Ohne Magnete immer anziehender
Permanent- oder fremderregt – das sind die Unterschiede
Das Funktionsprinzip eines Elektromotors, der Experte spricht von einer E-Maschine, beruht auf magnetischen Anziehungs- und Abstoßungskräften. Damit wird elektrische Leistung in mechanische (Dreh-)Bewegung umgewandelt. Aktuell nutzen 88 Prozent aller Elektroantriebe im Bereich Pkw & leichte Nutzfahrzeuge Permanentmagnet-Synchronmaschinen (PSM). Dort ist im sich drehenden Kern (Rotor) ein Permanentmagnet verbaut, der mit einem durch eine Kupferwickelung im Mantel (Stator) elektrisch erzeugten Magnetfeld interagiert. Die Vorteile: bewährte Technik, hoher Wirkungsgrad, kompakte Bauweise. Großer Nachteil: Für die Permanentmagnete werden Seltene Erden benötigt, die ökologisch und ökonomisch kritisch sind (siehe Infokasten). Daher rückt die fremderregte Synchronmaschine, kurz FSM, die aktuell einen Marktanteil von etwa fünf Prozent hat, immer mehr in den Fokus der Entwickler. Dort wird der Permanentmagnet im Rotor durch einen kupferumwickelten Eisenkern ersetzt, der wie der Stator mittels Stromfluss – und daher fremderregt – ein Magnetfeld erzeugt.
Weshalb sind Seltene Erden nicht selten – und keine Erden?
Der Begriff stammt aus dem 19. Jahrhundert, als diese Elemente erstmals aus seltenen Mineralien isoliert wurden. Damals dachte man, es handle sich um erdartige Substanzen (also Oxide), weil sie als Pulver vorlagen – ähnlich wie Ton oder Erde. Chemisch gesehen handelt es sich aber um Metalle. Und viele dieser vermeintlich „seltenen“ Elemente kommen in der Erdkruste häufiger vor als Gold, Platin oder andere Metalle. Die Seltene Erde Cer beispielsweise häufiger als Kupfer. Und das für Magnete benötigte Neodym häufiger als Blei. Allerdings sind Seltene Erden nicht konzentriert in großen Lagerstätten zu finden, sondern meist verstreut in anderen Mineralien. Das macht den Abbau und die Trennung aufwendig, teuer und wegen des oft massiven Einsatzes von Energie und Chemie sowie der anfallenden radioaktiven Nebenprodukte zu einer großen Belastung für die Umwelt. Dass China 80 Prozent der weltweiten Förderung und Produktion von Seltenen Erden kontrolliert, liegt nicht nur daran, dass dort die größten Vorkommen liegen, sondern auch daran, dass sich das Land sehr früh und intensiv mit der Gewinnung auseinandergesetzt und seine Kapazitäten in diesem Bereich stetig ausgebaut hat.
„Wir bieten unseren Kunden eine besonders nachhaltige Option. Je höher die geforderte Leistungsklasse des Antriebs ist, desto wirtschaftlich attraktiver ist die FSM-Technologie.“
Welche Rahmenbedingungen haben sich verändert, sodass die FSM als Alternative zunehmend interessant wird?
Zum einen werden Seltene Erden für PSM-Magneten wie Neodym (Nd) und Praseodym (Pr) vor allem hinsichtlich Preisentwicklung und Lieferfähigkeit immer schwerer kalkulierbar. Außerdem treibt die Nutzung von Seltenen Erden das sogenannte Global Warming Potential des Elektroantriebs deutlich nach oben. Auch auf andere Nachhaltigkeitskriterien wirken sich Seltene Erden negativ aus. Zum andern hat die Automobilindustrie große Fortschritte bei der Reichweite von E-Autos erzielt, sodass sich das Nutzungsprofil in Richtung Langstrecke erweitert. Damit wird die E-Maschine häufiger und länger bei hohen Drehzahlen betrieben. Hinzu kommt, dass leistungsfähigere Batterien auch einen Anhängerbetrieb ermöglichen. Kurz gesagt: Mit der besseren Nutzbarkeit des E-Autos verbreitert sich auch das Anforderungsprofil der E-Maschine. Bei einer PSM ist die Magnetisierung auf ein festgelegtes Arbeitsfenster optimiert. Bisher war das Ziel hier meist, dem Fahrer vor allem Drehmoment und Leistung im unteren Geschwindigkeitsbereich anbieten zu können. Bei hoher Drehzahl und Leistung läuft eine so optimierte PSM nicht mehr im effizientesten Betriebsbereich. Bei der FSM lässt sich die Magnetisierung – da über den Stromfluss regelbar – mit einer entsprechenden Steuerungselektronik auf verschiedene Anforderungsprofile anpassen und ein nahezu konstantes Leistungsangebot über einen breiten Drehzahlbereich erzielen. In Summe haben die genannten Entwicklungen eine Neubewertung magnetfreier elektrischer Antriebe ausgelöst.
