Neue Welten

Von Carsten Paulun
In den Tiefen des Ozeans, den Weiten des Himmels oder der Endlosigkeit der Wüste – im Laufe der Jahrtausende haben sich immer wieder mutige Menschen auf den Weg gemacht, Neues zu entdecken. Viele dieser Herausforderungen wurden nur dank technischer Hilfsmittel bewältigt.

Schiff, Sextant und Kompass...

Schiff, Sextant und Kompass…

Welche Inseln, Völker, Kontinente würden ohne technische Hilfen noch heute unentdeckt sein? Vermutlich recht viele. Auch wenn die Besiedlung unseres Planeten vor etwa 125.000 Jahren von Afrika aus zu Fuß begann – erst das Schiff schweißte die Puzzleteile der Erde Jahrtausende später zusammen. Mit ihm gelang es, die Welt zu erkunden. Die Wikinger gelangten bereits im 9. Jahrhundert dank ihrer Langschiffe über die Wolga weit in den Osten bis in das Kaspische Meer. Leif Eriksson erkundete von Island aus über Grönland die Küstengebiete im heutigen Kanada und gilt inzwischen als der eigentliche Entdecker Nordamerikas – gute 500 Jahre vor Christoph Kolumbus. Zur Navigation auf dem offenen Meer haben sich alle Seefahrer an den Sternen und dem Sonnenstand orientiert. Die Wikinger, darunter auch Leif Eriksson, konnten dank eines technischen Hilfsmittels auch bei Dämmerung und Nebel zuverlässig navigieren. Sie nutzten einen Kristall, den sie Sonnenstein nannten.

Erste Seefahrer vor 62.000 Jahren

Noch viel früher – etwa um 60.000 vor Christus – haben sich die ersten Menschen auf das offene Meer getraut. Bei der Besiedlung Australiens müssen sie einen etwa 100 Kilometer breiten Ozean bei der heutigen Straße von Makassar überquert haben. Dass die Besiedlung Polynesiens aus Südamerika erfolgte, wie Thor Heyerdahl 1947 mit seiner Fahrt auf dem legendären Floß „Kon-Tiki“ beweisen wollte, gilt heute als widerlegt. Zumindest gelten die Polynesier als die Entdecker der Astronavigation. Es waren das Schiff, der Sextant und der Kompass, die die Entdeckungen der Welt erst möglich machten.

11.000 Meter tief, 384.400 Kilometer hoch

James Cook, der große Entdecker und Kartograf des 18. Jahrhunderts, hat mit ihrer Hilfe auf seinen drei Weltreisen nahezu alle weißen Flecken getilgt. Jacques Piccard wagte sich 1960 in dem Tiefseetauchboot „Trieste“ fast 11.000 Meter tief ins Meer hinab, Neil Armstrong betrat 1969 als erster Mensch den Mond. Hingebracht – und zum Glück auch wieder zurück – hat ihn übrigens auch ein Schiff, ein Raumschiff.

95 Prozent der Ozeane unerforscht

Doch Terra incognita, das unbekannte Land, gibt es noch immer. Bei all dem Entdecker- und Forscherdrang wissen wir über unseren eigenen Planeten fast nichts – trotz modernster Technik. Nur fünf Prozent der Ozeane gelten als erforscht. Experten schätzen, dass wir trotz modernster Hilfsmittel noch nicht einmal zehn Prozent aller Lebewesen entdeckt haben. Weite Teile Afrikas, der Wiege der Menschheit, der Arktis und der Antarktis wurden bisher nur von Satelliten aus fotografiert. In den Urwäldern Südamerikas dringen selbst heute noch Forscher in bisher unbekanntes Gebiet vor und entdecken Völker, die noch nie zuvor Kontakt zu ihrer Außenwelt hatten.

Neil Armstrong

20.07.1969

© Manuela Mrohs, Ivo Christov, Mariessa Rose
Neue Welten© Manuela Mrohs, Ivo Christov, Mariessa Rose
Neil Armstrong 20.07.1969

Ziel
Erster Mensch auf dem Mond.

Herausforderung
Komplexe, vorher nicht zu testende Weltraummanöver.

Innovationen
Hightech-Dreierpack bringt Astronauten auf den Mond: Saturn-V-Rakete (38.800 km/h), Columbia-Kommandokapsel (hitzebeständig bis 2.726 Grad) und Mondlandefähre LM-5 (Leichtbau, um beim Wiederaufstieg auf 6.480 km/h zu beschleunigen). Der „Apollo Guidance Computer“ (AGC) steuert die Raumfahrzeuge automatisch. AGC gilt als Vorläufer der Fly-by-wire-Systeme moderner Luftfahrzeuge.

