Unter Strom

Von Wiebke Brauer
Edison, Westinghouse, Tesla: Der als „Stromkrieg“ bekannt gewordene Innovationswettkampf der drei Erfinder hat die Welt verändert und zeigt auf drastische Weise, welchen strategischen Spannungen Ideen auf dem Weg zur Umsetzung ausgesetzt sein können.
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Leuchtend hell strahlte die Zukunft. Zumindest in diesem Moment, in dem US-Präsident Grover Cleveland mit einem Knopfdruck über 100.000 Glühlampen einschaltete. Es war der 1. Mai 1893. An diesem Tag wurde die „World's Fair“ in Chicago eröffnet – und das Publikum war hingerissen. Zwölf gigantische Generatoren lieferten den Strom für das Spektakel, der Lärm der Maschinen war infernalisch. 27 Millionen Menschen besuchten damals die Weltausstellung, ein Drittel der gesamten Bevölkerung der USA. Henry Prout, Zeitzeuge und späterer Biograf von Westinghouse, schrieb: „Sehr wenige von denen, die auf diese Maschinerie schauten, die mit Bewunderung das große Schaltpult betrachteten, so genial und perfekt, und die die bildschönen Lichteffekte sahen, konnten erkennen, dass sie in einem historischen Moment lebten, dass sie auf die Anfänge einer Revolution blickten.“

Dabei begann mit der „World's Fair“ nicht nur ein neues Zeitalter, es endete auch eins: Der sogenannte Stromkrieg war entschieden, in der Maschinenhalle prangte unübersehbar der Name des siegreichen Unternehmens: Westinghouse Electric & Manufacturing Company. Firmenchef George Westinghouse und sein Geschäftspartner, der serbischstämmige Technik-Pionier Nikola Tesla, hatten gewonnen. Das Zeitalter der Moderne war angebrochen – mit dem von Westinghouse gepushten Wechselstrom. Thomas Alva Edison, der größte Erfinder seiner Zeit und Verfechter des Gleichstroms, verlor. Obwohl er alle erdenklichen politischen, juristischen und marketingtechnischen Winkelzüge angewandt hatte.

Im Video: der Stromkrieg zwischen Edison und Westinghouse
Für Technik-Interessierte und Historien-Fans

Wer den legendären Stromkrieg zwischen Edison, Tesla und Westinghouse vertiefen möchte, findet zahlreiche Bücher und Filme. Eine kleine Auswahl:

  • Die letzten Tage der Nacht (historischer Roman von Graham Moore) – Taschenbuch‑Ausgabe: ISBN 978‑3‑8479‑0113‑6
  • Licht (Roman von Anthony McCarten) – Taschenbuch: ISBN 978‑3‑257‑24433‑5
  • Tesla: Der Erfinder des elektrischen Zeitalters (Biografie von W. Bernard Carlson) ISBN 978‑3‑95972‑007‑6
  • Edison – Ein Leben voller Licht – Spielfilm über den Stromkrieg mit Benedict Cumberbatch als Edison

Dabei hatte alles darauf hingedeutet, dass der ebenso geschäftstüchtige wie visionäre Edison das Rennen machen würde. Mit nur 21 Jahren ersann er eine Duplex-Technik, mit der sich gleichzeitig über nur eine Leitung zwei Nachrichten übermitteln ließen. Im Alter von 30 Jahren erfand er den Phonographen. Der Vorläufer des Audiorekorders wurde eine Weltsensation und dem Präsidenten im Weißen Haus vorgeführt, Investoren wie der Unternehmer J. P. Morgan rissen sich um den Erfinder. Nur zwei Jahre später entwickelte Edison die erste gut funktionierende Glühlampe. Dabei muss die Betonung auf „gut funktionieren“ liegen, denn erfunden, so wie es gern behauptet wird, hatte er sie nicht. Über Monate experimentierten er und seine Mitarbeiter in Menlo Park, um ein Material zu finden, das sich als Glühfaden eignete. 1876 hatte Edison in dem Stadtteil von New Jersey ein Laboratorium aufgebaut, in dem unaufhörlich geforscht wurde.

