Schnauze voll
Ein Delfin, dessen Maul randvoll gefüllt ist mit achtlos weggeworfenen Plastikflaschen und -tüten, mit Einmalgeschirr und Folien. Darüber der Satz: „Wir haben die Schnauze voll“. Treffender als dieses Motiv, mit dem der WWF (World Wildlife Fund) derzeit plakativ auf die weltweit zunehmende Vermüllung der Meere aufmerksam macht, kann die Situation der Ozeane und seiner Bewohner kaum beschrieben werden.
Wobei das Problem für Meeresbewohner wie Delfine, Schildkröten oder Seevögel – und am Ende auch für uns Menschen – eigentlich ein viel gefährlicheres ist: Schätzungen zufolge bestehen rund 70 Prozent der gewaltigen Plastikmengen in den Meeren nämlich gar nicht aus großen herumtreibenden Plastikelementen, sondern aus Mikroplastik. Kleinste Partikel gelangen schon als Beigaben von Peeling- und Duschgel sowie Zahnpasta in die Meere. Andere entstehen durch Abrieb, UV-Strahlung und die ständige Meeresströmung, die große Plastikteile in Mikroplastik zersetzen und zermahlen. Ein Teil dieser Kleinstpartikel sinkt auf den Meeresgrund der Tiefsee, von wo es aller Voraussicht nach nie wieder gehoben werden kann. Ein anderer Teil wird von den Meeresbewohnern gefressen und landet so auch irgendwann in unseren Mägen. Früher war die Verpackung um den Fisch, heute essen wir sie mit.
Zahlen und Fakten
Vermeiden & aufklären
Jeder kann und sollte mithelfen, nicht noch mehr Plastikmüll zu produzieren. Die internationale Wanderausstellung „Ocean Plastics Lab“ will die Aufmerksamkeit für die Plastikmüll-Problematik in der Gesellschaft schärfen. Projekt-Koordinatorin Dr. Julia Schnetzer zählt einige vermeintlich kleine, aber effiziente Verhaltensweisen auf, wie Verbraucher sich an der Eindämmung von Plastikmüll beteiligen können: „Erstens: Beim Einkaufen darauf achten, Plastikverpackungen zu vermeiden, beziehungsweise generell weniger konsumieren. Zweitens den eigenen Müll so entsorgen, dass er besser recycelt werden kann. Und drittens weniger Kleidung aus synthetischen Materialien wie Fleece tragen. Denn bei jedem Waschgang geraten Mikrofasern ins Abwasser, die von vielen Kläranlagen nicht herausgefiltert werden können oder als Klärschlamm auf den Feldern landen.“
Insgesamt versprechen sich Umweltexperten von einem Umdenken und veränderten Verhaltensweisen der Verbraucher den größten Effekt auf die Eindämmung der Plastikflut. Der generelle Verzicht auf Produkte in Plastikverpackungen gehört laut Greenpeace ebenso dazu wie beispielsweise der Einsatz von Mehrwegverpackungen und wiederverwendbarem Geschirr bei Veranstaltungen. Um dieses Umdenken zu erreichen, ist jedoch noch viel Aufklärung notwendig. Gerade in Ländern wie Indonesien, Vietnam oder China, aus denen besonders viel Müll in die Meere gelangt, mangelt es oftmals an Wissen und entsprechender Technik.
Das zu ändern hat sich beispielsweise die deutsche Meeresbiologin Dr. Mareike Huhn zur Aufgabe gemacht: Seit fünf Jahren setzt sie sich auf den indonesischen Banda-Inseln persönlich für die Aufklärung der Bevölkerung in Sachen Müllentsorgung ein. Mit ihrem Verein „Banda Sea“ hat sie nicht nur eine Art Müllabfuhr etabliert, sondern erteilt den Einheimischen auch Unterricht in puncto Umweltbildung. Denn die Bewohner der idyllischen Gewürzinseln müssen dringend umdenken. Seit Jahrhunderten seien sie es gewohnt, ihren – früher noch ökologisch abbaubaren – Müll im Meer zu entsorgen, so die engagierte Deutsche. Dass ein solches Verhalten im Zeitalter von Plastikverpackungen problematisch ist, liegt auf der Hand.