Besonderheit
Aus heutiger Sicht ist AGC eine lahme Ente: Smartphones haben eine 10.000-mal höhere Rechenleistung.

Fridtjof Nansen

15.08.–03.10.1888

© Manuela Mrohs, Ivo Christov, Mariessa Rose
Neue Welten© Manuela Mrohs, Ivo Christov, Mariessa Rose
Fridtjof Nansen
15.08.–03.10.1888

Ziel
Durchquerung Grönlands.

Herausforderung
Temperaturen bis minus 46 Grad, unerforschtes Gebiet mit Anstiegen auf über 2.700 Meter.

Innovationen
Nansen erfindet die mehrlagige Funktionskleidung nach dem Zwiebelprinzip und den Nansenschlitten, der auch mit  über 100 Kilo Gepäck leicht zu ziehen ist.

Besonderheit
Nansen studiert Zoologie, verfasst seine Doktorarbeit über das Zentralnervensystem wirbelloser Meerestiere, die Grundlagen der modernen Neurologie liefert. Er setzt sich für die Unabhängigkeit Norwegens ein, wird Völkerbundkommissar.

Leif Eriksson

Jahreswende 999/1000

© Manuela Mrohs, Ivo Christov, Mariessa Rose
Neue Welten© Manuela Mrohs, Ivo Christov, Mariessa Rose
Leif Eriksson
Jahreswende 999/1000

Ziel
Neue Inseln westlich von Grönland erkunden.

Herausforderung
Vordringen in unbekannte Gebiete, Navigation ohne Sonnenlicht.

Innovationen
Spezieller Doppelspat-Kristall zur Navigation bei schlechter Sicht; die bis zu 30 Meter messenden Langboote sind hochseetauglich, aber dank niedrigem Tiefgang auch für Flüsse bestens geeignet.

Besonderheit
Zu den Landstrichen und Inseln, die Leif Eriksson entdeckt und erforscht, gehört auch Helluland, die heutige kanadische Baffininsel. Damit gilt der Wikinger Eriksson als der eigentliche Entdecker Nordamerikas.

Thor Heyerdahl

28.04.–07.08.1947

© Manuela Mrohs, Ivo Christov, Mariessa Rose
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Thor Heyerdahl
28.04.–07.08.1947

Ziel
Der Norweger Thor Heyerdahl will beweisen, dass die Besiedlung Polynesiens aus Südamerika und nicht aus Asien erfolgte.

Herausforderung
Hält ein mit den Mitteln der Inkas gebautes Floß eine 6.980 Kilometer lange Fahrt über den Pazifik aus?

Innovationen
Heute archaisch, vor über 3.000 Jahren innovativ: hochseetaugliche Inka-Flöße mit Beseglung, Schwertern zur Stabilisierung und Hüttenbehausung. Maße der nachgebauten „Kon-Tiki“: 13,7 m lang, 5,5 m breit. Dank 25-m2-Segel, Humboldtstrom und Passatwind erreicht die „Kon-Tiki“ im Schnitt 2,8 km/h.

Besonderheit
Klassisch schlägt modern: Heyerdahl verbindet die Balsaholzstämme mit Hanf, weil die von Experten empfohlenen Stahlseile die weichen Hölzer zerschnitten hätten.

Georges-Marie Haardt

17.12.1922–07.01.1923

© Manuela Mrohs, Ivo Christov, Mariessa Rose
Neue Welten© Manuela Mrohs, Ivo Christov, Mariessa Rose
Georges-Marie Haardt 17.12.1922–07.01.1923

Ziel
Eine Autoverbindung zwischen Algerien und den Ländern südlich der Sahara.

Herausforderung
Technik vs. Natur: Anfang der 1920er-Jahre möchte André Citroën beweisen, dass seine Autos in die entlegensten Winkel der Welt vordringen können.

Innovationen
Citroën-Generaldirektor Georges-Marie Haardt rüstet Fahrzeuge mit einem Kettenantrieb an den Hinterachsen aus. Mit 30 PS und 45 km/h Höchstgeschwindigkeit meistert er die unerforschte Wüste. Auf der Straße verschleißen die Ketten aber schnell.

Besonderheit
Bereits 1924 durchquert Konkurrent Renault die Sahara kettenlos mit dreiachsigen Lkw.

Roald Amundsen

14.12.1911

© Manuela Mrohs, Ivo Christov, Mariessa Rose
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Roald Amundsen 14.12.1911

Ziel
Erster Mensch am Südpol.

Herausforderung
1.400 Kilometer Eiswüste überwinden, Verfolger Robert Scott im Nacken.

