Mitten ins Hertz
50 respektive 60 Hertz-Schläge in der Sekunde.
Das ist die magische Frequenz, mit der weltweit Wechselstrom durch die Netze pulsiert. Schon ein Unterschreiten der Frequenz um ein Prozent durch zu geringe Einspeisung führt zu Problemen, und Großverbraucher werden zwangsweise abgeschaltet.
Am schnellsten und effektivsten legt man eine Gesellschaft lahm, wenn man das Stromnetz abschaltet
Marc Elsberg, Autor des Romans „Blackout“
Auch zu hohe Werte durch ein Überangebot an Strom sind gefährlich: Synchronmotoren und netzgetaktete Uhren laufen zu schnell, Kraftwerke, Windräder und Solaranlagen werden vom Netz genommen und Pumpspeicherwerke schieben gewaltige Wassermassen bergauf in Stauseen, um die überschüssige Energie zwischenzulagern. Die Stromnetze bedürfen ständiger Regelung, damit sie reibungslos funktionieren.
007-Cyberattacken
Im Roman „Blackout“ von 2012 bringen Hacker dieses sensible Gleichgewicht aus dem Lot.
Sie manipulieren intelligente Stromzähler und lassen so die Stromversorgung zusammenbrechen. Reine Fiktion? Mitnichten, sagen Fachleute wie Linus Neumann vom Chaos Computer Club. Die intelligenten Zähler seien nur schwer gegen Angriffe zu schützen.
Dass der Roman realistisch ist, habe ich von mehreren Stellen bestätigt bekommen.
Marc Elsberg, Autor des Romans „Blackout“
So dringen im Dezember 2016 Hacker in die Systeme ukrainischer Energieversorger ein und legen das Stromnetz für Stunden lahm. Deren Schadprogramme lassen Maschinen überhitzen, bringen Leitungen zum Schmelzen, deaktivieren 27 Umspannstationen. Die Schadensbehebung dauert Monate. Dass solche Angriffe auch von fremden Staaten gesteuert werden, ist längst kein Geheimnis mehr. Cyberattacken im Staatsdienst. Allein die Androhung, Versorgungsnetze kollabieren lassen zu können, ist „die Kanonenboot-Diplomatie des 21. Jahrhunderts“, sagt Robert M. Chesney, Digitalrechtsexperte an der Universität von Texas, in der „New York Times“. Im Fokus der Angreifer stehen dabei nicht nur die Supermächte China, Russland und die USA, sondern auch Strom-Transitländer wie Deutschland.
Die Dezentralisierung der Versorgungsnetze durch die Energiewende spielt den Hackern in die Karten. Je mehr Mitspieler am Tisch sitzen, desto mehr IT-Schwachstellen gibt es. Und da alles mit allem vernetzt ist, kann das schwächste Glied alles zum Zusammenbrechen bringen.
Achillesferse Verbundsystem
Es braucht aber nicht zwangsläufig kriminelle Energie, um die Netze lahmzulegen.
1989 überlastet ein Sonnensturm Überlandleitungen in der kanadischen Provinz Québec. Lokale Probleme wachsen dann schnell an. Das zeigt das jüngste Beispiel in Südamerika. Binnen Minuten waren im Juni 2019 Uruguay, Argentinien sowie Teile von Brasilien und Chile ohne Strom – und damit fast 50 Millionen Menschen. Ursache: vermutlich ein Unwetter. Das große Ganze, das globale Zusammenspiel von Kraftwerken, Netzen und Verbrauchern, ist die Achillesferse jeder Energieversorgung.
Krankenhäuser, Rettungsleitstellen oder Zivilschutzeinrichtungen haben für Katastrophenfälle Insellösungen in Form von Notstromaggregaten. Längere Ausfälle wären dennoch kaum zu überbrücken, weil Dieseltreibstoff nach ein paar Tagen knapp werden würde – nur die allerwenigsten Tankstellen haben Generatoren für die elektrischen Pumpen ihrer Zapfanlagen.
Verkehr kollabiert
Bei einem Stromausfall käme auch der Verkehr bald zum Erliegen.
Zuerst würde der Luftverkehr eingestellt – eigentlich alles auf einem Flughafen hängt an der Stromversorgung. Auch der Bahnverkehr stünde nach kurzer Zeit still. Selbst dieselbetriebene Züge stranden, weil Weichen und Signale elektrisch gesteuert werden. Kaum besser sähe es auf den Straßen aus. Ampeln, Verkehrsleitsysteme oder Schranken in Parkhäusern benötigen Strom. Ebenso wie die wachsende Zahl an Elektroautos.
