Aufräumfieber im Ozean
Er will die Ozeane vom Plastikmüll befreien
Seit einem Jahrzehnt kämpft die Non-Profit-Organisation The Ocean Cleanup gegen die Verschmutzung der Weltmeere. Gründer und noch heute die treibende Kraft ist der Niederländer Boyan Slat, der 2011 als 16-Jähriger beim Tauchen in Griechenland mehr Müll als Fische im Wasser erblickte. Zwei Jahre später gründete der Student der Luft- und Raumfahrttechnik mit einer Crowdfunding-Initiative „The Ocean Cleanup“ und präsentierte seinen ersten Meeresfilter. Heute beschäftigt die in Rotterdam ansässige Organisation mehr als 130 Mitarbeiter aus mehr als 30 Nationen. CEO Boyan Slat selbst bringt seine Ideen weiterhin in die Forschung und Entwicklung der Meeres-Reinigungssysteme ein.
Nach ersten Tests mit Prototypen in den Jahren 2019 und 2021 ist inzwischen das dreimal so große „System 03“ im Einsatz. Die 2,2 Kilometer lange, U-förmige Barriere wird von zwei Schiffen langsam gezogen. Das Plastik sammelt sich in einem sackartigen Netz, das sich vier Meter unter der Wasseroberfläche erstreckt, wird dann an Bord gelagert und später an Land recycelt. System 03 soll Müll von wenige Millimeter großen Fragmenten bis zu tonnenschweren Fischernetzen aus dem Wasser fischen und dabei umgerechnet die Fläche eines Fußballfeldes innerhalb von fünf Sekunden reinigen.
„Obwohl wir noch einen weiten Weg vor uns haben, geben uns die jüngsten Erfolge erneut Zuversicht, dass die Ozeane gesäubert werden können.“
Boyan Slat, Initiator des Ocean-Cleanup-Projekts
Musik auf recyceltem Plastik
Zu den prominenten Unterstützern von „The Ocean Cleanup“ zählt die britische Popband Coldplay um Leadsänger Chris Martin. Wenn die Musiker, die sich auch auf ihren Tourneen für Umweltschutz und Nachhaltigkeit stark machen, am 4. Oktober ihr neues Album „Moon Music“ auf den Markt bringen, erscheint auch eine limitierte Auflage, die zu 70 Prozent aus recyceltem Plastik produziert ist, das "The Ocean Cleanup" aus dem Fluss Rio Las Vacas in Guatemala gefischt hat. Die übrigen 30 Prozent des Materials wurden aus ehemaligen Plastikflaschen gewonnen. Coldplay beteiligt sich außerdem am Einsatz des Auffangboots „Interceptor 05“ auf dem Klang River in Malaysia.
Müllströme kappen
Müll aus dem Fluss zu fischen, bevor er ins Meer gelangt, ist in den Fokus von „The Ocean Cleanup“ gerückt. Aus gutem Grund: Denn die Organisation sagt, dass 1.000 Flüsse – also gerade einmal ein Prozent der Ströme dieser Welt – für 80 Prozent des Plastikmülls in den Weltmeeren verantwortlich sind. „The Ocean Cleanup“ plant, Auffangschiffe mit maßgeschneiderten Lösungen in den Mündungen der größten Flüsse zu positionieren. 15 solcher Auffangschiffe sind zunächst vorgesehen.
Mit dem neuen Vorgehen schwimmt „The Ocean Cleanup“ auf einer Wellenlänge mit seinen Kritikern. Denn viele Wissenschaftler bewerten das alleinige Abfischen auf den Ozeanen von auf der Oberfläche schwimmenden Plastikmülls als Tropfen auf dem heißen Stein, selbst wenn dieses zu 90 Prozent gelänge, wie es sich Boyan Slat für 2040 als Ziel gesetzt hat. Denn dieser relativ leicht abfangbare Abfall macht nur rund ein Prozent der in die Weltmeere verbrachten Kunststoffe aus. Wie beim Eisberg liegt der viel größere Teil unter der Oberfläche. Die Zahlen sprechen eine ähnliche Sprache. 18.000 Tonnen Plastik wollen Boyan Slat und seine Mitstreiter bislang abgesaugt haben – von 100 Millionen Tonnen, die in tieferen Gewässern der Ozeane dümpeln oder sich längst am Boden oder an Küstenstreifen abgesetzt haben.
Plastik in den Flüssen abzufangen ist – da sind sich „The Ocean Cleanup“ und andere Wissenschaftler einig – daher deutlich effektiver als ihm in den Weiten der Ozeane hinterherzujagen. Und auch darüber herrscht Einigkeit: Noch ökologischer ist es, die Plastikflut schon viel früher entlang der Lieferketten einzudämmen oder/und zu biologisch abbaubare Materialien zu wechseln.
Alternative Methoden
Boyan Slat und seine Mannschaft sind im Kampf gegen die Verschmutzung der Meere nicht allein: Weltweite Initiativen gegen Plastikmüll reichen von der Surfrider Foundation und den Children for the Oceans, die das Bewusstsein für Müllvermeidung steigern und Säuberungsaktion organisieren, bis zu verschiedenen technischen Lösungen.
- Das solarbetriebene Müllsammelschiff „Circular Explorer“ der Umweltschutzorganisation One Earth – One Ocean fischt 4.000 Kilogramm Plastikabfall pro Tag aus dem Meer. Das Schiff nutzt dafür eine Förderbandtechnik, Personal an Bord sortiert die Funde und wirft Meerestiere und organische Abfälle zurück ins Meer. "One Earth – One Ocean" ist in elf Ländern mit 14 Reinigungszellen aktiv.
- Everwave wurde von der Aachener Architektin Marcella Hansch ins Leben gerufen. Bereits in ihrer Masterarbeit entwarf sie schwimmende Plattform, die durch ihre spezielle Konstruktion auch kleinste Kunststoffpartikel aus dem Wasser filtern soll. Inzwischen konzentriert sich die Organisation auf Reinigungsaktionen an Flüssen. Die flachbodigen Reinigungsboote können Plastikmüll vom Ufer oder aus dem Wasser fischen. Wie "The Ocean Cleanup" setzt auch Everwave bei Bedarf auf Schwimmbarrieren, um den Müll abzufangen und zu bündeln.
- Die Organisation Sea Cleaners will ab 2025 mit dem solarbetriebenen Boot „Manta“ pro Jahr 5.000 bis 10.000 Tonnen Müll auf dem Meer einsammeln. Während Glas und Metall zum Recycling an Land gebracht werden, soll das Plastik eingeschmolzen und das dadurch gewonnene Gas als Energiequelle für die Systeme an Bord genutzt werden.
- Wissenschaftler der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), Kooperationspartner von Schaeffler, haben eine Methode entwickelt, wie Plastikpartikel verschiedener Sorten (Polyethylen, Polystyrol, Polyvinylchlorid, Teflon etc.) und Größen
– also auch in Nano-Größe – aus dem Wasser entfernt werden können. Das Prinzip: Ungiftige, speziell beschichtete Eisenoxid-Nanopartikel, sogenannte SPIONs (superparamagnetic iron oxide nanoparticles), verklumpen wie eine Art Kleber mit dem Plastik zu größeren Agglomeraten, die dann durch den Eisenoxid-Anteil magnetisch eingesammelt werden können. Bisher kommt das System noch nicht zum Einsatz.