Säubern & sammeln
Damit die Ozeane nicht am Plastikmüll ersticken, leisten große und kleine Initiativen und Organisationen auf der ganzen Welt Erste Hilfe. Während die einen nach Möglichkeiten suchen, Plastikteile mittels innovativer Technik im großen Stil von der Meeresoberfläche abzufischen, befreien andere die Strände von liegen gelassenen Plastikflaschen und angeschwemmten Plastiksandalen in mühevoller, aber durchaus effizienter Handarbeit.
Zu den bekanntesten und ambitioniertesten Meeressäuberungsprojekten gehören „The Ocean Cleanup“ und „Pacific Garbage Screening (PGS)“. Initiator von „The Ocean Cleanup“ ist der 24-jährige Niederländer Boyan Slat, der bereits als Schüler von den riesigen Müllmengen, auf die er beim Schnorcheln vor der griechischen Küste stieß, geschockt war. Seine Idee: Müll, der in den oberen fünf Metern der Wasseroberfläche schwimmt, soll mithilfe von v-förmig angeordneten, schwimmenden „Armen“ eingesammelt, von einer am Meeresboden fixierten Plattform angesogen und anschließend recycelt werden. Dabei will sich der maritime Müllschlucker die Strömungen der Ozeanstrudel zunutze machen, die den Müll in die „Fangarme“ treiben. Erste „Feld“-Versuche im Pazifik sind im vergangenen Herbst aus technischen Gründen gescheitert, derzeit wird das System überarbeitet.
Noch in der Entwicklungs- beziehungsweise Finanzierungsphase befindet sich das als 400 mal 400 Meter große Müllsammel-Station geplante Projekt „Pacific Garbage Screening“, das die Aachener Studentin Marcella Hansch erdacht hat. „PGS ist als schwimmende Plattform konzipiert, die direkt im Müllstrudel verankert wird. Das Beste an ihr: Sie funktioniert ohne Netze und Filter. Fische und andere Meeresbewohner können also gefahrlos hindurchschwimmen“, erläutert sie ihre Idee. Die Arbeitsweise von PGS: Die Plattform soll die wilden Strömungen im Müllstrudel beruhigen, sodass die leichten Mikropartikel an die Oberfläche aufsteigen und dort abgeschöpft werden können. Auch über die Verwendung des gesammelten Plastikmülls haben sie und ihr Team schon nachgedacht. „Wir wollen das Plastik nicht einfach verbrennen, sondern als Ressource nutzen, um daraus beispielsweise Energie und biologisch abbaubaren Kunststoff zu gewinnen“, so Hansch.
Echte Handarbeit dagegen leistet die Organisation „4Ocean“ von Andrew Cooper und Alex Schulze. Wie viele andere wurden auch die aus Florida stammenden Surfer durch eigene Erfahrungen mit im Meer treibendem Müll zu Umweltaktivisten. Mit ihrer erst vor zwei Jahren gegründeten Organisation animieren sie inzwischen weltweit rund 150 freiwillige Helfer zu Aufräumaktionen: Sogenannte „Cleanup crews“ sammeln an Küsten und Stränden per Hand Plastikmüll ein. Finanziert wird das Projekt aus dem Verkauf von stylischen Armbändern, die aus recyceltem Plastikmüll gefertigt werden. Laut eigenen Angaben wurden bisher über zwei Millionen Kilo Plastikabfall eingesammelt.
Die sicherlich spektakulärste Müllsammelaktion jedoch begann im Oktober 2015 in Indien. Sie zeigt, welche enormen Auswirkungen die Initiative eines Einzelnen haben kann. Zunächst im Alleingang begann der Anwalt Afroz Shah, am Versova-Strand in Mumbai den herumliegenden Plastikmüll einzusammeln. Gemeinsam mit Tausenden Freiwilligen, die sich ihm anschlossen, hat er den Strand im Laufe von drei Jahren komplett gesäubert. Inzwischen kann man sogar den Sand wieder sehen, der zu Beginn der Aktion komplett unter Bergen von angeschwemmtem Plastikmüll verschwunden war.