Unter Strom
In seiner Erfinderfabrik Menlo Park bei New York stellte Thomas Alva Edison unter anderem die erste Kohlefaden-Lampe her, die hell und mehrere Tage lang brannte. Das Laboratorium gilt als die erste Entwicklungsabteilung weltweit© Credit: AIP Emilio Segre Visual Archives
Das erste Entwicklungszentrum der Welt

Edisons Menlo-Park-Laboratorium war die erste Entwicklungsabteilung weltweit. Ideen entstanden nicht mehr einsam im stillen Kämmerchen, sondern in enger Taktung im Gemeinschaftsprozess. Welch strategischer Geniestreich. Als Folge wurden ständig Patente für Innovationen oder Optimierungen bestehender Erfindungen erteilt. Allein in den USA meldete Edison 1.093 Patente an, im Ausland 1.239. Klingt sensationell, allerdings sollte man auch folgendes Zitat kennen, das ihm zugeschrieben wird: „Im Handel und in der Industrie beklaut jeder jeden. Ich habe selbst viel gestohlen. Aber ich weiß, wie man richtig stiehlt. Das wissen andere nicht.“

Was die Optimierung des Glühfadens anging, brachte schließlich japanischer Bambus als geeignetes Material den Durchbruch in Menlo Park. Die Birne brannte bis zu 1.200 Stunden, ging in Marktreife und in einer eigens errichteten Fabrik in Serienfertigung. Was man wissen muss: Glühbirnen waren das Schlüsselprodukt der Elektrifizierung.

Um 1880 war Strom noch ein gänzlich neues Phänomen, elektrische Straßenlaternen fanden sich nur in größeren Städten, in Privathaushalten und öffentlichen Gebäuden brannten Gaslampen vor sich hin. Erst mit Edisons Glühlampe und den ersten von seiner Firma in den USA errichteten Kraftwerken änderte sich das – 1878 hatte er die Edison Electric Light Co. in New York zur Verbreitung von Gleichstrom-Beleuchtung gegründet. Der Haken an der Sache: Mit Strom ließ sich zwar ein Vermögen machen, weil jeder ihn wollte, aber Edison wusste schon zu diesem Zeitpunkt, dass er seinen Gleichstrom nur mit niedriger Spannung und damit nur auf geringe Entfernungen von etwa einer Meile transportieren konnte. Mehr war damals technisch nicht möglich. Bei größeren Entfernungen glommen die Birnen nur noch schwach. In den Weiten der USA mehr als ungünstig.

Tesla – der verkannte Gamechanger

Um sein Problem zu lösen, wandte sich Edison an Nikola Tesla. Der serbische Mathematiker und Ingenieur arbeitete seit Kurzem für ihn und tüftelte an Gleichstromgeneratoren. Teslas Aufgabe war, sie neu zu konstruieren. Womit Edison nicht gerechnet hatte: Tesla sagte ihm ins Gesicht, dass die Zukunft im Wechselstrom liegen würde. Das hatte er schon an der Technischen Hochschule Graz verkündet, wo er studiert hatte. Damals entgegnete sein Professor nur trocken: „Herr Tesla mag große Dinge leisten, doch dies wird ihm niemals gelingen.“ Eine ähnliche Reaktion bekam er von Edison, der Teslas Ideen zwar irgendwie gut, aber völlig unpraktikabel fand. Was das Arbeitsverhältnis zusätzlich belastete: Tesla wurde mies bezahlt. Der 28-Jährige hatte bereits bei Edisons Geschäftsführer Charles Batchelor um eine Gehaltserhöhung von 18 auf 25 Dollar die Woche gebeten, der aber meinte nur zu ihm: „Es gibt haufenweise Leute, die für 18 die Woche arbeiten, die Wälder sind voll von ihnen.“ Im Nachhinein keine sonderlich gute Idee. Edison gab später zu, er hätte besser auf Tesla hören sollen. Die Einsicht kam aber zu spät.

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„Wenn man den Hass in Elektrizität umwandeln könnte, wäre ausreichend Energie für die gesamte Welt vorhanden."

