Woraus besteht das Auto der Zukunft?
Nanotechnologie
Willkommen in der Welt des Winzigen. Unterhalb von etwa 50 Nanometern (Milliardstel Meter) werden klassische physikalische Gesetze außer Kraft gesetzt. Stoffe verhalten sich vielmehr nach quantenphysikalischen Gesetzen und können andere optische, magnetische oder elektrische Eigenschaften entwickeln, zum Beispiel reflektierend statt lichtdurchlässig sein. Die wohl bekannteste Nano-Anwendung ist der der Lotusblüte nachempfundene Abperleffekt von entsprechend behandelten Oberflächen. Hyundai-Vizepräsident Hong Seung-Hyun hält die Technologie laut Korea Times für einen „entscheidenden Schlüssel, um die Transformation der Automobilindustrie anzuführen“. Noch in diesem Jahr will der Konzern, zu dem auch die Marke Kia gehört, ein Polymer in seinen Fahrzeugmodellen einführen, das Öl einkapselt und bei zu großer Reibung freisetzt. 2026 soll eine selbstheilende Schutzschicht auf Polymerbasis für sensible Lidar- und Kamera-Sensoriken von Fahrassistenzsystemen folgen, die Kratzer bei Raumtemperatur eigenständig verschwinden lässt. Auf einer solchen Polymer-Nanotechnologie basieren auch selbstheilende Lackschutzschichten, an denen schon seit einigen Jahren geforscht wird, allerdings noch ohne marktdurchdringenden Erfolg. Ebenfalls mit Nanotechnologie will Hyundai Solarzellen transparent und flexibel machen. Sie könnten so auf Autoscheiben und Karosserieflächen aufgebracht werden. Das Ziel: 20 bis 40 Kilometer Reichweite mit einem Tag Lichternte.
Recycelte Kunststoffe
Der Drang, leicht zu bauen, lässt den Anteil an Kunststoffteilen im Auto, die mit einer Dichte von rund 1 g/cm3 achtmal leichter als Stahl sind, kontinuierlich wachsen. Doch kann der vielseitige Werkstoff auch nachhaltig sein? Ja – wenn er nicht in der Müllverbrennungsanlage endet, sondern einem Wertstoffkreislauf zugeführt wird. Das Hauptproblem: Recyceltes Plastik ist wegen der meist inhomogenen Wertstoffe fast immer minderwertiges Plastik. Genau hier setzen viele Verfahrenstechniker an. Der deutsche Folien- und Kunststofflieferant Südpack beispielsweise investiert in die sogenannte Carboliq-Technologie. Dort werden gemischte und kontaminierte Kunststoffe unter Atmosphärendruck und verhältnismäßig niedrigen Temperaturen unter 400 °C in einem chemischen Prozess in eine Flüssigressource umgewandelt, aus der neue Kunststoffe hergestellt werden können. Dieses Recyclingverfahren ermöglicht sogar ein Upcycling von minderwertigeren hin zu Hochleistungskunststoffen.