Alles hängt vom Strom ab
Marc Elsberg, Autor des Romans „Blackout“
Aber auch Verbrenner könnten nicht tanken, da keine Zapfsäule mehr arbeitet. Der Schiffsverkehr liefe noch einige Zeit, denn Ozeanriesen sind schwimmende Kraftwerke, die sich selbst mit Strom versorgen. Doch ohne Funkkontakt und Radar wird das Anlegen in engen Häfen zum Ritt auf der Rasierklinge. Apropos Funk: Auch die Netze für Mobiltelefone würden ausfallen, ebenso hängen Telefonanlagen und Vermittlungsstellen im Festnetz am Stromnetz.
Kein Essen, kein Internet
Ist der Strom weg, müssten Supermärkte nach Ausfall ihrer Kühltechnik verdorbene Lebensmittel entsorgen.
Warenwirtschaft und digitale Bezahlsysteme an Kassenterminals blieben tot. Die Polizei müsste Einkaufszentren vor Plünderern schützen. Zivilschützer empfehlen deshalb, stets haltbare Nahrungsmittel und Trinkwasser für mindestens 14 Tage zu bevorraten. Sogenannte Prepper legen gar Jahresvorräte an.
Ich habe Lebensmittel und Wasser für etwa zehn Tage, dazu Streichhölzer, Taschenlampe, aufkurbelbares Radio – mehr nicht
Marc Elsberg, Autor des Romans „Blackout“
Auch in den eigenen vier Wänden würde es bald ungemütlich. Herd, Kühlschrank, Telefon, Computer, Internet und Fernsehen fielen aus, die Haustechnik mit elektrischen Rollläden, Lüftungsanlage oder Wärmepumpe bliebe tot. Selbst die Besitzer konventioneller Heizungen säßen bald in der Kälte, denn Öl- und Gasbrenner zünden ihre Flamme etwa sechsmal pro Stunde mit Haushaltsstrom.
Das Internet sollte einst robust genug sein, um einen Atomkrieg zu überstehen, ein globaler Stromausfall aber würde die meisten Rechenzentren stilllegen. Auch in der Industrie gäbe es vielerorts Probleme. Gerade einmal 17 Millisekunden kann ein PC nach ATX-Standard ohne Strom auskommen, bevor er erste Daten verliert.
Was tun?
Kurzum: Ohne Strom geht auf unserem Planeten sprichwörtlich das Licht aus – und nicht nur das.
Um Blackouts zu verhindern, bedarf es einiger Anstrengungen. Es braucht ausreichende Erzeugungs- und Verteilungskapazitäten, aber auch Speichermöglichkeiten für beispielsweise regenerativ erzeugten, aber nicht genutzten Strom. An diesen industriell nutzbaren Großspeichern sowie der Umwandlung überschüssigen Stroms in beispielsweise Wasserstoff arbeitet unter anderem der Automobil- und Industriezulieferer Schaeffler in diversen Projekten.
Darüber hinaus müssen belastbare Regelmechanismen geschaffen werden, die eingreifen, wenn Stromangebot und -nachfrage divergieren, und eine IT, die gegen Eingriffe Dritter geschützt ist. Wenig beruhigend, wenn Experten insbesondere bei Letzterem erhebliche Defizite ausmachen: „Erschreckend zu sehen, dass die [IT] in einem so desolaten Zustand ist“, mahnte beispielsweise IT-Berater Tim Philipp Schäfers unlängst in der ZDF-Sendung „planet e“. Linus Neumann vom Chaos Computer Club regt an, dass Energieversorger für Schäden durch Manipulation haftbar gemacht werden können. Solch drohende Milliardenforderungen sollen zur bestmöglichen Absicherung der Systeme motivieren.
Egal ob Daten- oder Stromnetze der Versorger – mehr Sicherheit ist technisch umsetzbar. Dem Verbraucher muss jedoch auch klar sein: Dieses Mehr an Sicherheit gibt es nicht zum Nulltarif. Aber ein Stich mitten ins „Hertz“ in Form eines Blackouts dürfte deutlich teurer sein.
12 spektakuläre Blackouts
Marc Elsberg
Das ganze Interview mit Marc Elsberg
Marc Elsberg wird 1967 in Wien geboren. Er studiert Industriedesign, wird Grafiker bei einer Werbeagentur. Nach und nach entdeckt er seine Leidenschaft fürs Schreiben, wird Werbetexter, Strategieberater und Kreativdirektor für Werbung in Wien und Hamburg sowie Kolumnist der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“. Mit seinem internationalen Bestseller „Blackout – morgen ist es zu spät“ gelingt ihm der Durchbruch als Autor. Heute lebt und arbeitet Marc Elsberg in Wien. Es folgt der Science-Thriller „Zero – sie wissen, was du tust“. Beide Thriller werden von „bild der wissenschaft“ als Wissensbuch des Jahres in der Rubrik Unterhaltung ausgezeichnet. Marc Elsberg ist heute ein gefragter Gesprächspartner von Politik und Wirtschaft.