Stadtgeschichten
1979 I HEUTE
Sheikh Zayed Road, Dubai (Vereinigte Arabische Emirate)
Der Ursprung der Sheikh Zayed Road geht weit in die Beduinenzeit zurück. Als alter Handelsweg genutzt und im Laufe der Jahrhunderte befestigt, wird hier 1979 mit dem 149 Meter hohen Turm des Dubai World Trade Centers das höchste Gebäude des Nahen Ostens eröffnet. Die wirtschaftlichen Erfolge Dubais spiegeln sich im einsetzenden Bauboom wider. Die regierenden Scheiche investieren ihre Petrodollars und stellen die Wirtschaft um: vom Öl zu Immobilien, Bau, Handel, Transport und Tourismus. Wolkenkratzer an Wolkenkratzer schießen an der inzwischen Sheikh Zayed Road genannten Hauptstraße aus dem Wüstenboden. Darunter der Burj Khalifa, mit 828 Metern derzeit das höchste Gebäude der Welt. Ein fahrerloses Metrosystem verbindet die Innenstadt mit Touristenmagneten und Flughafen. Die Wartehäuser der Buslinien sind vollklimatisiert. Übrigens: Keine fünf Prozent vom gesamten Bruttoinlandsprodukt des Emirates stammen heute vom Erdöl. Der Ursprung für diesen Reichtum ist eine einfache Handelsstraße im Sand …
1919 I HEUTE
Times Sqare, New York (USA)
Um 1900 – New York hat schon 3,4 Millionen Einwohner – heißt die Kreuzung von Broadway und 7th Avenue noch Longacre und ist die Heimat von Kutschenmonteuren und Pferdestallungen. Erst mit dem Bau des Verlagsgebäudes der berühmten „New York Times“ 1904 wird der frequentierte Platz zum Times Square und bekommt eine Haltestelle der im selben Jahr eingeweihten Metro. Oberirdisch tummeln sich Autos, Laster, Straßenbahnen – und bis nach dem Ende des Ersten Weltkriegs auch noch Kutschen, wie im Hintergrund des Fotos rechts oben zu sehen ist. Früh siedeln sich am Times Square Theater, Bars und elegante Hotels an. Dazu passend beginnt die Tradition der großen, bunten Reklametafeln. Mit dem Siegeszug des Fernsehers bleiben die Zuschauer in den Theatern und Musicals aber zwischenzeitlich aus. Pornokinos und Strip-Schuppen breiten sich aus. 1976 erklärt die New Yorker Polizei den Times Square zur gefährlichsten Gegend der Stadt. Ab Mitte der 1980er-Jahre wird die Gegend „entmüllt“, Investoren werden angelockt. Unternehmen wie MTV, Sony und der Condé Nast Verlag ziehen ein, traditionsreiche Hotels eröffnen wieder und locken Einheimische wie Touristen aus aller Welt an. Auf dem Foto deutlich zu sehen: Fußgängern wird heute deutlich mehr Raum zugestanden als Autofahrern. Wie schnell Wandel mitunter sein kann, zeigt auch Formel-E-Champion Lucas di Grassi in einem Instagram-Post.
1900 I HEUTE
Champs-Elyssées, Paris (Frankreich)
Die weltberühmte Allee in der französischen Hauptstadt geht auf Ludwig XIV. zurück, der 1667 den ersten Abschnitt der damals „Grand-Cours“ genannten Champs-Élysées anlegt. Auf dem Bild von 1900 gut zu erkennen: Die Prachtmeile ist ein Laufsteg von echtem und Geldadel. Die feinen Herrschaften lassen sich mit ihren Pferdegespannen über den 1.910 Meter langen, 70 Meter breiten und ansonsten sehr „verkehrsberuhigten“ Champs-Élysées kutschieren. In den folgenden Jahrzehnten demokratisiert sich die Mobilität immer mehr – zwischen Place de la Concorde und Arc de Triomphe ebenso wie überall in der westlichen Welt. Das Auto wird nach dem Zweiten Weltkrieg zum Verkehrsmittel der Massen und flutet die Städte – auch die Champs-Élysées. Wie in vielen anderen Metropolen der Welt wandelt sich das Bild aber wieder: Die astronomisch hohen Mieten in Citylagen können sich nur noch Reiche leisten. Durchschnittsverdiener müssen immer weiter rausziehen. In Städten wie Paris und London pendeln Durchschnittsverdiener bereits täglich zwei Stunden zum Arbeitsplatz. Natürlich nicht mit dem eigenen Autos. City-Mauts, Parkplatzverknappungen und Durchfahrtsverbote (die Champs-Élysées sind seit Mai 2016 jeden ersten Sonntag im Monat für motorisierte Fahrzeuge gesperrt) vertreiben Otto Normalfahrer wieder aus den Innenstädten.
