Systemversteher

Von Björn Carstens
Modulares Spielzeug verbindet Fantasie mit Funktionalität. Wer weiß: Vielleicht baut der Ingenieur von morgen schon heute seinen ersten Produkt-Prototyp mit kleinen bunten Steinchen. „tomorrow“ blickt mit einem Experten in die Kinderzimmer: Kann modulares Spielzeug ein Türöffner für technisches Verständnis sein?
© chudakov2/iStock
Was macht Spielzeug modular?

Modulares Spielzeug besteht aus einzelnen, standardisierten und wiederverwendbaren Bauteilen. Kinder – und oft auch Erwachsene – können durch das Aneinanderfügen, Austauschen und Umgestalten der Module eigene Konstruktionen, Systeme oder Figuren erschaffen. Ein weltweit seit Generationen begeisterndes Beispiel ist Lego. „Modulares Spielzeug funktioniert nach dem Prinzip: Alles passt zusammen, alles ist veränderbar. Es geht nicht um vorgefertigte Lösungen, sondern um Systeme mit offenen Möglichkeiten“, sagt Dr. Volker Mehringer, Erziehungswissenschaftler an der Universität Augsburg.

Der Experte
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Dr. Volker Mehringer (46) ist seit 2011 Lehrkraft für besondere Aufgaben an der Universität Augsburg. Der promovierte Pädagoge forscht an der Schnittstelle von Spielpädagogik und Spielzeugforschung. Seine Schwerpunkte liegen unter anderem in der Analyse von Spielzeug im sozialen und pädagogischen Kontext. Er ist Vorstandsmitglied der International Toy Research Association (ITRA), Beiratsmitglied beim Deutschen Verband der Spielwarenindustrie (DVSI) und engagiert sich im „spiel gut e. V.“

Bekannte modulare Spielzeuge sind …
  • … Noppensteine,wie den Klassiker Lego oder chinesische Varianten wie BanBao, bei ...
    … Noppensteine,
    wie den Klassiker Lego oder chinesische Varianten wie BanBao, bei dem jeder Stein zu jedem anderen passt, unabhängig von Form, Farbe oder Serie – über Jahrzehnte hinweg. Durch neue Module oder technische Komponenten wird das System ständig erweitert – ohne das Grundprinzip zu verändern. © meskolo/iStock
  • … Slotcars,wie unter anderem von den Marken Carrera oder Scalextric. Das modular ...
    … Slotcars,
    wie unter anderem von den Marken Carrera oder Scalextric. Das modulare Schienensystem erlaubt den Aufbau individuell gestaltbarer Rennstrecken. Ergänzt durch digitale Steuerungstechnologie ermöglichen die Bahnen Mehrfachrennen, Spurwechsel und individuelle Fahrzeugprogrammierung. © tv
  • … Robo Wunderkind,aus den USA. Das sind kleine Bauteile, mit denen man eigene Ro ...
    … Robo Wunderkind,
    aus den USA. Das sind kleine Bauteile, mit denen man eigene Roboter (Fahrzeuge, Tiere, Küchenroboter etc.) bauen und über die dazugehörige App programmieren kann. Ähnlich funktioniert Cubelets (Foto). Jedes Modul hat eine Funktion (Bewegung, Licht, Sensorik) und kann durch Zusammenstecken neue Verhaltensweisen erzeugen. © Wikicommons
  • … fischertechnik,der Klassiker aus Deutschland für angehende Ingenieure. Ein Tec ...
    … fischertechnik,
    der Klassiker aus Deutschland für angehende Ingenieure. Ein Technikspielzeug, das bereits Grundprinzipien des Maschinenbaus vermitteln kann und sogar hier und da in der Ausbildung in der Industrie eingesetzt wird – als Lernplattform für Automatisierung. © Wikicommons
  • … Magnet-Bausteine,wie Magformers aus Deutschland, mit denen sich aus bunten, ge ...
    … Magnet-Bausteine,
    wie Magformers aus Deutschland, mit denen sich aus bunten, geometrisch geformten Elementen beliebige Bauwerke erschaffen lassen. Mit der Holzvariante Build-it aus Indien können Kinder unterschiedlichste Baustellenfahrzeuge bauen. © Magformers
Warum ist modulares Spielzeug so faszinierend?

„Weil die Gestaltungsmöglichkeiten nahezu unbegrenzt sind – vom einfachen Turm bis zum programmierbaren Roboter“, sagt Volker Mehringer. „Es sind keine starren Produkte, sondern Teile und Elemente, die sich immer neu und flexibel miteinander kombinieren lassen. Fahrzeuge, Gebäude, Landschaften – alles kann umgebaut und modifiziert werden. Eine hohe Robustheit, Langlebigkeit und Erweiterbarkeit spielen bei modularen Spielzeugen eine entscheidende Rolle.“

Analoger Klassiker oder digitaler Nachahmer – was ist pädagogisch wertvoller?

© meskolo/iStock

„Ich bin kein Freund davon, das Digitale pauschal zu verurteilen. Auch das Digitale hat eine enorm große Vielseitigkeit in der Anwendung. Es gibt im Digitalen und Analogen gutes und schlechtes Spielzeug“, erläutert Mehringer. Der Wissenschaftler zitiert den Forschungsüberblick „The Benefits of Playing Video Games“ einer Forschungsgruppe der Radboud-Universität Nijmegen, die die positiven Effekte von Videospielen auf Kinder und Jugendliche beleuchtet. „Die Autoren argumentieren, dass neben den oft diskutierten negativen Auswirkungen auch die potenziellen Vorteile von Videospielen berücksichtigt werden sollten. So können Videospiele unter anderem die Aufmerksamkeit, das Gedächtnis und die Wahrnehmung verbessern“, sagt Mehringer. Insbesondere Shooter sollen laut der Studie das räumliche Vorstellungsvermögen und damit die Fähigkeit fördern, Objekte in drei Dimensionen zu erkennen, was für den Bildungserfolg in MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) von Bedeutung sein kann.

