Wunsch & Wirklichkeit
Der Comic-Held Iron Man hat sie in der Brust, das Raumschiff Enterprise fliegt mit ihr und die Illuminaten wollen sie als Bombe gegen uns verwenden: die nahezu unerschöpfliche Energiequelle. Und wir in der Realität? Können „wählen“ zwischen CO2-Emissionen, radioaktivem Abfall und „Verspargelung“ der Landschaft. Kann man da wirklich gar nichts machen oder entwickeln, vielleicht mit viel, viel Geld? An exotischen bis unheimlichen Ideen mangelt es jedenfalls nicht. Neben Antimateriekraftwerken, zu Energieerzeugern umfunktionierten schwarzen Löchern, sollen auch Fusionsreaktionen, die ohne das mehrere Millionen Grad heiße Sonnenfeuer Atomkerne verschmelzen können, die schnelle Energiewende bringen. Mit solchen sauberen, kostenlosen und nahezu unerschöpflichen Energiequellen für alle verhält es sich aber leider wie mit vielen einfachen Antworten auf komplexe Fragen: Sie kommen mindestens mit einem großen Haken daher – oder entpuppen sich bei näherer Betrachtung schlichtweg als Nonsens.
Die Wissenschaft stand kopf
In letztere Kategorie reiht sich nach Ansicht der allermeisten Experten auch die sogenannte „kalte Fusion“ ein. Der Begriff wird oft in einem Atemzug mit den beiden Wissenschaftlern Stanley Pons und Martin Fleischmann erwähnt. Die beiden Elektrochemiker behaupteten 1989, einen ähnlichen Fusionsprozess, wie er im Inneren der Sonne abläuft, bei Raumtemperatur in einem Becherglas voll Wasser erzeugt zu haben. Bei einer Elektrolyse sollten sich Wasserstoffisotope in einer Kathode aus dem seltenen Metall Palladium zu Helium verschmolzen und dabei ungewöhnlich viel Energie abgegeben haben. Wochenlang stand die wissenschaftliche Welt kopf, Hunderte Experimente wurden durchgeführt, um das Ergebnis zu bestätigen. Schließlich hätte diese Entdeckung die Energieprobleme der Welt auf einen Schlag gelöst. Die Tatsache, dass wir uns heute immer noch vergleichsweise gewöhnlich mit Energie versorgen, nimmt vorweg, wie die Geschichte weitergegangen ist: Niemand konnte das Experiment wiederholen, der Begriff „kalte Fusion“ wurde zum Synonym für unseriöse Forschung. Fleischmann und Pons waren bis auf die Knochen blamiert.
„Hätte das Ergebnis bestätigt werden können, wären die beiden unglaublich reich geworden, und es hätte mit Sicherheit den Nobelpreis gegeben“ sagt Gerald Kirchner, Reaktorexperte und Leiter des Carl Friedrich von Weizsäcker-Zentrums für Naturwissenschaft und Friedensforschung der Universität Hamburg. Äußerst verlockende Aussichten. Kein Wunder also, dass sich bis heute immer wieder dubiose Gestalten mit einem angeblichen Durchbruch melden. Zuletzt präsentierte der Italiener Andrea Rossi ein Gerät Namens E-Cat, in dem Kerne von Nickel- und Wasserstoffatomen miteinander verschmelzen sollen. „So sehr ich uns allen so einen Reaktor wünsche – das ist einfach nicht plausibel“, sagt Kirchner. „Für solche Geräte müssten wir die Physik, die wir kennen und die sich in Abertausenden Experimenten bestätigt hat, komplett ignorieren.“ Dass der E-Cat oder etwas Ähnliches noch nirgendwo funktioniert hat, überrascht Kirchner daher überhaupt nicht.
Energie aus schwarzen Löchern? Theoretisch!
Genauso exotisch, aber wissenschaftlich plausibel ist die Idee von Horst Stöcker. Der Professor für Theoretische Physik an der Universität Frankfurt hat vor rund zehn Jahren vorgerechnet, dass es mithilfe von winzigen schwarzen Löchern möglich sein müsste, den gesamten Planeten einfach und sauber mit Energie zu versorgen. Ja, richtig gelesen: schwarze Löcher. Die kosmischen Gebilde, die wegen ihrer enormen Masse eine so gewaltige Schwerkraft aufweisen, dass sie alles verschlingen, was ihnen zu nah kommt, sogar Licht. Laut Stöckers Theorie wäre es unter bestimmten Voraussetzungen möglich, Miniversionen der Allesfresser zu erzeugen. Und zwar, indem man mit einem Teilchenbeschleuniger wie dem „Large Hadron Collider“ (LHC) in der Genfer Großforschungsanlage CERN Wasserstoffkerne aufeinanderfeuert. Die entstehenden Minilöcher könnte man dann in Speicherringen kreisen lassen und gezielt mit normaler Materie füttern, etwa Sand oder Wasser. Nach Einsteins Formel E = mc2 würde dann die Masse in Strahlung umgewandelt werden. Und daraus könnte man wiederum Strom gewinnen. Theoretisch.
Nur: Die Minilöcher haben sich noch nicht gezeigt. „Was allerdings nicht heißt, dass es sie nicht gibt“, sagt Stöcker. Ließe man die Wasserstoffkerne mit noch mehr Energie aufeinanderkrachen, als das im 27 Kilometer langen LHC möglich ist, könnten sie sich noch offenbaren. Dazu bräuchte man allerdings den am CERN als Idee diskutierten rund 100 Kilometer langen „Future Circular Collider“-Beschleuniger (FCC). Kostenpunkt wohl deutlich jenseits der 20 Milliarden Schweizer Franken. „Das sehen wir aber nicht in den nächsten 20 Jahren“, meint Stöcker.
Fünf Milliarden Jahre für ein Gramm Antimaterie
Und was ist mit Antimaterie? Könnte man nicht wenigstens die zur Energieerzeugung nutzen? Im Film „Illuminati“ zerlegt ein Gramm davon fast den gesamten Vatikan. „Wenn man tatsächlich ein Gramm zusammenbekommen würde, wäre die Sprengkraft sogar noch deutlich größer als im Film. Sie entspräche etwa dem Doppelten der Atombombe von Hiroshima“, sagt Markus Hüning, Wissenschaftler am Hamburger Forschungszentrum DESY, das auch mehrere Teilchenbeschleuniger betreibt. Angst muss aber niemand bekommen, so Hüning: „Selbst wenn wir alle Beschleuniger weltweit ein Jahr durchlaufen ließen und nichts anderes machen würden, als Antimaterieteilchen zu erzeugen, hätten wir grob geschätzt 200 Pikogramm.“ Hochgerechnet hieße das, für ein Gramm Antimaterie benötige man gute fünf Milliarden Jahre. Allein deshalb könne man sich von einem Antimateriekraftwerk schon verabschieden.
Physiker Kirchner sieht uns aber auch ohne die ultimative Energiequelle auf einem guten Weg. Unter anderem in der Erzeugung von Wasserstoff aus Windstrom und im Bau großer Solarkraftwerke in Wüstenregionen sieht er die Zukunft. „Das größte Potenzial für uns liegt aber darin, die Energie, die wir heute schon haben, effizienter zu nutzen.“