Bioverbundstoffe
Bereits 1941 stellte Henry Ford ein Auto mit hanffaserverstärkter Kunststoffkarosserie vor. Es wird vermutet, dass Stahl- und Ölriesen einer Ausbreitung der Idee aus Eigenschutz einen Riegel vorschoben. Doch das Bestreben der Automobilbranche, nachhaltiger zu agieren und leichter zu bauen, machte Bioverbundstoffe aus schnell nachwachsenden Rohstoffen wie Cellulose, Bambus, Hanf oder auch Mais wieder en vogue. Im Innenraum „grünt“ es schon seit einigen Jahren in Serienautos (siehe nächste Doppelseite), aber auch für die Außenhaut sprießen die Ideen. 2013 präsentierte Toyota die Studie ME.WE, bei der horizontale Flächen wie Bodengruppe, Motorhaube und Dach aus einem Bambuslaminat bestanden. Ein kürzlich von einer Maschinenbau-Universität in Indien präsentiertes E-Auto besteht sogar hauptsächlich aus Bambus. Das ist möglich, weil Verbundstoffe aus Naturfasern trotz des niedrigen Gewichts eine sehr gute Festigkeit aufweisen. Henry Ford vemeldete bereits damals, seine Hanf-Karosse sei zehnmal aufprallfester als eine gleichwertige Stahlvariante. Neue Materialien, neue Mitspieler? Möglicherweise. 2019 präsentierte der japanische Papierkonzern Oji eine Sportwagen-Studie mit einer scharfkantig gezeichneten Karosserie aus Zellulose-Nanofasern. Gewichtsvorteil: 150 Kilogramm. Um Gewicht zu sparen, verpasste auch Citroën seiner Fahrzeugstudie Oli Motorhaube und Dach aus Pappe. Papierschöpfer statt Stahlpresser? Das könnte neben Gewicht allein in der Produktion 20 bis 50 Prozent an CO2-Emissionen einsparen. Mit Naturharzen zum Härten der Fasermatten ließe sich auch ein mögliches Recyclingproblem lösen. Der aktuell größte Nachteil von Bioverbundstoffen: Die Herstellungskosten sind noch nicht wettbewerbsfähig.
Scheiben aus Polycarbonat
Im Motorsport ist Leichtbau noch mehr Trumpf als in der Serienfertigung, daher sind Scheiben aus Polycarbonat (PC) dort längst Standard. PC ist zwar nicht so kratzfest wie Glas, aber rund 50 Prozent leichter, dazu gut form- und einfärbbar. Das ermöglicht eine große Gestaltungsfreiheit. Schon heute setzen Automobilhersteller auf PC-Glas für Heck- und Seitenscheiben sowie für Panoramadächer und Scheinwerfer. Das nächste Entwicklungsziel: die in Sachen Bruch- und Kratzfestigkeit besonders anspruchsvolle Windschutzscheibe.
Stahl vs. Leichtbaumetalle
Rund 50 bis 60 Prozent eines modernen Autos bestehen aus dem klassischen Werkstoff Stahl. Doch der Abnehmtrend in der Automobilindustrie setzt Stahllieferanten unter Druck. Ihre Antwort: ultrahochfeste und damit sehr dünnwandige Stahlsorten, Sandwichverbundlösungen mit Kunststoff oder auch hochfeste Warmumformstähle, für sicherheitsrelevante Strukturbauteile. Damit lässt sich bis zu einem Drittel an Gewicht gegenüber klassischen Stahlkonstruktionen einsparen. Vorteil Stahl gegenüber Leichtbauteilen aus Aluminium oder Carbon: Er ist preiswert, weniger energieintensiv zu produzieren und sehr gut recycelbar. Seit zwei Jahrzehnten wird Magnesium, eines der zehn häufigsten Materialien der Erde, als kostengünstiges Ultraleichtbaumaterial (75 % leichter als Stahl) für den Autobau ins Spiel gebracht. In vielen Bereichen des Automobilbaus wird das Metall bereits eingesetzt, überwiegend als Gussteil, etwa als Getriebegehäuse, aber zum Beispiel auch als Druckgussteil in A- und B-Säulen oder in Bodenblechelementen. Das Helmholtz-Institut ließ 2015 gar verlauten: „Das Auto der Zukunft ist aus Magnesium.“ Dort und anderswo arbeiten Forschende daran, durch die Entwicklung neuer Legierungen die ungünstigen Materialeigenschaften von Magnesium (Korrosionsanfälligkeit, Nachteile bei Verformbarkeit und Festigkeit) zu verbessern und es so auch für großflächige Karosserieteile anwendbar zu machen. Entscheidend für ein optimales Ergebnis ist laut Helmholtz-Institut aber nicht nur die Kombination der einzelnen Elemente, sondern auch der Herstellungsprozess, etwa die Prozesstemperatur oder die Geschwindigkeit beim Auswalzen der Bleche. Anbieter ThyssenKrupp nennt zwei weitere Vorteile von Magnesium: So lasse sich Magnesium selbst im lackierten Zustand zu 100 Prozent wiederverwerten und biete eine edel anmutende Oberfläche.