Ist modulares Spielzeug pädagogisch wertvoll?

Mehringer: „Modulares Spielzeug fördert kognitive und motorische Fähigkeiten. Wenn Kinder Module zusammensetzen, trainieren sie nicht nur ihre Feinmotorik, sondern entwickeln ein tiefes Verständnis für Zusammenhänge. Dabei geht es nicht nur um Technikverständnis, sondern auch um abstraktes Denken, räumliches Vorstellungsvermögen und vorausschauendes Planen – Fähigkeiten, die auch in der digitalen Welt von morgen gefragt sind.“ Das Besondere laut Mehringer: Kinder lernen hier Grundlagen von Logik, Mechanik und kreativer Problemlösung. Ganz nebenbei.

Ist modulares Spielzeug eher etwas für Einzelgänger?

© meskolo/iStock

„Ich glaube schon, dass sich generell analoge Konstruktionsspiele besonders für das Alleinspielen oder aber fürs Parallelspielen eignen, sprich mehrere Spieler bauen nebeneinanderher, um dann am Ende zu schauen, wie sie die verschiedenen Module zusammensetzen. Andererseits muss ich auch hier eine Lanze fürs Digitale brechen. Das Vorurteil besagt ja, dass Gaming das Einzelgängertum fördert. Studien stellen jedoch teilweise fest, dass Videospiele auch die Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen Spielern stärken können. Sie können soziale Fähigkeiten und das Gefühl der Zugehörigkeit sogar verbessern, insbesondere bei Multiplayer- oder Online-Spielen“, sagt Mehringer.

Welche in Vergessenheit geratenen Spielsysteme verdienen ein Comeback?

Mehringer: „Meccano-Metallbaukästen und detailreiche Modelleisenbahnen sind eigentlich zeitlose Spielsysteme, finde ich. Auch wenn das alles vielleicht ein bisschen angestaubt klingen mag, solche Spielzeuge fördern Technikverständnis, Geduld und Kreativität – gerade in Zeiten zunehmender Digitalisierung verdienen sie definitiv ein Comeback.“

3 Fragen an ...

... Kai Storch, Manager Technical Sales and Concepts im Bereich Special Machinery bei Schaeffler, erklärt, warum modulare Bausteine nicht nur beim Spielen sondern auch in der Produktion immer wichtiger werden.

Systemversteher© Schaeffler

Warum setzen immer mehr Unternehmen auf modulare Systeme?
Im Maschinen- und Anlagenbau spielt die Modularisierung eine immer größere Rolle – getrieben von sich rasant verändernden Marktbedingungen. Entwicklungszyklen beispielsweise im Automobilbereich, die früher bei ca. acht Jahren lagen, sind heute mit ca. fünf Jahren deutlich verkürzt. Gleichzeitig ist der Markt volatiler und diversifizierter geworden: Kunden müssen sich zwischen Antriebsarten wie Verbrenner, Hybrid oder batterieelektrischen Fahrzeugen entscheiden. Diese Ungewissheit führt dazu, dass Produktionsbedarfe nur schwer planbar sind. Um in diesem Umfeld wettbewerbsfähig zu bleiben, braucht es flexible Produktionssysteme.

Welche Vorteile bieten modulare Anlagenkonzepte?
Anstatt in komplette Fertigungslinien auf Vorrat zu ­investieren, ermöglichen es modulare Anlagekonzepte, Produktionskapazitäten schrittweise und bedarfs­orientiert auszubauen. So lassen sich Investitionen ­besser steuern und Risiken minimieren. Schaeffler kann durch diese Vorgehensweise schnell auf steigende oder fallende Bedarfe reagieren: Wo früher eine neue Linie ca. zwölf Monate Vorlaufzeit brauchte, können modulare Erweiterungen oft schon in der Hälfte der Zeit realisiert werden. Im Werk Hirschaid wurde so beispielsweise eine Anlage für den Anlauf eines neuen Produkts zunächst mit minimaler Ausstattung aufgebaut – und dann in vier Ausbaustufen flexibel bis hin zur vollautomatisierten Serienmaschine erweitert, ganz nach den sich wandelnden Kundenbedürfnissen.

Wo liegen die größten Herausforderungen bei der Einführung modularer Konzepte?
Bereits in der Konzeptions­phase müssen Aspekte wie ­Ergonomie und Automatisierbarkeit mitgedacht werden – auch dann, wenn einzelne Module zunächst manuell betrieben werden. Besonders wichtig ist dabei die durchgängige Verwendung identischer oder kompatibler Komponenten über alle geplanten Ausbaustufen hinweg. Nur so lassen sich kostspielige Revalidierungen vermeiden, wenn ein Modul später automatisiert oder erweitert wird. Das erfordert ein vorausschauendes, systemisches Planen und Umdenken bei der Anlagenarchitektur: Eine Presse etwa muss von Anfang an so konzipiert sein, dass sie sowohl in einer einfachen, manuellen als auch in einer später automatisierten Umgebung eingesetzt werden kann.