Leitplanken für das Flüchtige

Von Carsten Paulun
Für die Umsetzung der Klimawende ist Wasserstoff unerlässlich. Denn Wasserstoff gilt als eine zentrale Technologie für die Energiewende. Wasserstoff ist Energieträger und kann als Prozessgas CO2-Emissionen in der Industrie reduzieren. Um den komplexen und zukunftsweisenden Bereich Wasserstoff voranzutreiben, sind gewisse Standards notwendig. Sie haben bereits anderen Technologien zum Durchbruch verholfen. Christoph Wasser, Leiter Qualität Business Unit Hydrogen, erklärt im Interview Hintergründe.
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Unlängst hat Deutschland eine Roadmap vorgelegt, die Standards für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft festlegt. Das Papier gilt in der Branche als echter Meilenstein, wurde in den Medien und der Öffentlichkeit aber kaum wahrgenommen. Zeigt das, dass das Thema Wasserstoff in der Breite unterschätzt wird?
Es scheint tatsächlich so, dass das Thema Wasserstoff in der Öffentlichkeit und in den Medien oft nicht die Aufmerksamkeit erhält, die es angesichts seines Potenzials verdient. Wasserstoff gilt als eine zentrale Technologie für die Energiewende und die Dekarbonisierung verschiedener Sektoren, einschließlich der Mobilität, Industrie und Energieerzeugung. Aus meiner Sicht könnte die Komplexität des Übergangs zu einer Wasserstoffwirtschaft, einschließlich technologischer, wirtschaftlicher und politischer Aspekte, ein Grund sein, warum das Thema nicht immer im Mittelpunkt der medialen Berichterstattung steht. Dagegen gibt es in Fachkreisen und in der Industrie durchaus umfangreiche Diskussionen und Entwicklungen.

Leitplanken für das Flüchtige
Dipl.-Ing. Christoph Wasser (36) fing 2008 mit einem Dualen Studium Maschinenbau bei Schaeffler an. Nach seinem Diplom durchlief er verschiedene Abteilungen, seit 2022 baut der zweifache Familienvater als Leiter den Qualitätsbereich Wasserstoff strategisch auf.
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„Eine Normungsroadmap legt wichtige Leitplanken für die Zukunft fest und zeigt Engagement für die Energiewende.“

Warum sind Standards für die Entwicklung von Wasserstoff-Technologien so wichtig?
Zur Beantwortung nenne ich ein Beispiel aus der Schaeffler-Welt: Wir bieten für die dezentrale Wasserstoffproduktion kleine und mittelgroße Elektrolyseur-Einheiten an, sogenannte Stacks. Deren Anordnung ist einheitlich standarisiert. Dadurch können unsere Kunden dem Markt flexible und leistungsstarke Lösungen von 50 kW bis zu Multi-MW anbieten. Ohne diese Standards wäre die Entwicklung solcher Lösungen langwierig und kostenintensiv. Diese Standards stellen einen wichtigen Beitrag zur Förderung einer einheitlichen und sicheren Wasserstoffwirtschaft dar. Sie stammen aus einer Normungsroadmap, die in den fünf Arbeitskreisen Erzeugung, Infrastruktur, Anwendung, Qualitätsinfrastruktur und Ausbildung, Sicherheit & Zertifizierung erarbeitet wird.

„Normen und Standards fördern die Kompatibilität zwischen unterschiedlichen Technologien, was die Integration in bestehende Systeme erleichtert.“

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Welche Rolle spielen Normen und Standards generell, um den Markteintritt und die Verbreitung von Wasserstofftechnologien zu beschleunigen?
Eine ganz entscheidende. Normen und Standards gewährleisten Sicherheit und schaffen Vertrauen bei Investoren, Kunden und Verbrauchern, indem sie klare Anforderungen für Produktions- und Nutzungsprozesse festlegen. Außerdem fördern sie die Kompatibilität zwischen unterschiedlichen Technologien, was die Integration in bestehende Systeme erleichtert. Die Harmonisierung internationaler Standards baut Handelshemmnisse ab, was den globalen Marktzugang erleichtert. Standards setzen auch Qualitätsmaßstäbe, die Effizienz und Zuverlässigkeit erhöhen, und schaffen eine Grundlage für Innovationen. Darüber hinaus tragen sie zur Kostenreduktion bei, indem sie Skaleneffekte ermöglichen.

Die Normungsroadmap ist Teil der nationalen Wasserstoffstrategie Deutschlands. Helfen solche Leitplanken, um eine Vorreiterrolle im Bereich Wasserstofftechnologien einzunehmen?
Ja. Solche Leitplanken schaffen eine klare strategische Orientierung und legen Standards fest, die Sicherheit, Effizienz und Systemkompatibilität fördern. Dies erleichtert Investitionen und Innovationen, indem sie Unternehmen eine verlässliche Grundlage bieten. Durch solche Leitplanken können Marktwirtschaften, wie in diesem Fall Deutschland, technologische Entwicklungen beschleunigen und eine führende Position in der Wasserstoffwirtschaft aufbauen.