Mit welchen technischen Maßnahmen räumen die Schaeffler-Experten bauartbedingte Defizite der FSM gegenüber der PSM aus oder wandeln sie gar in Vorteile um?
Dem großen Vorteil der FSM, ohne kritische Seltene Erden auszukommen, standen bislang Nachteile wie der größere Bauraum und höhere Kosten im Vergleich zur PSM gegenüber. Gelingt es den Schaeffler-Technikern wie erwartet, die FSM durch Optimierung des Rotors kompakter zu machen, so ließen sich nicht nur Bauraum (der u.a. für das den Erregerstrom übertragende Bürstensystem benötigt wird) und Gewicht einsparen, sondern auch 8 bis 12 Prozent an Materialkosten. Damit würden die beiden Motorkonzepte bereits annähernd gleichziehen. Gerade bei leistungsstarken Fahrzeugen kann die FSM sogar preisgünstiger werden als eine PSM, denn je mehr Leistung gefordert ist, desto größer müssen bei letzterer die Magneten sein und desto mehr wertvolle Seltene Erden müssen verbaut werden. Je nach Rohstoffpreisen kann der Grenzwert bereits bei 120 kW liegen. Um den Bauraum annähernd auf PSM-Niveau zu bringen (+ 30 bis 40 mm), wollen die Schaeffler-Experten das Bürstensystem noch besser integrieren. Außerdem haben sie eine weitere Idee: Den um die Bürsten herum entstandenen Raum wollen sie für einen Rotor-Lock nutzen, der eine Parking-Lock-Mechanik im Getriebe ersetzen könnte und so dort Platz schaffen würde.
dem Plug-and-play-Prinzip innerhalb der EMR4-Achsantriebsplattform von Schaeffler zwischen Aggregaten mit oder ohne Magnete wählen© Schaeffler
Welche Leistungs- und Effizienzvorteile hat eine FSM gegenüber einer PSM?
Während die Leistungskurve bei der PSM bei hohen Drehzahlen unter den Maximalwert abfällt, bleibt sie bei der FSM bis zur Höchstdrehzahl auf einem hohen Plateau (siehe Infografik). Die FSM hat hier also einen erheblichen Wirkungsgradvorteil, wodurch sie gerade auf der Langstrecke deutlich effizienter ist.
Warum haben sich die Schaeffler-Ingenieure für ein Bürstensystem entschieden, um den sich – zum Teil sehr schnell – drehenden Rotor in der FSM mit Erregerstrom zu versorgen?
Grundsätzlich gibt es zwei Wege, um Erregerstrom auf die rotierende Welle zu übertragen: kontaktlos durch induktive Einkopplung oder konduktiv mit Bürstenkontakten und Schleifringen auf der Welle. Schaeffler hat sich aufgrund praktischer Erfahrungen in seit 2010 durchgeführten Feldversuchen und Datenauswertungen aus dem Realbetrieb für ein optimiertes Bürstensystem entschieden. Verschleiß und Robustheit der Bürsten wurden dazu in Dauerlaufversuchen durch Optimierung der Materialpaarung, Anpresskraft und weiterer Parameter für die geforderte Lebensdauer (300.000 km/15 Jahre) bestätigt. Zudem kann ein Bürstensystem einen kurzzeitig erhöhten Erregerstrom für einen Boostbetrieb übertragen, während ein induktives System stets nur den definierten Maximalstrom fließen lässt. Bei steigenden Erregerströmen hat das Bürstensystem darüber hinaus einen Wirkungsgradvorteil. Ein ausgereiftes Bürstensystem hat den Vorteil, ein erhebliches Maß an Komplexität (kein rotierender Transformator, kein rotierender Gleichrichter) und damit an Kosten aus dem FSM-Antrieb zu nehmen.
Welches Marktpotenzial haben fremderregte E-Motoren?
Allein aufgrund der technischen Vorteile im wachsenden Performance-Bereich könnten FSM-Antriebe ihren Marktanteil von aktuell rund 5 Prozent auf 8 Prozent im Jahr 2030 erhöhen, prognostizieren Schaeffler-Experten. Sollte sich die Situation um die Seltenen Erden (Preise, Lieferbarkeit etc.) signifikant verschlechtern, sei sogar eine Steigerung auf 40 Prozent möglich. Um für alle Eventualitäten und Markterfordernisse gewappnet zu sein, zielt Schaeffler darauf, Achsantriebsplattformen so zu entwickeln, dass dort je nach Kundenwunsch entweder ein PSM- oder FSM-Rotor als Plug-and-play-Lösung eingesetzt werden kann.