Recyceln & verarbeiten
Selbstverständlich kann nicht sämtlicher Plastikmüll aus dem Meer zu modischem Armschmuck recycelt werden. Und auch nicht nur zu innovativen Sneakern, funktionalen Trikots oder chlorresistenten Schwimmanzügen, wie der deutsche Sportartikelhersteller Adidas es tut. Erhöhte Aufmerksamkeit für die akute Bedrohung der Weltmeere bewirken derartige Projekte aber allemal. Und: Pro Paar des Ökoschuhs, der zu 85 Prozent aus recyceltem Meeresmüll besteht, werden laut Adidas durchschnittlich elf Plastikflaschen wiederverwertet. Das ist natürlich nur ein Tropfen im riesigen Plastikozean.
Was also tun mit den restlichen Fluten an Plastikabfall? Ein marktgängiges Verfahren zum Recyceln großer Mengen lässt bislang auf sich warten. Nicht zuletzt deshalb, weil bereits die sechs wirtschaftlich bedeutendsten Polymere aus jeweils verschiedenen Grundbausteinen aufgebaut sind, die sich chemisch nicht gut miteinander vertragen. Entsprechend wäre für eine effektive und ökonomische Wiederverwertung eine sortenreine Sammlung zwingend notwendig. Zudem lassen sich viele Kunststoffe nicht einfach einschmelzen und neu verwenden. Durch chemische Reaktionen werden einige unbrauchbar, andere reagieren mit winzigen Restverschmutzungen, die nur schwer zu entfernen sind.
Auch das Bakterium, das zufällig auf einer japanischen Müllhalde entdeckt und von US-Wissenschaftlern untersucht und weiterentwickelt wurde, ist noch nicht großflächig im Einsatz. Angeblich soll das „Super-Enzym“ in der Lage sein, Polyethylenterephthalat – besser bekannt als PET – in seine Bestandteile zu zersetzen. Und zwar in einem Bruchteil der Zeit, die eine PET-Flasche benötigt, um sich auf natürlichem Wege zu zersetzen. Gegenüber „National Geographic“ äußerte sich der für die Untersuchungen verantwortliche Professor John McGeehan im vergangenen Jahr zuversichtlich: „Es ist absolut möglich, dass in den kommenden Jahren ein industriell umsetzbarer Prozess entwickelt wird, bei dem PET und potenziell andere Stoffe wie PEF, PLA und PBS in ihre ursprünglichen Bestandteile zersetzt und so nachhaltig recycelt werden können.“
Die deutsche Firma Ecogy will aus Plastikmüll Treibstoff gewinnen: Aus 140.000 Tonnen Unrat sollen 125 Millionen Liter Treibstoff werden. Richard W. Roberts und Simon White legten 2018 die Idee vom „Ocean Saviour“ auf Kiel, einem Schiff, das autonom cruisend Kunststoffmüll einsammelt und gleich an Bord in Treibstoff für den Antrieb umwandelt. Auch anderswo, zum Beispiel in China und Indien, arbeiten Forscher daran, aus Plastikmüll Treibstoff zu gewinnen. Oft erweisen sich aber die hohen Kosten als Hemmschuh. Besser wäre es allerdings, wenn es den Müll gar nicht gäbe, erst recht nicht als Treibgut im Ozean. Eine mahnende Zahl zum Abschluss: Schon 2016 sprach eine Studie im Auftrag des Weltwirtschaftsforums die Befürchtung aus, im Jahr 2050 könnte in den Meeren die Menge an Plastik die Menge an Fischen übersteigen. Eine mehr als beunruhigende Aussicht.
Nachhaltigkeit bei Schaeffler
„Nachhaltig” ist einer der vier zentralen Unternehmenswerte der Schaeffler Gruppe. Erfahren Sie hier, wie das Unternehmen seine Geschäftstätigkeit so ökologisch und sozial verantwortungsvoll wie möglich gestaltet.