Wie Normen die Welt verbinden

Die Ursprünge von Normen reichen bis in die Antike zurück, als eigene Systeme für Maße und Gewichte entwickelt wurden, um Bauprojekte und Handel zu erleichtern. Diese frühen Standards spielten eine entscheidende Rolle bei der Steigerung der Effizienz in den jeweiligen Gesellschaften. Mit der industriellen Revolution im 18. und 19. Jahrhundert wurde die Standardisierung immer wichtiger. Um Industrie- und Handelspraktiken zu vereinheitlichen, entstanden Normen für Maschinen, Bauteile und Produktionsverfahren. Ein bemerkenswertes Beispiel dafür ist die Arbeit des britischen Ingenieurs Joseph Whitworth, der einheitliche Schraubengewinde-Standards einführte und dadurch die Fertigungsprozesse erheblich vereinfachte.

Weitere bekannte Beispiele

Schienennetz – Spurweite
Norm: Die Standard-Spurweite von 1.435 mm (Normalspur).
Erfolg: Diese Norm ermöglicht den grenzüberschreitenden Transport von Gütern und Passagieren, da Züge in vielen Ländern dieselbe Spurweite nutzen.

Container – ISO-Containergrößen
Norm: ISO 668 (z. B. 20-Fuß-Container und 40-Fuß-Container).
Erfolg: Einheitliche Containermaße haben die weltweite Logistik revolutioniert und den globalen Handel stark vereinfacht.

Feuerwehrschläuche – Kupplungen
Norm: Storz-Kupplungen (DIN 14301 und andere).
Erfolg: Diese Norm sorgt für den Austausch von Schläuchen und Pumpen über Ländergrenzen hinweg, besonders bei internationalen Katastropheneinsätzen.

Papier – DIN A4
Norm: ISO 216 (z. B. A4-Format).
Erfolg: Das standardisierte Papierformat erleichtert die Bürokommunikation und den Druck weltweit.

Paletten – Europalette
Norm: EPAL-Norm (1200 mm x 800 mm).
Erfolg: Die Europalette ermöglicht standardisierte Lagerung und Transport in der Logistik weltweit.

Stecker und Steckdosen – IEC 60309
Norm: Industriestecker für Stromanschlüsse.
Erfolg: Diese Norm sorgt für die Kompatibilität von Elektrogeräten und Infrastrukturen in der Industrie.

Telefonie – GSM
Norm: GSM (Global System for Mobile Communications, ETSI).
Erfolg: Diese Norm hat Mobiltelefonie weltweit standardisiert und den Weg für Smartphones geebnet.

„Internationale Standards ermöglichen einen schnelleren und kosteneffizienteren Marktzugang, da sie Anpassungen an länderspezifische Vorgaben minimieren.“

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Sie sprachen es bereits an: Müssten Normen und Standards gerade bei einer global wichtigen Technologie wie Wasserstoff nicht international gültig sein?
Ja, Normen und Standards sollten idealerweise international gültig sein. Sie erleichtern die globale Zusammenarbeit, verbessern die Kompatibilität von Technologien und reduzieren Handelsbarrieren. Internationale Standards ermöglichen einen schnelleren und kosteneffizienteren Marktzugang, da sie Anpassungen an länderspezifische Vorgaben minimieren. Eine solche Harmonisierung fördert außerdem den Wissenstransfer und unterstützt die weltweite Verbreitung von Wasserstoffinnovationen. Das ist entscheidend für den Erfolg der globalen Energiewende.

„Langfristig bietet die Normungsstrategie uns, aber natürlich auch allen Stakeholdern, Stabilität in einem sich schnell entwickelnden Markt.“

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Welche konkreten Vorteile erwarten Sie für die Motion Technology Company Schaeffler, die längst Komponenten für Wasserstoffanwendungen im Portfolio hat, durch eine einheitliche Normungsstrategie im Bereich Wasserstoff?
Von den oben genannten Vorteilen profitiert natürlich auch Schaeffler. Zudem minimieren wir durch die Einhaltung globaler Standards regulatorische Risiken und stärken unsere Reputation als Technologieführer. Davon profitieren nicht zuletzt auch unsere Kunden. Und in der Folge steigt die Kundenzufriedenheit. Standardisierte Prozesse fördern zudem die Effizienz der Lieferketten, erhöhen die Flexibilität und erleichtern die Integration oder den Wechsel von Lieferanten.

Langfristig bietet die Normungsstrategie uns, aber natürlich auch allen Stakeholdern, Stabilität in einem sich schnell entwickelnden Markt, sie unterstützt die Anpassung an technologische Veränderungen und Markttrends und hilft bei der Umsetzung nachhaltiger Praktiken.