Nikola Tesla

Tesla kündigte bei Edison im Dezember 1884 nach nur wenigen Monaten und versuchte Kapital zu beschaffen, um seine eigene Firma zu gründen. Davon bekam der Industrielle George Westinghouse Wind. Westinghouse hatte die Druckluftbremse für Eisenbahnzüge erfunden, damit ein Vermögen gemacht und war mehr als interessiert am Stromsektor. Und: Als geschäftssinniger Pragmatiker hatte er schnell erkannt, dass Wechselstrom finanziell lukrativer war, und 1885 Wechselstromgeneratoren aus Europa importiert. Außerdem kaufte er einige von Teslas Patenten und stellte ihn an. Für die sogenannten Polyphase-Patente, unter anderem für eine Drehstrommaschine, soll er Tesla 75.000 Dollar bezahlt haben– für damalige Verhältnisse eine Unsumme. Hier zeigte sich, dass Fortschritt auch immer eine Frage des Zufalls ist: Gleichzeitig und unabhängig von Tesla hatte der Italiener Galileo Ferraris ebenfalls eine Drehstrommaschine erfunden. Hätte er sie an Edison verkauft, wäre der Stromkrieg vielleicht anders ausgegangen.
Jahre später schrieb Tesla: „George Westinghouse war meiner Meinung nach der einzige Mann auf dieser Erde, der unter den damaligen Umständen mein Wechselstromsystem aufgreifen und den Kampf gegen Vorurteil und Geldmacht gewinnen konnte. Er war ein Pionier von imponierender Größe, dem die Menschheit ein großes Maß an Dankbarkeit schuldet.“

Innerhalb kürzester Zeit begann Westinghouse mit dem Aufbau eigener Wechselstromgeneratoren im ganzen Land. Dabei lag der Fokus strategisch klug auf ländlichen und vorstädtischen Gebieten. Also genau dort, wo Edisons Systems nicht funktionierte – zudem bot Westinghouse Strom deutlich günstiger an als sein Widersacher.

Der Stromkrieg eskaliert

Westinghouse und Edison überzogen sich gegenseitig mit Klagen, in denen es um Patente für Transformatoren oder generell um die Stromverteilung ging. Edison begann, sich ernsthaft Sorgen um sein Geschäft zu machen, und beschloss, andere Saiten aufzuziehen.

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„Zur Hölle, hier gibt’s keine Regeln! Wir versuchen, was zu erreichen!“

Thomas Alva Edison

1886 behauptete er in einem privaten Brief, dass das Stromsystem des Konkurrenten lebensgefährlich sei: „So sicher wie der Tod wird Westinghouse einen Kunden innerhalb von sechs Monaten nach der Installation eines Systems beliebiger Größe umbringen. Es ist etwas Neues und es wird einen Haufen Experimente benötigen, bis es praktisch funktioniert.“ Dann startete er recht eigenwillige PR-Maßnahmen, anders gesagt, er begann, Westinghouse öffentlich zu diskreditieren.

Industriekriege

Der Stromkrieg war die zweite große wirtschaftliche Auseinandersetzung des Industriezeitalters um einen technischen Standard nach dem Kampf um die Spurbreiten von Eisenbahnen. Es folgten unter anderem QWERTY-Tastaturbelegung gegen Dvorak-Tastaturbelegung in den 1930er-Jahren. Beim Streit der analogen Farbfernsehtechnologien NTSC, PAL und SECAM freute sich am Ende ein Vierter als Sieger: das digitale Fernsehen. Bei den Videoformaten setzte sich VHS gegen die technisch überlegenen Systeme 2000 und Beta durch. Auch bei Betriebssystemen für PCs, Tablets und Smartphone wird gerungen. Und das Duell Verbrenner- gegen E-Auto erlebt gerade ein Revival. Um 1900 hatte das E-Auto schon mal die Nase vorn, geriet aber ins Hintertreffen, um über ein Jahrhundert später voraussichtlich doch noch zu triumphieren. Welches Format sich in solchen „Industriekriegen“ durchsetzt, wird von vielen Faktoren beeinflusst. Dabei muss nicht zwangsläufig das technisch bessere Format den Sieg davontragen. Faktoren wie etwa ein günstigerer Preis oder besseres Marketing können den Ausschlag geben.