1936 I HEUTE
Tokyo-Eki, Tokio (Japan)
1868 wird die damalige 600.000-Einwohner-Stadt Tokio Sitz des Kaisers und Hauptstadt Japans – Startschuss für eine Bevölkerungsexplosion. Bis zum Ersten Weltkrieg wohnen zwei Millionen Menschen in Tokio, drei weitere Jahrzehnte später sind es bereits 6,5 Millionen. Die Infrastruktur muss mitwachsen. Ein Schwerpunkt: der Bahnverkehr. Heute besitzt die Metropolregion Tokio-Yokohama das dichteste und meistgenutzte urbane Eisenbahnnetz der Welt. Die imposanteste Station: der Hauptbahnhof, auf Japanisch Tokyo-eki. Anfang des 20. Jahrhunderts wird Franz Blatzer mit dessen Planung beauftragt. Doch die Ideen des deutschen Ingenieurs, der bereits am Bau des Berliner Eisenbahnnetzes mitgewirkt und japanische Architektur studiert hat, sind den Verantwortlichen zu – japanisch. Stattdessen wird ein dem Amsterdamer Bahnhof ähnelnder Neobarockbau des japanischen Architekten Tatsuno Kingo realisiert. 1914 wird Japans damals modernster Bahnhof eingeweiht. Neben den beiden Kuppelgebäuden fällt vor allem der große Platz vor dem Bahnhof auf. Im Krieg fast vollständig zerstört, wird der Bahnhof nach Kriegsende Stück für Stück wiederaufgebaut. Seit 2012 ist er wieder ganz der Alte – allerdings in einem komplett gewandelten Umfeld.
Der Bahnhof Tokio liegt zwischen Kaiserpalast und dem Geschäfts- und Vergnügungsviertel Ginza. Bis 2012 in den Originalzustand von 1914 versetzt und nachträglich erdbebensicher gemacht, erinnert der Bahnhof heute zwischen Wolkenkratzern an weniger hektische Zeiten. Dabei ist er nach wie vor einer der Verkehrsknotenpunkte von Tokio-Yokohama, der mit 38 Millionen Einwohnern am stärksten besiedelten Metropolregion der Welt. Zehn Bahnsteige des Schnellzugs Shinkansen treffen auf ebenfalls zehn Gleise der japanischen Regionalbahn JR-East sowie auf zwei Linien der Tokyo Metro.
1924 I HEUTE
Potsdamer Platz, Berlin (Deutschland)
Im 17. Jahrhundert noch ein Handelsposten außerhalb der Berliner Zollmauer, steigt die Relevanz des Potsdamer Platzes ab 1838 mit dem ersten Bahnhof. Im späten 19. Jahrhundert ist der Potsdamer Platz ein Zentrum des Handels und der Kultur. Von 1920 bis 1930 ist er der geschäftigste Platz in Europa, das größte Kaufhaus und das größte Restaurant der Welt befinden sich hier. Ab 1924 versucht man mit der ersten Ampel Deutschlands das Chaos aus Straßenbahnen, Autos, Kutschen, Radlern und Fußgängern zu regeln – mehr oder weniger erfolglos. Deshalb soll der Platz umgebaut, die Fußgänger sollen durch Unterführungen geschleust werden. Wirtschaftskrise und Krieg verhindern das. Von 1945 bis 1989 verläuft die innerdeutsche Grenze mitten durch Berlin und den vollständig abgerissenen Potsdamer Platz. In den 1990er-Jahren ist das Areal eine der größten Baustellen Europas. Zum Millenniumswechsel pulsiert das Leben wieder im alten und neuen Herzen Berlins. Urbaner Wandel im Zeitraffer.