Zwerge mit Potenzial
U-Boote, Roboter, Windmühlen, Autos, Fahrstühle und Motoren – man braucht als Laie schon ein gewisses Maß an Fantasie, um in den winzigen Molekülen unter dem Rastertunnelmikroskop das zu erkennen, was Wissenschaftler der Disziplin molekulare Nanotechnologie da alles sehen. In Zukunft sollen solche künstlichen Nanomaschinen beispielsweise durch den Blutkreislauf navigieren, Krankheiten diagnostizieren und Wirkstoffe dahin bringen, wo sie gebraucht werden. Sie könnten Umweltgifte aufspüren und direkt unschädlich machen, kleinste Leiterbahnen für die kommenden Computergenerationen erstellen oder Chemikalien zusammenbauen, wie ihre große Roboter-Verwandtschaft ein Auto am Fließband. Wahrscheinlich beschreibt die Vorstellungskraft der Forscher, die heute die ersten Nanomaschinen bauen, trotzdem nur einen Bruchteil der Möglichkeiten der noch vergleichsweise jungen Forschungsrichtung.
So weit wie E-Motoren im Jahr 1830
„Ich glaube auch, dass da vieles kommen kann“, sagt Leonhard Grill, Leiter der Arbeitsgruppe „Single-Molecule Chemistry“ am Institut für Chemie der Karl-Franzens-Universität Graz. „Aber bis dahin sind noch so viele Schritte zu machen, dass wir heute nicht abschätzen können, was genau. Wir stehen gerade am Anfang.“ Das Nobelpreiskomitee, das den drei Wissenschaftlern Jean-Pierre Sauvage, James Fraser Stoddart und Bernard Lucas Feringa im letzten Jahr für die Entwicklung der Grundlagen zum Bau von Nanomaschinen den Nobelpreis für Chemie verliehen hat, beschreibt es so: Bei der Entwicklung von Nanomaschinen stehe man aktuell etwa auf dem Stand der Elektromotoren im Jahr 1830. Damals ließen sich nicht viel mehr als erste Räder oder Wellen drehen. Wie revolutionierend die Kraft der Technologie werden sollte, konnte damals noch niemand erahnen.
Wir stehen gerade am Anfang
Leonhard Grill,
Führender Experte an der Universität Graz,
über den Stand der Nanotechnologie
Ähnlich rudimentär beginnen die Arbeiten der Nanomaschinen-Pioniere. Anfang der 1980er-Jahre findet der Franzose Sauvage einen Weg, ringförmige Moleküle miteinander zu verketten. Der Chemiker von der University of Strasbourg schafft damit erstmals die Möglichkeit, mechanische Kräfte von einem beweglichen Nanobauteil zu einem anderen zu übertragen. Dem Schotten Stoddard, der heute an der Northwestern University in Evanston bei Chicago forscht, gelingt es dann Anfang der 1990er-Jahre, einen Molekülring auf einer stabähnlichen Struktur gezielt von der einen zu einer anderen Position wandern zu lassen. Und der Dritte im Nobelpreis-Bund, Bernard Feringa, Chemiker an der Universität Groningen, krönt kurz vor der Jahrtausendwende die junge Forschungsrichtung mit dem ersten molekularen Motor: Sein Nanorotorblatt dreht sich kontinuierlich in dieselbe Richtung, wenn es mit Licht bestrahlt wird.
Nanorennstrecke als Inkubator
Der Niederländer ist es auch, der 2011 das erste Nanoauto konstruiert. Das Molekülkonstrukt ist inklusive Chassis und Rädern zwei Nanometer (also zwei Millionstel Millimeter) groß und wird durch Stromstöße aus einem Elektronenmikroskop angetrieben. Der Chemiker und sein Team beweisen damit, dass es möglich ist, mit Atom- und Molekülbausteinen Maschinen zu konstruieren, die ähnlich wie ihre Vorbilder in der makroskopischen Welt funktionieren. Auch Leonhard Grill arbeitet unter anderem mit solchen Nanoautos. Zusammen mit dem Amerikaner James Tour von der Rice University in Houston gewinnt der Grazer Ende April 2017 das erste Nanocar-Race der Welt. Dabei müssen Molekül-Fahrzeuge, ähnlich wie bei Feringas Boliden, durch elektrische Impulse aus einem Rastertunnelmikroskop entlang eines vorgegebenen Parcours bewegt werdene, ähnlich wie bei Feringas Boliden, durch elektrische Impulse aus einem Rastertunnelmikroskop entlang eines vorgegebenen Parcours bewegt werden.
„Das Nanocar-Race war eher eine öffentlichkeitswirksame Spielerei – aber eine, die uns sehr viel Spaß gebracht hat, zumal wir ja auch gewonnen haben“, sagt Grill. Grundsätzlich geht es bei solchen Rennen darum, mehr über die Wechselwirkung zwischen Oberfläche und Molekül zu lernen, also quasi den Grip des Nanoautos zu optimieren. Grill und Tour haben in der Zwischenzeit einen noch flexibleren Lichtantrieb für eine Nanomaschine entwickelt. Dieser „Treibstoff“ bietet gleich mehrere Vorteile, sagt Grill: „Damit können wir die Maschinen aus der Ferne aktivieren und außerdem extrem viele Moleküle gleichzeitig bewegen – in Zukunft möglicherweise zum gezielten Transport von Atomen oder Molekülen.“
Angriff der Nanomaschinen auf das Böse im Körper
Dieses Kunststück ist dem Wissenschaftler X. Chris Le von der University of Alberta für einen Spezialfall gerade geglückt. Er befestigte künstliche Enzyme auf einem Nanopartikel aus Gold, um sie in eine Krebszelle zu schleusen. Die kranke Zelle produziert eine chemische Substanz, die wiederum einen in die künstlichen Enzyme eingebauten Schalter aktiviert. Daraufhin beginnen die Kunst-Enzyme, bestimmte Moleküle zu spalten. Noch ist das nur ein Prinzip. Es zeigt aber die Richtung auf: In Zukunft könnten so Wirkstoffe im Inneren von erkrankten Zellen aktiviert werden.
Wenn es nicht darauf ankommt, die Zelle zu heilen, hat James Tour noch eine brachialere Variante in Arbeit: Sein neuester molekularer Motor beginnt unter UV-Licht unglaublich schnell zu rotieren. Die mehr als zwei Millionen Umdrehungen pro Sekunde reichen aus, um Zellwände zu durchbohren. Durch das Loch läuft das Plasma aus, die Zelle stirbt. In Tests haben Tours Nanobohrer Prostatakrebszellen innerhalb von drei Minuten zerstört. Noch funktioniert die Methode aber nur im Reagenzglas. Vor allem die Frage, wie der Nanobohrer und auch andere molekulare Maschinen künftig gezielt dahin gesteuert werden können, wo sie gebraucht werden, ist ebenfalls noch offen. UV-Licht wird von der menschlichen Haut absorbiert, im Körper kommt man damit nicht weit.
Nobelpreisträger Feringa wird daher langsam ungeduldig. Seiner Meinung nach sollten seine Kollegen jetzt verstärkt darüber nachdenken, wie man die heute bekannten Nanomaschinen zum Einsatz bringt. Damit aus Fantasie auch tatsächlich Realität wird.