ab Anfang 2022 den weltweit ersten Vorstoß, echtes Tele-Driving in den urbanen Verkehr zu integrieren. Zusammen mit dem Berliner Tech-Start-up Vay soll ein neuartiger Mobilitätsservice angeboten werden, der zumindest partiell ohne Fahrer im Auto auskommt. Vollelektrische Sharing-Fahrzeuge sollen nach Bestellung per App punktgenau zum Kunden rollen. Scheinbar wie von Geisterhand.

Statt hinter dem Lenkrad sitzen speziell ausgebildete, zertifizierte Telefahrer von Vay im Büro vor drei Monitoren und haben per Mobilfunk und Kameras den Straßenverkehr im Blick. Sie steuern den Wagen ganz alleine zu den Kunden – ganz ohne Backup aus Fleisch und Blut. Erst sobald der Kunde einsteigt, übernimmt er das Kommando. Nach der Tour „kapern“ dann wieder die Fernlenker im Office das Fahrzeug und fahren das Auto zum nächsten Kunden. So entfällt die lästige und oft ineffiziente Parkplatzsuche. Das (Strom)-Tanken übernehmen ähnlich wie bei anderen Carsharing-Angeboten Servicekräfte.

  • So wie hier zu Demonstrationszwecken beobachten die Tele-Driver im Büro den Stra ...
    So wie hier zu Demonstrationszwecken beobachten die Tele-Driver im Büro den Straßenverkehr © Vay
  • Rundumblick an drei Monitoren
    Rundumblick an drei Monitoren © Vay
  • Gesteuert wird aus dem Office
    Gesteuert wird aus dem Office © Vay
  • Die Fahrzeuge von Vay im Probebetrieb in Berlin
    Die Fahrzeuge von Vay im Probebetrieb in Berlin © Vay
Zulassung steht kurz bevor

Das System ist laut Unternehmensangaben durchgehend mit Redundanzen ausgestattet. Gleichzeitig werden mehrere 4G-Mobilfunknetzwerke genutzt, sodass die Sicherheit des Service und der anderen Verkehrsteilnehmer zu jedem Zeitpunkt gewährleistet sei, versichert Vay. Seit zwei Jahren rollen die Autos bereits im Testbetrieb durch Berlin – dort allerdings noch mit einem Sicherheitsfahrer besetzt. Und auch in Hamburg wird Vay vermutlich zunächst einmal im Testgebiet Bergedorf, einem Randbezirk Hamburgs, mit einem Fahrer starten. Ziel sei es aber wirklich, so sagt Dennis Krämer, Pressesprecher der Hamburger Verkehrsbehörde, dass Vay 2022 fahrerlos in Bergedorf unterwegs sei. Der Zulassungsprozess laufe vielversprechend.

Tele-Driving, das sagt Vay selbst, sei eine Übergangstechnologie – eine, bei der Mensch und Maschine kollaborieren. Ziel sei das komplett autonome Fahren. Bis der Computer jedoch vollends das Kommando übernehme, dauere es noch ein paar Jahre.

So funktioniert das Tele-Driving im Bereich Shared Mobility