Textiler 3D-Druck
Webmaschine war gestern – mit textilem 3D-Druck lassen sich ganz neue Stoffvarianten kreieren und sehr individuelle Kundenwünsche umsetzen. Der 3D-Drucker des Anbieters Stratasys kann beispielsweise bis zu sieben verschiedene Materialien zeitgleich auf den Basisstoff aufbringen.
Upcycling
Ob alte Fischernetze oder geschredderte PET-Flaschen: Immer mehr Automobilhersteller veredeln Kunststoffabfälle zu Textilien, mit denen Sitze bezogen, Interieurflächen verkleidet oder Teppiche gewebt werden. So hat sich Autohersteller Volvo vorgenommen, ab 2025 ein Viertel des in seine Modelle eingebauten Kunststoffs aus wiederverwertetem Plastik herzustellen. Der italienische Kunstfaserhersteller Aquafil hat ausgerechnet, dass pro 10.000 Tonnen des Upcycling-Nylons „Econyl“ 70.000 Barrel Rohöl eingespart und 65.100 Tonnen Kohlendioxid-Äquivalent vermieden werden. Bei rund 1,5 Millionen Tonnen Stoff, die pro Jahr weltweit in Pkw verbaut werden, ergibt sich allein hier ein gewaltiges zu hebendes Nachhaltigkeitspotenzial.
Biowerkstoffe
In aller Regel braucht es Kunststoff für den Innenraum, allein für die Stabilität. Aber zusehends setzt sich die Erkenntnis durch, dass es kein reiner Kunststoff sein muss. Noch kreativer als im Außenbereich wird im Innenraum mit Biowerkstoffen experimentiert. Ob Tomatenschalen, Kaffeesatz oder Kokosnussschalen: Im Interieur lässt sich durch die Beimischung natürlicher Materialien der Kunststoffanteil reduzieren.
Vegan und vegetarisch
Wer kein Fleisch auf dem Teller mag, setzt sich im Auto auch ungern auf Tierhäute. Noch zählen Autohersteller zu den größten Lederverarbeitern der Welt, aber auch hier ist ein Transformationsprozess im Gange. Dabei geht es längst nicht nur ums Tierwohl. Um aus Tierhaut Leder zu machen, sind nicht nur Unmengen von Wasser nötig, sondern laut der Tierschutzvereinigung PETA etwa 130 Chemikalien bis hin zum hochgiftigen Cyanid. Auf klassisches Kunstleder zurückzugreifen ist aber nur bedingt zielführend, da es – von funktionalen Schwächen wie mangelnder Atmungsaktivität ganz abgesehen – auf latex- oder erdölbasierten Trägern aufbaut. Der Leipziger Anbieter Scoby Tec züchtet im Labor mit bakterieller Zellulose eine optisch und haptisch attraktive, komfortable, reißfeste und atmungsaktive Lederalternative. Nachhaltig ist die vegane „Haut“ obendrein. Gehen laut Scoby Tec 7.550 Liter Wasser und 4.800 Kilo Futter auf einen Quadratmeter Kuhhaut, seien es bei dem Derivat aus dem Labor nur 60 Liter und sechs Kilo Nährmasse. Gleich mehrere Autohersteller haben sich bereits nach dem Lederersatz erkundigt.
Rattan
Der chinesische Elektroautobauer NIO hat in einigen Modellen Teile des Kunststoffs im Innenraum mit einem patentierten Material namens karuun ersetzt, das aus Rattan besteht. Der auf Kunststoffe spezialisierte indische Automobilzulieferer Motherson hat zusammen mit den karuun-Entwicklern sogar bereits smarte, interaktive Bedienoberflächen umgesetzt.