Innovationen
Der Wettlauf beweist, dass Technik nur hilft, wenn sie ausgereift ist: Scotts Motorschlitten kollabieren in der Kälte (minus 34 Grad), bevor es losgeht. Amundsen setzt auf Hundeschlitten, ist besser vorbereitet und hat die bessere Route.

Besonderheit
Amundsens Schiff „Fram“ ist so konstruiert, dass es vom Packeis hoch- und nicht zerdrückt wird. Amundsen navigiert zielgenau mit Sextant. Später stellt sich heraus, dass er den tatsächlichen Südpol nur um 200 Meter verfehlt hat.

Zheng He

1404–1407

© Manuela Mrohs, Ivo Christov, Mariessa Rose
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Zheng He
1404–1407

Ziel
Indische, persische und arabische Handelshäfen.

Herausforderung
Den Einflussbereich Chinas ausdehnen.

Innovationen
Bau der damals größten Flotte der Welt. Von 1404 bis 1407 lässt der Eunuchen-Admiral Zheng He in sieben Trockendocks mehr als 500 Schiffe fertigen – 500 Jahre bevor die Europäer das Trockendock „erfinden“. Die größten Schiffe tragen bis zu neun Masten und sind 84 Meter lang.

Besonderheit
Zur Kurseinhaltung auf seinen insgesamt sieben Fahrten nutzt Zheng He einen magnetischen Kompass, seine Schiffe verfügen schon über wasserdichte Schotten und bleiben so bei einer Beschädigung des Rumpfes schwimmfähig.

Joseph Kittinger

16.08.1960

© Manuela Mrohs, Ivo Christov, Mariessa Rose
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Joseph Kittinger 16.08.1960

Ziel
Erprobung eines neuen Rettungssystems aus großen Höhen.

Herausforderung
Vordringen in die Stratosphäre, minus 60 Grad, kaum Sauerstoff, der niedrige Druck verwandelt Körperflüssigkeiten in Gase.

Innovationen
Ein druckfester Anzug, Kittingers Ballons führen die Druckkammer in die Raumfahrt ein.

Besonderheit
Mit seinem dritten Stratosphären-Sprung stellt Kittinger vier Weltrekorde auf: höchste Ballonfahrt (31.333 Meter), längster freier Fall (16 Kilometer), höchste Geschwindigkeit eines Menschen ohne Schutzhülle (988 km/h) und längster Fallschirmsprung (9:09 Minuten). Drei der Rekorde bricht erst Felix Baumgartner bei seinem Sprung 2012. Berater Baumgartners: Joseph Kittinger.

James Cook

1768–1771

© Manuela Mrohs, Ivo Christov, Mariessa Rose
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James Cook
1768–1771

Ziel
Wissenschaftler und ihre wertvollen Instrumente für astronomische Beobachtungen nach Tahiti bringen, Erforschung des Ozeans südlich des 40. Breitengrads, „Terra Australis“ (Australien) finden.

Herausforderung
Vorstoß mit einem relativ kleinen Schiff in unbekannte Gebiete und sie kartografieren.

Innovationen
Cook identifiziert Vitamin-C-haltige Lebensmittel als bestes Mittel gegen den todbringenden Skorbut. Ab 1795 sind Zitrusfrüchte Pflicht auf allen Schiffen.

Besonderheit
Cooks „Endeavour“ ist eine geräumige Bark (39,7 m lang, 70 Mann Besatzung). Der abgeflachte Rumpf ermöglicht es, das Schiff auf Sandbänken trockenfallen zu lassen, um es bei Ebbe reparieren zu können.

Jacques Piccard

23.01.1960

© Manuela Mrohs, Ivo Christov, Mariessa Rose
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Jacques Piccard 23.01.1960

Ziel
Tieftauchrekord (11.000 Meter) aufstellen.

Herausforderung
In dieser Tiefe herrscht ein Druck von 1.100 kg/cm2  – ein VW Polo auf einem Daumennagel.

Innovationen
Piccards U-Boot „Trieste“ kann ursprünglich nur rund 6.000 Meter tief tauchen. Eine neue Druckkörperkugel (Bathysphäre) mit 13 cm dicken Wänden erlaubt 11.000 Meter. Zum Vergleich: 1934 schaffte die erste Bathysphäre gerade einmal 923 Meter. Piccards Rekordtiefe: 10.916 Meter.

Besonderheit
Piccards Vater Auguste ist 1931 als erster Mensch mit dem Ballon in die Stratosphäre aufgestiegen. Piccards Sohn Bertrand hat die Erde jeweils mit einem Ballon und einem Solarflugzeug umrundet. Filmfans munkeln, dass Jean-Luc Picard, Captain des Star-Trek-Raumschiffs USS Enterprise, seinen Namen zu Ehren der Piccards bekommen hat.