Dafür heuerte Edison Harold Brown an, einen Elektrotechniker und Aktivisten mit fragwürdigem Ruf. Der setzte bei öffentlichen Demonstrationen Hunde und Katzen erst Gleichstrom aus – was sie überlebten, dann verband er sie mit Wechselstrom, woraufhin die Tiere elendig verreckten. Die Prozeduren sollten zeigen, wie gefährlich die Stromart von Westinghouse angeblich sei. Noch perfider war, wie Brown – auch auf Edisons Geheiß – Westinghouse mittels der Erfindung des elektrischen Stuhls zu schädigen versuchte. Als 1888 ein Gesetz verabschiedet wurde, das die Hinrichtung durch Strom als einzige Methode vorsah, war das ebenfalls Browns Lobbyarbeit zu verdanken. Dazu verbreitete sich ein neues Wort, »to westinghouse«. Es bedeutete: durch Strom sterben. Das erste Opfer war der 30-jährige William Kemmler. 1890 wurde der Frauenmörder zum Tod durch den elektrischen Stuhl verurteilt, der Strom stammte aus einem von Westinghouse’ Generatoren, dafür hatte Brown im Vorwege gesorgt. Westinghouse war nicht nur Gegner der Todesstrafe, er hatte sich auch vehement gegen die Verwendung seines Generators gestemmt. Doch alle Bemühungen waren vergebens. Bei der verpfuschten Hinrichtung dauerte Kemmlers Todeskampf so lange, dass Westinghouse später kommentierte: „Da hätten sie besser eine Axt genommen.“

Unter Strom
Die positive Publicity auf der „World's Fair“ 1893 in Chicago dürfte den Stromkrieg endgültig zugunsten von Westinghouse entschieden haben. Wechselstrom mit einer Spannung von 120 Volt wurde Standard in US-amerikanischen und kanadischen Haushalten© public domain

Als die Stadt Chicago 1893 nach einem Stromanbieter für die „World's Fair“ suchte, lag das Angebot von Thomas Edison und seiner General Electric Company bei 1,8 Millionen US-Dollar. Das der Westinghouse Electric Corporation: 399.000 US-Dollar. Die Entscheidung war gefallen. Westinghouse hatte ihn mal wieder erfolgreich unterboten, erhielt den strategisch wichtigen Zuschlag: Denn das Lichtermeer auf der Ausstellung war eine enorme positive Publicity. Sie dürfte final dazu geführt haben, Wechselstrom mit einer Spannung von 120 Volt zum Standard in den US-amerikanischen und kanadischen Haushalten und Fabriken zu machen. Auch in der restlichen Welt setzt sich der Wechselstrom durch, allerdings mit der effizienteren Spannung von 220 bis 240 Volt. Dass Nordamerika auf die auch von Edison präferierte niedrige und damit ungefährlichere Spannung setzt, ist möglicherweise auch ein Erbe des Stromkriegs, bei dem gerade Technikskeptiker immer wieder die Gefahren durch die damals noch unheimliche Kraft des elektrischen Stroms ins Gefecht geschickt haben.

Edison reloaded
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Elektrische Leistung (gemessen in Watt) multipliziert sich aus Spannung (gemessen in Volt) und Stromstärke (gemessen in Ampere). Edison war damals mit seinem Gleichstrom nicht in der Lage, so hohe Spannungen zu erzielen wie Westinghaus mit Wechselstrom. So musste er, um die gleiche Leistung zu erzielen, auf höhere Stromstärke setzen, was enorme Leitungsverluste und dicke, teure Kabel erforderte. Deshalb war die Reichweite von Edisons Gleichstrom auf wenige Kilometer begrenzt. Die Einführung und die Fortschritte der Halbleitertechnik ab den 1970er-Jahren waren ein Gamechanger. Plötzlich war es möglich, mit Gleichstrom Spannungen von mehreren Hunderttausend Volt zu erzeugen, mittlerweile sogar bereits über eine Million Volt. Stichwort: Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ). Solche HGÜ-Systeme sind 30 bis 40 Prozent effizientere Stromautobahnen als die mit energiefressenden Blindleistungen kämpfenden Wechselstromvarianten. Allerdings ist die für den Spannungsboost der HGÜ nötige Halbleitertechnik nicht billig. Aber insgesamt ist ein HGÜ-System bereits ab Entfernungen von etwa 300 bis 500 Kilometern bei Freileitungen und etwa 30 Kilometern bei Seekabeln kostengünstiger als ein Wechselstromsystem. Nach über 100 Jahren heißt es also: Vorteil Edison.